Doping um jeden Preis "Ich sah aus wie eine Wasserleiche"

DDR-Dopinggeschädigter Uwe Trömer
Foto: imagoEs gibt diesen Moment auf dem Rad, an dem alles von allein geht. Der Fahrer tritt natürlich weiter in die Pedale, aber er ist dabei dermaßen im Einklang mit seinem Rad, dass es so scheint, als arbeite nur das Sportgerät und er selbst schwebe über die Bahn. Ein Moment des absoluten Glücks. Es ist der Augenblick vollkommener Leichtigkeit.
Es ist der Augenblick, dem Uwe Trömer ein Leben lang hinterherstrampelt.
Leichtigkeit, die hat er nicht oft kennengelernt, er hat es sich selbst nicht leicht gemacht, anderen auch nicht. "Ich bin ein Einzelkämpfer", sagt er. Er war es als Bahnradsportler in der DDR vor fast 40 Jahren, er war es als Dopinggeschädigter, er ist es immer noch.
Gerade kämpft er um seine Rente. Es ist ein Kampf von vielen. In einem Leben voller Umwege. Auch die eine oder andere Sackgasse war darunter.
Als junger Kerl im Osten war er begeistert vom Radsport, "mit fünf Jahren habe ich mein erstes Fahrrad bekommen, ich habe als erstes die Schutzbleche abmontiert". Radsport in der DDR, das war Täve Schur, der Friedensfahrtsieger, gefeiert im Osten als Held des Sozialismus, ein treuer Genosse, auch Trömer hat ihn bewundert. Die "Einheit von Mensch und Maschine" im Radsport, das ist es, was ihn noch heute faszinieren kann. Radsport, das wurde sein großes Ding beim SC Turbine Erfurt. Er wollte eins mit der Maschine sein, mit 18 war er diesem Zustand schon sehr nahe, 1980 wurde er Vizeweltmeister bei der Junioren-WM der Bahnradfahrer. Ein großes Talent. Mit einer blühenden Zukunft in der DDR.
Drei Jahre später fällt er beim Training vom Rad. Die Ärzte wollen ihm erst eine Grippe attestieren, aber es ist ein akutes Nierenversagen. Der Körper ist aufgebläht, Trömer muss ins Krankenhaus. Seine Mutter habe ihn nicht einmal wiedererkannt, hat er erzählt: "Ich sah aus wie eine Wasserleiche."
Er ist sich sofort sicher, woran es liegt. An den Pillen und Spritzen, die er genommen hat, nehmen musste, wie er sagt.
Mit Tabletten fängt es an; Vitaminpillen seien das, heißt es. Aber darunter sind auch die mittlerweile berüchtigten blauen Dopingpillen Oral Turinabol. Als seine Erfurter Trainingsgruppe mit Spritzen versorgt werden soll, weigern sich die jungen Sportler zunächst, doch "dann wurde uns klar signalisiert, dass das das Ende unserer Karriere bedeutet". Also lässt sich auch Trömer darauf ein, drei Wochen später liegt er im Krankenhaus. Seine Karriere ist jetzt auch mit Spritzen zu Ende. Seine Kämpfe fangen jetzt erst an.
Verantwortlich für die Spritzen, so Trömer, sei der damalige DDR-Sportarzt Heinz Löbl aus Chemnitz gewesen. Trömer hat ihn viele Jahre später auch über die Medien beschuldigt, der Arzt hat alle Vorwürfe zurückgewiesen. 2016 wurde Heinz Löbl mit der Silbernen Ehrennadel des Landessportbundes Sachsen ausgezeichnet. Für seine Verdienste um den Radsport.
Trömer hat seine Geschichte schon oft erzählt, auch öffentlich, sie begleitet ihn bis heute, noch 35 Jahre später ist er quasi hauptamtlicher Dopinggeschädigter. Er hat sich das nicht so ausgesucht.

Berüchtigtes Dopingmittel Oral Turinabol
Foto: MATTHIAS RIETSCHEL/ APSchon zu DDR-Zeiten hat Trömer nicht eingesehen, dass er das einfach so hinnehmen sollte. Er ist zu Manfred Höppner ins Büro gegangen, damals der Pate des DDR-Sports, viele Jahre später wegen seiner Rolle als Dopingverantwortlicher verurteilt, und hat ihn zur Rede gestellt. Viele haben sich das nicht getraut, Höppner hat ihn kurz angehört und dann aus seinem Büro geworfen. Trömer galt ab sofort als Quertreiber, als anstrengend. Erst recht, als die Staatssicherheit erfolglos versuchte, ihn anzuwerben. "Ich habe meinen Zulassungsbescheid zum Jurastudium vor deren Augen zerrissen, da haben die natürlich dumm geguckt."
Betablocker, Blutverdünner, Schmerztabletten
Mit dem Studium wird es nichts mehr - und mit der Gesundheit auch nicht. Wenn der heute 55-Jährige aufzählt, mit welchen Beschwerden er sich seit den Achtzigerjahren herumschlägt, ist das, als ob er ein halbes medizinisches Lexikon vorliest: Gelenkrheuma, Durchblutungsstörungen im Hirn, Bluthochdruck, eine kaputte Achillessehne, 2007 erlitt er einen Schlaganfall, seinen Job als Abteilungsleiter beim Fernsehen musste er danach aufgeben und ist seitdem krankgeschrieben. "Den Job hätte ich gerne weitergemacht, aber ich konnte all diese Informationen auf den ganzen Monitoren nicht mehr verarbeiten", sagt er. Heute muss er zehn Medikamente am Tag nehmen, Betablocker, Blutverdünner, Schmerztabletten. Als schlösse sich ein Kreis zu den Pillen und Spritzen, die ihn einst krank machten.
Trömer ist überzeugt davon, dass dies die Folgen der Dopingbehandlung aus DDR-Zeiten sind. Er hat es sogar schriftlich. Offiziell ist er anerkanntes Dopingopfer. Vom Staat hat er vor Jahren daher eine Einmalzahlung von 15.000 Euro bekommen. Die Rentenversicherung sieht das allerdings anders, sie hält ihn für arbeitsfähig. Ein Gutachter hat ihn für gesund erklärt, obwohl Trömer seine gesamte Krankengeschichte vorgelegt hat. "Was soll ich denn noch vorweisen, ich werde dargestellt, als sei ich ein Simulant", sagt er. Seitdem wandern Schriftsätze zwischen seiner Anwältin und der Rentenkasse hin und her. Der "medizinische Aktenteil" des Vorgangs umfasst mittlerweile 112 Seiten. Trömer muss wieder kämpfen.

Einen anderen Kampfschauplatz hat er verlassen. Jahrelang war Trömer Aktivist im Antidopingkampf, er hat beim Dopingopfer-Hilfeverein (DOH) von Ines Geipel an vorderster Stelle mitgemacht, er war dabei, als 2009 Dopinggeschädigte bei der Leichtathletik-WM in Rom gegen den langjährigen Trainer von Diskuswurfstar Robert Harting, Werner Goldmann, protestierten, weil dieser schon in der DDR als Coach gearbeitet hatte. Trömer war immer mit von der Partie, nahm in Medien Stellung gegen frühere DDR-Sportärzte, die nach der Wiedervereinigung so weitermachen durften wie bisher. Auf öffentlichen Auftritten erschien er gerne im T-Shirt mit der Aufschrift: "Böser Radfahrer".
Die früheren Mitstreiter werfen ihm Verrat vor
Bis er 2015 eine Kehrtwende machte. Er sprach sich öffentlich für ein Aufeinanderzugehen aus, er nahm Kontakt zum Präsidenten des Landessportbunds Thüringen, Peter Gösel, und dessen Geschäftsführer Rolf Beilschmidt auf. Er lobte die Fortschritte, die Thüringen mache. Hier werde Dopinggeschädigten schnell und unbürokratisch geholfen, sagt er. Für die früheren Mitstreiter vom Dopingopfer-Hilfeverein ein Affront. Der frühere Hochspringer Beilschmidt war in der DDR inoffizieller Mitarbeiter der Stasi, Gösel war vor der Wende SED-Kader, Geipel und der DOH haben dies immer wieder scharf kritisiert, haben stets gesagt, dass ein Neuanfang nur ohne Gösel und Beilschmidt erfolgen könne.
Trömer behauptet, Beilschmidt sei lediglich ein "kleines Licht bei der Stasi" gewesen, er nehme Gösel und ihm ab, "dass sie wirklich etwas gutmachen wollen". Den DOH hat er vor Jahren bereits im Unfrieden verlassen, es gab keine herzlichen Worte zum Abschied. Trömer sagt, der konfrontative Antidopingkampf habe ihn ausgezehrt, er habe "keinen Sinn mehr im Hass" gesehen, einige, die früher mit ihm Seite an Seite standen, haben ihn deswegen einen Spaltpilz genannt, werfen ihm Verrat an der Sache vor.
Trömer sagt, dass ihn "diese Anwürfe am Anfang schockiert" hätten, ihn das jetzt aber nicht mehr belaste. Jetzt gehe es ihm vor allem darum, "ein einigermaßen schmerzfreies Leben zu führen und meine Existenz zu sichern". In dem Kiez in Berlin-Friedrichshain, in dem er lebt, hatte er als Treffpunkt für das Gespräch ein Café neben der Pfingstkirche vorgeschlagen. An der Kirche hängt ein riesiges Plakat, auf dem weithin sichtbar steht: "Hass schadet der Seele."