
Motorrad-Star Rossi Er gibt Gas, er will Spaß
Als der Motorradfahrer Valentino Rossi seinen ersten WM-Titel gewann, wurden in Deutschland Prepaidkarten für Handys eingeführt. Im Fernsehen eroberte US-Schauspielerin Sarah Michelle Gellar als Buffy, die Vampirjägerin, die Herzen der Fans. Und Marc Márquez war vier Jahre alt.
1997 begann der Aufstieg des Italieners Rossi zum Star einer Sportart mit dem Triumph auf einer Aprilia. Hubraum: 125 Kubikzentimeter. 18 Jahre später fährt er immer noch. Und kann am Ende der Saison mit dem Gewinn der MotoGP seinen zehnten WM-Titel feiern. In das erste Rennen nach der Sommerpause in Indianapolis am kommenden Sonntag geht der 36-Jährige als WM-Führender, ist stark wie nie.
Das Besondere: Rossi hat die ebenso ehrgeizige wie deutlich jüngere Konkurrenz im Griff - auch Weltmeister Márquez. 13 Punkte hat Yamaha-Pilot Rossi in der Gesamtwertung Vorsprung auf Teamkollege Jorge Lorenzo, 65 sind es gar vor Márquez, der im vergangenen Jahr Rennen in Serie gewann. Dem Spanier ist die Konstanz abhandengekommen, Rossi hat sie: Bei jedem der bisher neun Rennen stand er auf dem Podium.
"Rossi hat seine Arbeit komplett umgekrempelt"
Alex Hofmann war acht Jahre lang in der MotoGP aktiv, fuhr selbst gegen Rossi und ist heute TV-Reporter bei Eurosport. "Valentino war immer schon ein Ausnahmetalent", sagt er SPIEGEL ONLINE. Für den aktuellen Erfolg habe der Rekordchampion Rossi hart gearbeitet: "Rossi hat seine Arbeit in den vergangenen beiden Jahren komplett umgekrempelt", sagt Hofmann.

Neuer Chefmechaniker (seit Ende 2013), neue Physis und ganz viel Spaß: Rossi hat auf die bitteren Ducati-Jahre (2011 bis 2012) reagiert - und überrascht jetzt sogar Experten. Auch Hofmann sah Rossi während der ebenso trost- wie erfolglosen Zeit bei Ducati nicht mehr in der Lage, einen Titel zu gewinnen. "Da lag ich falsch", sagt Hofmann: "Ich glaube, dass Rossi es in diesem Jahr schaffen wird. Er hat seinen Fahrstil verändert, hat die junge Konkurrenz nicht als Abschreckung gesehen, sondern gemerkt, dass er noch mehr tun muss."
Rossi kommt nun in Kurven noch schneller in eine aufrechte Position, kann so noch besser und früher Herausbeschleunigen. Mit seinen 65 Kilogramm bei 1,82 Metern ist Rossi noch immer kein Athlet. "Er macht aber mehr als früher", sagt Hofmann. "Vor zehn Jahren war er so dominant, dass er auch körperlich nicht so viel machen musste."
Márquez litt unter störrischer Honda
Gemeinsam mit Chefmechaniker Silvano Galbusera tüftelt Rossi zudem erfolgreich am Setup der Maschine. Dort, wo es mehr als in jeder anderen Motorrad-Serie auf Details ankommt, hat Rossi mit dem Landsmann einen Coup gelandet: Obwohl der zuvor nur phasenweise für ein MotoGP-Team tätig war, geht es für das Duo seitdem nur noch bergauf.
Rossi, Vizeweltmeister 2014, galt schon immer als Fahrer, der sich nach einem Rennen an beinahe jede Feinheit des Motorrads erinnern kann, jedes Vibrieren rekapituliert. Galbusera, Nachfolger von Jeremy Burgess, war ob dessen Talent zunächst fast verschüchtert, inzwischen ist die Allianz der Italiener ein Teil des Erfolgs. "Das hat sicher einen neuen Impuls gegeben", sagt Hofmann. "Es muss da gar keine fachlichen Gründe gegeben haben. Aber für Rossi ist es womöglich auch ganz angenehm, mal Italienisch mit seinem Chefmechaniker sprechen zu können und nicht permanent Englisch wie zuvor." Rossis Feedback mag so noch direkter in die Box gelangen.
Die Folge: Die Konkurrenz fuhr oft nur hinterher. Auch Márquez mit seiner Honda, die lange Zeit sehr gut beherrschbar war. Der Spanier, der im vergangenen Jahr dominierte wie Rossi in seinen besten Jahren, kämpft jetzt mit seiner Maschine. Während sich Yamaha und auch Ducati stark verbessert haben, reagierte die Honda vor allem zu Saisonbeginn ungewohnt hysterisch, ungewollte Wheelies inklusive.
Private Ranch mit Rennstrecke
Nun steht der Titelverteidiger unter Druck, muss auf Stürze von Rossi hoffen, um den Rückstand aufzuholen. "Eigentlich muss Marc Márquez jetzt jedes Rennen gewinnen, um den Titel zu holen", sagt Hofmann: "Aber Rossi ist mit all seiner Erfahrung in der Lage, an jedem Wochenende das Optimum herauszuholen. Er weiß, wann auch mal ein zweiter oder dritter Rang reicht." Ein Vorteil für einen, der niemandem mehr etwas beweisen muss.
Rossi, der durch seinen Job längst zum Multimillionär geworden ist, hat sich in der Nähe seiner Heimatstadt Urbino in Tavuilla eine private Rennstrecke bauen lassen. Auf dem sandigen Kurs seiner Ranch fährt er Supermoto-Rennen. Wenig Grip, viele Drifts. "Rossi hat junge Fahrer unter Vertrag genommen und trainiert regelmäßig mit ihnen auf seiner Ranch. Das hat ihn noch besser gemacht. Die haben ihn motiviert. Er hat wieder extrem viel Spaß", sagt Hofmann.
Spaß, die wohl wichtigste Antriebsfeder für den dauergrinsenden Rossi. Bei Yamaha hat er noch einen Vertrag bis 2016. Eine Verlängerung scheint nicht ausgeschlossen. An ein Karriere-Ende mag kaum jemand in der MotoGP denken. Rossi verkauft nicht nur Merchandising seiner eigenen Produkte, sondern auch Tickets für die Rennen.
Márquez ist 14 Jahre jünger als Rossi, mindestens so begnadet auf dem Motorrad. Auf Twitter folgen dem Spanier 1,5 Millionen Fans, er hat lukrative Sponsorendeals. Doch Interviews mit ihm wirken geradezu langweilig verglichen mit jenen des Altmeisters aus Italien.
"Er ist der beste Verkäufer dieses Sports, setzt das mit Leichtigkeit um", sagt Hofmann über Rossi: "Wenn der geht, wird dem Sport etwas fehlen. Viele Fans kommen an die Rennstrecke, weil sie auch den Typen Rossi geil finden. Aber Márquez hat die gleichen Gene in sich." In naher Zukunft dürfte das nicht reichen, um aus dem Schatten Rossis zu treten.