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TransRockies: Drahtesel, Kuhfladen und Bärensichtung

Foto: Dan Hudson

TransRockies Challenge "Gewinner wird, wer als letzter erfriert"

Dieses Rennen bringt selbst Hartgesottene an ihre Grenzen: Bei der TransRockies Challenge in Kanada müssen Mountainbiker durch Matsch waten, Bären aus dem Weg gehen - und am Abend Rad und Körper so gut wie möglich wieder zusammenflicken. Szenen eines sportlichen Überlebenskampfs.
Von Manuela Imre

Selbst dem gelassensten Extremsportler reißen irgendwann die Nerven. Bei Klaus Pauly war es soweit, als er kopfüber in ein stinkendes Gemisch aus Schlamm, Erdbrocken und Kuhfladen flog. "Da ging ein paar Minuten gar nichts mehr. Ich war einfach nur sauer und warf mit Dreck um mich. Danach fühlte ich mich besser", gesteht der 42-jährige Münchner.

Zusammen mit seinem Teamkollegen Thomas Woeckener war Pauly an die kanadische Westküste gereist, um das zu machen, was er am liebsten tut: sich mit Highspeed den Abhang herunterstürzen. Auf der 400 Kilometer langen Strecke durch die Rocky Mountains stieß er dabei an seine Grenzen - wie das ganze Feld aus über 400 Profi- und Hobbyfahrern aus 20 Ländern.

Die TransRockies Challenge, deren neunte Auflage am Samstag zu Ende ging, gilt nicht umsonst als eines der härtesten Mountainbike-Rennen der Welt. Und das nicht mal wegen der Anstiege: Der höchste Punkt liegt bei 2350 Metern, der heftigste Einzelanstieg geht auf lediglich 1100 Meter. Für gut Trainierte kein Thema. "Schlimmer ist das kontinuierliche leichte Auf und Ab, das geht an die Energie", sagt Woeckener. Wenn dann auch noch Hagel, peitschender Regen und eiskalter Wind mit im Spiel sind, schwinden die Kräfte rasant. Schon die erste Etappe endete im Regen, die zweite machte mit Sonne Hoffnung: plötzlich strahlend blauer Himmel und sattgrüne Wiesen - einen Tag später ging es zunächst so weiter, dann begann die nicht enden wollende Rutschpartie.

Schlamm wie Schleifpapier

Pauly und Woeckener fahren und schlittern schließlich mit einer Gesamtzeit von 31 Stunden 25 Minuten auf den zwölften Platz, hinter dem ebenfalls deutschen Duo Marcus Wallmeyer und Andreas Krakau, die sich mit 29:21 Stunden den achten Platz sichern. Die Sieger Barry Wicks und Kris Sneddon vom kanadisch-amerikanischen Kona-Team rauschen mit einer Gesamtzeit von 23 Stunden und 38 Minuten über die Zielgerade des idyllischen Städtchens Canmore, ungefähr eine Stunde von Calgary entfernt. Gefolgt von den Vorjahressiegern und Favoriten Stefan Widmer und Marty Lazarski (24:22), die den Kona-Konkurrenten den vierten Etappensieg abnahmen, doch danach wegen einer Panne wieder zurückfielen.

Pannen gab es viele. "Der Materialverschleiß ist extrem. Bremsen, die normalerweise zwei Tage halten, sind hier an einem halben Tag abgefahren. Der Schlamm ist so sandhaltig, dass er wie Schleifpapier wirkt", sagt Chester Fabricius, der die TransRockies vor neun Jahren gemeinsam mit Heinrich Albrecht, dem Begründer der TransAlp Challenge (Alpenüberquerung auf dem Fahrrad), ins Leben rief.

Geschlafen wird in Zelt oder Wohnmobil

Den rutschigen Steilhang ohne Bremsen im dichten Nebel runterfahren? Selbst der Sieger Barry Wicks gibt zu, dass er es bei so mancher Abfahrt mit der Angst zu tun bekam. "Gestern war einer der heftigsten Tage meines Lebens. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals mental und körperlich derart fertig gewesen zu sein. Meine Hände waren so kalt, dass ich kein Gefühl mehr für den Lenker hatte", sagt der 28-Jährige im Ziel.

"Gewinner wird, wer als letztes erfriert" sagt Organisator Kevin McDonald spaßeshalber nach der sechsten Etappe. Wer sich nach Abenteuern und rauer Wildnis sehnt, ist hier also richtig. Geschlafen wird in Zelten, die Bequemeren leisten sich ein Wohnmobil. Ohne die perfekte Ausrüstung ist der Wettkampf unmöglich. Wer will schon einen eiskalten Fluss durchqueren und danach auf 2300 Meter Höhe gegen frostigen Wind anfahren?

Wild-West-Gefühl dank Grizzly und Co.

"Stehenbleiben ist das Schlimmste, dann packt dich die Kälte. Deshalb brettert man einfach weiter, egal wie tief das nächste Schlammloch ist", sagt Marcus Wallmeyer.

Oder der nächste Kuhfladen, so genau weiß man das in dieser Gegend nicht. Denn die Rockies sind Cattle-Country, Rinder-Land. Dementsprechend großzügig verteilen sich die stinkenden Haufen auch. Aber immer noch besser als die Hinterlassenschaften der Grizzlys und Braunbären. Die bedeuten nämlich Ärger. Als Bär Nummer fünf, der Einfachheit werden sie durchnummeriert, vor der siebten Etappe vom Sicherheitsteam gesichtet wird, muss fast noch mal umgeplant werden. Aber Nummer fünf verzieht sich rechtzeitig. Die Fahrer merken, sie biken durch den Wilden Westen und nicht die Alpen, wo höchstens ein paar Ziegen im Weg rumstehen.

Beim Vergleich mit dem TransAlp Rennen müssen die meisten sogar lachen. "Das hier ist viel abenteuerlicher. Man verlangt sich selbst mehr ab. Schon allein die Zeit, die ich damit verbrachte, das Rad über lange Strecken den Berg hoch zu schleppen. Bei der TransAlp würde es deswegen ein riesiges Theater geben, hier gehört es zum Erlebnis", sagt Felix Breske. Zweimal war er bei der TransAlp dabei, in den Rockies belegte er mit seiner Teampartnerin Anke Dannowski im Mixed Open Feld den vierten Platz (32:57).

Am Ende sind alle Strapazen vergessen - auch wenn die Fahrer mit blutigen Kratzern, kalten Hintern und einer zentimeterdicken Erdschicht als Kriegsbemalung die Etappen beenden. Und wie zur Versöhnung passiert am letzten Tag, womit schon keiner mehr gerechnet hat: Die Sonne kommt nochmals raus, taucht die Rockie Mountains in ein warmes Licht und lässt alle Blessuren vergessen.

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