Weltmeister Frankreich Durch die Hölle in den Handball-Himmel
Pogo, Party, Pöbeleien: Eineinhalb Minuten vor Ende des WM-Finales zwischen Frankreich und Kroatien hätten die Bilder unterschiedlicher nicht sein können. Auf der einen Seite des Spielfeldes ließen die Franzosen freudig ihre Körper gegeneinanderkrachen, auf der anderen stapfte Igor Vori mit hängendem Kopf vom Platz. Kroatien lag zum Zeitpunkt, als Vori wegen einer Unsportlichkeit die Rote Karte gesehen hatte, bereits hoffnungslos mit drei Toren hinten und hatte sich aufgegeben. Am Ende hieß es gar 24:19 für die Franzosen, die noch zur Halbzeit 11:12 zurückgelegen hatten. Die dänischen Unparteiischen machten dabei ihrem Namen über das gesamte Spiel alle Ehre.
Über 15.000 Zuschauer hatten die Arena in Zagreb bereits eine Stunde vor dem Anpfiff in eine Handball-Hölle verwandelt. Die erste Demütigung in Dezibel schlug den französischen Spielern aus tausenden von grellen Tröten eine gute halbe Stunde vor Spielbeginn entgegen, als der Olympiasieger von 2008 die Halle zum Warmmachen betrat. Wie schon im Halbfinale schwitzten die Kroaten in einer Nebenhalle an. Hatte da etwa jemand Angst vor der eigenen Courage?
In der ersten Hälfte entwickelte sich eine wahre Abwehrschlacht. Keinem der beiden Teams gelang es, sich mit mehr als einem Tor Unterschied von dem anderen abzusetzen. Was auch daran lag, dass die beiden Superstars wie abwesend wirkten. Der Kieler Nikola Karabatic verwarf im ersten Durchgang alle drei Torversuche, Kroatiens Regisseur Ivano Balic konnte die entscheidenden Impulse ebenfalls nicht setzen.
Pfiffe bei der Siegerehrung
Im Gegensatz zu Balic steigerte sich Karabatic in der zweiten Hälfte. Insgesamt waren allerdings die Außenspieler die entscheidenden Figuren in der Nervenschlacht. Kroatiens Rechtsaußen Ivan Cupic brachte es auf sechs Versuche und sechs Treffer (darunter vier Siebenmeter), Frankreichs Linksaußen verwandelte sieben von sieben Siebenmetern und traf insgesamt überragende zehn Mal. Gemeinsam mit Rückraumbomber Daniel Narcisse und einem starken Torhüter Thierry Omeyer machte Guigou am Ende den Unterschied und ebnete damit den Weg für den zweiten großen Titel der Franzosen in den vergangenen sechs Monaten.
"Mit Spielern dieses Talents scheinen die Dinge ganz einfach. Das ist ein großes Resultat für den französischen Sport", sagte Frankreichs Trainer Claude Onesta. Aus Paris erreichte die Franzosen gleich nach dem Finale ein Glückwunsch von Staatspräsident Nicolas Sarkozy: "Die französische Mannschaft hat ihre eindrucksvolle Siegesliste fortgeschrieben und dem Olympiasieg in einem außergewöhnlich intensiven Finale den dritten WM-Titel hinzugefügt."
Als schlechte Verlierer erwiesen sich die kroatischen Fans, die Frankreich bei der anschließenden Siegerehrung gnadenlos auspfiffen. Trotzdem konnte es einer der Franzosen kaum erwarten, das Siegerpodest zu erklimmen: Didier Dinart wurde in letzter Sekunde von einem Mitspieler vor diesem peinlichen Fauxpas bewahrt. Denn schließlich war es den Polen als Drittplatziertem vorbehalten, das Treppchen zuerst zu besteigen.
Das Team von Bogdan Wenta hatte zuvor im Spiel um Platz drei Dänemark 31:23 (14:11) geschlagen. Die Polen erreichten damit nach dem zweiten Platz bei der WM 2007 in Deutschland zum zweiten Mal in Folge einen Podestplatz bei einer Weltmeisterschaft.
Trainer Bogdan Wenta sprang bereits kurz vor dem Schlusspfiff vor Freude an der Seitenlinie auf und ab. Wentas Engagement war symbolisch für den Auftritt seiner Mannschaft, die wesentlich aggressiver zu Werke ging als der müde wirkende Europameister aus Dänemark, dessen Spieler am Ende mit hängenden Köpfen und an die Hüften gepressten Händen in der Arena in Zagreb standen. Den Polen dagegen war die Freude über den dritten Platz deutlich anzusehen.
In der Halbzeit unter die Haube
Die Veranstalter waren ebenfalls zufrieden mit dem Turnier, das in insgesamt 150 Länder übertragen wurde. Nach einigen Startschwierigkeiten und Preissenkungen fanden dann auch die Tickets reißenden Absatz. Nach Angaben des kroatischen WM-Organisationskomitees besuchten über 200.000 Zuschauer die teilweise erst kurz vor dem Turnier fertig gestellten Arenen. Das entspricht einer Auslastung von knapp 90 Prozent. Über 10.000 Helfer sorgten für einen nahezu perfekten Ablauf der Veranstaltung, die laut Angaben der EHF sauber war. Es habe 54 Dopingtests gegeben, alle seien negativ ausgefallen.
Während in den kleineren Städten wie Varazdin oder Zadar die WM-Stimmung zumindest außerhalb der Halle kaum spürbar war, herrschte in Zagreb Begeisterung. Die Straßenbahnen waren mit kroatischen Fahnen geschmückt, in den zahlreichen Souvenirläden rund um den Markplatz verdrängten Schals und T-Shirts mit rot-weißen Schachbrettmustern und blauen Streifen die traditionellen Mitbringsel in die hinteren Regale.
Zum Dresscode am Finalwochenende gehörten Schals und Trikots der kroatischen Nationalmannschaft, ganz egal, ob man zum Einkaufen oder schick Essen gehen wollte. Extra für das Endspiel wurde ein zweites Public-Viewing-Zelt in der Innenstadt aufgebaut. Die Kroaten erwiesen sich zudem als tolle und stets gut aufgelegte Gastgeber für die ausländischen Besucher. Auch wenn nach der Finalniederlage einige Tränen flossen.
Ein weiblicher kroatischer Anhänger wird an diesem Tag trotzdem noch ein wenig gefeiert haben. In der Halbzeit bekam die junge Dame namens Marina einen Heiratsantrag von ihrem Freund. Noch bevor sie "ja" sagen konnte, hatte ihr Freund ihr den Ring angesteckt. Damit an diesem Abend wenigstens ein Traum in Erfüllung ging.