Tyler Hamilton Der König der Schmerzen
Urs Freuler sieht auch mit Anfang 40 noch blendend aus: Braun gebrannt und mit schwarzem Schnauzbart ist der frühere "König der Sechstagerennen" auch dieser Tage bei der Tour de France ein gefragter Mann. Als Manager des Schweizer Phonak-Teams gibt Freuler momentan allzu gerne Auskunft über seinen Mannschaftsführer Tyler Hamilton. Von allen Mitfavoriten hat der US-Amerikaner vor der Fahrt in die Berge mit 36 Sekunden den geringsten Rückstand auf Champion Lance Armstrong. Freuler lacht. "Wenn du dieses Jahr nicht gut fährst, haue ich dir kräftig eins auf die Schulter", habe er Hamilton vor der Tour Schläge angedroht. Ein Spaß mit ernstem Hintergrund. Denn der 33-Jährige fuhr unter Schmerzen seine größten Rennen.
"King of Pain" ist einer der Spitznamen Hamiltons, spätestens nachdem er im vergangenen Jahr trotz eines bei einem Sturz erlittenen Haarrisses im Schlüsselbein die Tour de France als Vierter beendete und in den Pyrenäen nach 87 Kilometern Alleinfahrt eine Etappe gewann. "Das war der härteste Tag meines Lebens", erinnert sich Hamilton, und das will etwas heißen. 2002 war er mit einem gebrochenen Schulterblatt auf Platz zwei des Giro d'Italia gekommen und hatte dabei so fest die Zähne zusammengebissen, dass er sich anschließend auch bei einem Dentisten in Behandlung geben musste.
Auf dieser Tour de France fahren die Schmerzen ebenfalls wieder mit. Beim Massensturz auf der Etappe von Bonneval nach Angers war Hamilton über den Lenker geflogen und mit dem Rücken zuerst auf dem Pflaster aufgeschlagen. "Ich bin dankbar, dass ich überhaupt noch dabei sein kann", sagte er am gestrigen Ruhetag und lächelte. Noch im Rennen zu sein, heißt für Hamilton in diesem Jahr nicht weniger, als seinen früheren Teamleader Armstrong im Rennen ums Gelbe Trikot herauszufordern. Auch Jan Ullrich hat den Phonak-Kapitän auf der Rechnung: "Tyler Hamilton ist sehr stark. Er wird eine gute Tour fahren."
Von 1999 bis 2001 hatte Hamilton Armstrong zu dessen drei ersten Toursiegen chauffiert. Dann aber machte der "Leutnant" genannte Edelhelfer eigene Ambitionen geltend und wechselte nach Dänemark ins CSC-Team von Bjarne Riis. Anders als im Fall Kevin Livingstons, den es im Jahr zuvor zum Team Telekom gezogen hatte, akzeptierte und unterstützte Armstrong den Fortgang Hamiltons, der in den Sommermonaten sein Nachbar in Gerona ist.
Von Armstrong hat sich die Faszination für die Frankreich-Rundfahrt auf Hamilton übertragen. "Jeden Morgen wenn ich aufwache, denke ich an die Tour", sagt er. Wenn Armstrong so etwas erzählt, klingt es besessen, aus Hamiltons Mund sympathisch. Selbstbewusst, aber ohne eine Spur von Arroganz bestätigt der Phonak-Kapitän sein Ziel für 2004: die Tour de France zu gewinnen. "Sie bieten mir die Möglichkeit, dass ich mich noch weiter entwickeln kann", hatte er vor der Saison seinen mit 1,2 Millionen Euro jährlich dotierten Wechsel ins grün-gelbe Trikot des Schweizer Hörgeräte-Herstellers begründet.
Starkes Team, wenig Glück
Denn anders als der CSC-Rennstall, der täglich seine Fahrer in Fluchtgruppen schickt, richtet Phonak seine Arbeit ausschließlich auf das Gesamtklassement und damit auf Hamilton aus. "Für unser bisheriges Teamwork gebe ich die Note 1+", so das Zwischenzeugnis des Kapitäns, "was das Glück angeht, leider nur eine 3." Der US-Amerikaner bedauert weniger seine Sturzverletzung als die Missgeschicke im Mannschaftszeitfahren, als Phonak mit nur fünf Mann als Zweiter das Ziel erreichte und deshalb seine Siegchance vergab. "Mein Rückstand auf Armstrong ist aber nicht katastrophal", bleibt Hamilton trotz allem gelassen.
Selbst als seine Pressekonferenz vom Teamsprecher abrupt für beendet erklärt wird und die Reporter für Nachfragen von ihren Plätzen aufspringen und ihn von allen Seiten belagern, bleibt Hamilton ruhig auf seinem Stuhl in der Basketballhalle von Limoges sitzen und gibt ausführliche Antworten. Zwei Meter daneben steht ihm Oscar Sevilla zur Seite. "Ich will mit diesem Team Großartiges vollbringen", sagt der 27-jährige Bergspezialist mit dem Teenagergesicht, der vom Kelme-Team eingekauft wurde. "Wir haben viele starke Kletterer im Team. Deshalb ist eine Taktik von uns zu attackieren", will Hamilton in den Bergen angreifen.
Seine Gegner fürchtet er nicht: "Lance und Ullrich fahren gut, und es ist eine große Aufgabe, die Tour zu gewinnen. Aber wir sind bereit." Zumal Hamiltons Rückenschmerzen weitgehend abgeklungen sind. Freuler könnte aber genau das Sorgen bereiten.