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Frodenos Leiden: Hauptsache ins Ziel kommen

Foto: fx_makesapicture

Schmerzens-Protokoll Wie Triathlet Frodeno den Ironman auf Hawaii überstand

Sieger 2015, Sieger 2016, Top-Favorit 2017: Beim Ironman auf Hawaii lief es für Jan Frodeno zunächst auch nach Plan, doch dann streikte sein Körper. Hier erzählt er, warum er trotzdem weitermachte. Ein Drama in 14 Akten.

1. Die Vorbereitung

In diesem Jahr lief's richtig gut. Ich hatte keine Wehwehchen, mal abgesehen von einer Erkältung im Sommer und paar Wochen zuvor. Ich bin nicht so müde auf Hawaii angekommen, war im Kopf frischer als sonst - und ich hatte noch mehr Bock. Mehr ging eigentlich nicht.

2. Die Motivation

Die Rolle des Gejagten kenne ich ja nun seit zwei, drei Jahren. Für mich ist das keine Belastung, eher ein Schub. Die Aussicht, das Triple beim Hawaii-Ironman zu schaffen, war natürlich etwas Besonderes, hat mich selbst aber nicht so interessiert. Die Saison wird halt jedes Jahr daran gemessen, ob du gut warst auf Hawaii. Die anderen Rennen geraten schnell in Vergessenheit.

3. Die Erwartungen

Klar, die nagen immer im Hinterkopf. Ich werde ja nicht dafür bezahlt, dass ich so ein feiner Kerl bin, sondern weil ich Leistung bringe, die mich messbar macht. Seitdem ich Vater bin, gibt es da aber noch ein anderes Wertesystem: Mein Sohn findet mich auch toll, wenn ich mal nicht gewinne. Nicht so toll wie seine Mama, aber immerhin. Dieses fröhliche unbeschwerte Kind erdet mich und gibt mir Ruhe, weil ich sehe: Es ist ein gewaltiges Privileg, ein Leben als Triathlet führen zu dürfen. Es ist ein fantastischer Sport, aber eben genau das - und nicht mehr.

Zur Person
Foto: Felix Rüdiger

Jan Frodeno, geboren 1981 in Köln, ist einer der erfolgreichsten deutschen Triathleten. Er gewann 2015 und 2016 den Ironman auf Hawaii und wurde 2008 Olympiasieger. Am 15. Oktober 2017 wollte Frodeno auf Hawaii erneut siegen, stand kurz vor der Aufgabe. Es gewann Patrick Lange in Rekordzeit (8:01:39 Stunden). Frodeno ist mit der dreifachen Triathlon-Weltmeisterin Emma Snowsill verheiratet. Das Paar hat zwei Kinder und lebt wechselnd in Australien und Spanien.

4. Die Konkurrenz

Wir Deutschen sind schon eine starke Bande. 2016 haben wir auf Hawaii das komplette Podium besetzt. Es gibt auch andere Nationen mit extrem starken Athleten, aber es war schon absehbar, dass es am Ende auf Sebastian Kienle oder Patrick Lange hinauslaufen würde. Und Patrick hat dann ja wirklich gewonnen, Sebi wurde Vierter (hier erfahren Sie mehr zum Ausgang des Ironman 2017).

5. Das Rennen

Beim Schwimmen dachte ich noch: Heute geht's aber flott vorwärts. Ich hatte "gute Arme", ein gutes Gefühl, auch eine prima Position und konnte das Tempo jederzeit so gestalten, wie ich wollte. Der Wechsel lief auch problemlos, aber auf dem Rad habe ich bald gemerkt, dass ich nicht die Über-Beine habe. Aber das ist normal auf Hawaii, man fühlt sich dort einfach nicht zu jedem Zeitpunkt wie Rocky, das Rennen verläuft eher in Wellen. Also kein Grund zur Sorge. Kurz nach der Hälfte der 180 Rad-Kilometer wurde mir dann klar: Heute muss ich tatsächlich kämpfen - denn das Rennen war sehr schnell.

6. Der Schmerz

In dieser Phase habe ich zum ersten Mal den Druck an meinem unteren Rücken gespürt und gedacht: Oh, was drückt denn hier so? Habe ich aber ignoriert, wie man das so im Rennen macht, ich dachte: Okay, ja, aber gibt nun echt Schlimmeres und geht wieder weg. Es war der GPS-Transponder, den wir alle tragen müssen. Im Nachhinein gab es aber nichts Schlimmeres. Dieser Druck hat sich dann nach und nach erhöht, aber blieb absolut im Rahmen auf dem Rad. Zum Ende der Radstrecke konnte ich noch mal einiges auf die Führenden gutmachen und war eigentlich in der perfekten Position. Beim Wechsel vom Rad zum Laufen sah auch noch alles gut aus: Lionel Sanders, bekanntermaßen ein super Radfahrer, lag vorn, 30 Sekunden danach kam Sebi, neunzig Sekunden später ich, andere schnelle Läufer um Patrick Lange waren nicht zu sehen. Alles super, dachte ich. Kurzer Blick auf die Uhr: 5 Stunden 14. Ich dachte: Das könnte aufgehen. Aber kaum war ich aus der Wechselzone, habe ich gemerkt: Ich habe nicht nur schwere Beine, das ist nach dem Wechsel eigentlich normal, sondern vor allem habe ich diesen relativ starken Schmerz im Rücken gespürt. Diesen Moment kennt der Hobby-Sportler vielleicht auch, wenn man denkt: Im Moment zwickt es ein wenig, aber das läuft sich schon raus, wird lockerer, wird besser, bloß nicht so viel dran denken. Also bin ich stramm weitergelaufen und habe versucht, bewusst kleine, kurze Schritte zu machen, um den Rücken nicht weiter zu strapazieren. Hat leider nichts geholfen.

7. Die Blockade

Dann ging's wirklich schlagartig schnell. Die Muskulatur hat immer weiter zugemacht und plötzlich auf einen Nerv gedrückt. Und dieser Nerv hat dann im Prinzip den Rest zugemacht, praktisch den ganzen Körper. Auf einmal ging überhaupt gar nichts mehr. Das war ziemlich genau bei Laufkilometer 3,2. Ich lag zum ersten Mal im Gras und habe auf dem Rücken diese klassische Läuferdehnung versucht: Man legt das eine Knie über das andere Bein und drückt die Schulter zur Seite. Aber keine Chance, ich habe mein Bein nicht mal hochgekriegt, die ganze Muskulatur war fest wie ein Amboss. Ich habe eine gute Minute gebraucht, um aus dem Gras aufzustehen.

Frodeno mit Blockade am Streckenrand

Frodeno mit Blockade am Streckenrand

Foto: fx_makesapicture

8. Der Emma-Moment

Ich bin ein paar Meter weiter gewankt, musste aber gleich wieder stehenbleiben. Es wurde immer schlimmer, ich konnte gar nix mehr. Es hat gefühlt allein fünf Minuten gedauert, bis ich mich auf so eine Box gesetzt hatte, die dort an der Strecke stand. Ich wollte mich wieder dehnen und eventuell das Iliosakralgelenk einrenken, das uns Ausdauersportlern ja gern mal auf die Nerven geht. Inzwischen waren meine Frau Emma und mein bester Kumpel dazugekommen. Sie haben mich da kauern gesehen und fragten ständig, ob sie mir helfen sollen. Gut gemeint, aber ich musste alles dankend ablehnen, denn Hilfe leisten dürfen nur Offizielle. Ich wäre disqualifiziert worden, aber ich hatte das Rennen noch nicht aufgegeben. So musste ich helfende Hände mehr oder weniger wegschlagen. Für mich war das eine Riesentragödie: Ich sehe meine Frau, ganz nah, und doch liegen Universen zwischen uns. Drama, Baby. Emma hatte Sorgen, dass ich mich ernsthaft verletze und mir langfristige Schäden zufüge. Und ganz weit im Hinterkopf habe ich selbst auch gedacht: Junge, hast du mit deinem blöden Ehrgeiz ernsthaft was kaputt gemacht? Und: Vielleicht war's das ja jetzt endgültig. Und wenn es das schon war mit meiner Sportkarriere, die sonst ja eigentlich ganz okay war, dann will ich auf gar keinen Fall mit einem DNF aufhören, diesem schmerzhaften Did Not Finish.

9. Die Härte

Bei allem Frust: Der Schmerz war nicht lebensbedrohlich, ich war energetisch voll fit und leider in keiner Weise betäubt durch die Vorermüdung. Mir war zu jedem Zeitpunkt klar, dass ich auf jeden Fall versuchen werde, mich durchzubeißen. Egal wie. Ich bin davon ausgegangen, dass der Rücken von der Bewegung gereizt worden war und durch Bewegung auch wieder locker wird. Klingt nach Laienmedizin, und das war es auch. Aufgeben war jedenfalls nie eine Option. Bisschen old school der Gedanke, vielleicht nicht im Sinne von Orthopäden, aber diese Haltung gehört auf Hawaii dazu, wo man dem ganzen Finisher-Gedanken Respekt zollt und sicher auch den Konkurrenten. Es ist doch viel cooler, wenn man jemanden richtig besiegt, als wenn bei einem Rivalen am Ende ein "DNF" steht. Zur Ablenkung habe ich kurz die Mathematik ausgepackt und dachte: Okay, 39 Kilometer, das ist noch eine Weile. Aber Ironman ist nun mal ein anderes Wort für Demut.

10. Der Plan

Zunächst habe ich mir den Rest in überschaubare Portionen aufgeteilt; der Weg zur nächsten Verpflegungsstation war schon weit genug. Da habe ich viel Eiswasser bekommen und versucht, langsam ein bisschen Beweglichkeit in die Knochen reinzukriegen, was aber extrem schwierig bis unmöglich war: Alles war so fest, dass ich mich nicht dehnen konnte, ohne an einer anderen Stelle gleichzeitig einen Krampf zu kriegen. Da hat mein Körper wohl den Notknopf gedrückt, den Schutzmechanismus ausgelöst und alles komplett abgeriegelt.

Frodeno wird angefeuert.

Frodeno wird angefeuert.

Foto: fx_makesapicture

11. Das Finale

Zu dem Zeitpunkt waren sicher schon 15 Minuten seit meinem ersten Stopp vergangen, und ich hatte ich alle Konkurrenten an mir vorbeifliegen sehen, die Ersten kamen schon wieder zurück vom ersten Wendepunkt der Lauf-Strecke. Spätestens da war klar, dass das Rennen aus Wettkampfsicht für mich gelaufen ist, aber ich hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, das Ding irgendwie ins Ziel zu bringen. Nachdem ich zwei Kilometer gegangen bin, hat sich langsam eine Besserung gezeigt, also weiter im Trab. Das war zwar schmerzhaft, aber Bewegung macht es besser. Ich dachte mir, ich probier's einfach und jeder getrippelte Schritt ist noch schneller als Gehen. Dann habe ich mir unterwegs noch Sonnencreme besorgt, weil ich schon echt lange unterwegs war. So langsam hat sich die Krampferei dann gelöst. Schmerzhafter war eigentlich mein eigenes Emotionskarussell. Ich war extrem enttäuscht und fühlte mich auch ein bisschen gedemütigt. Ich war in der perfekten Position gewesen, die magische Acht-Stunden-Marke lag wirklich nahe. Und dann so was. Das tut weh, aber ich konnte einfach nichts dagegen machen, auch mein Wille half nichts. In solchen Momenten schwirren viele, sorry, beschissene Gedanken durch den Kopf. Ich habe mich echt über die Sonnenbrille gefreut, weil die Leute dann nicht sehen, ob es Schweiß oder Tränen sind, was da läuft. Salzig ist beides.

12. Die Fans

Die Reaktion der Fans habe ich zunächst überhaupt nicht verstanden. Die Menschen an der Strecke fanden offenbar cool, dass ich das Ding irgendwie zu Ende bringe. Da denkt man in dem Moment ja gar nicht dran. So ziemlich jeder, der am Streckenrand oder auch im Wettkampf unterwegs war, hat mir einen Klaps auf die Schulter gegeben und gesagt: Komm Junge, Scheißtag heute, kennen wir alle, aber weitermachen! So habe ich mich bis ins Ziel geschleppt und mal wieder festgestellt: Es gibt keinen großartigeren Sport als Triathlon, mit all diesen wunderbar verrückten Menschen. Das spürt man erst in der Niederlage so richtig intensiv.

Frodeno kurz vorm Ziel

Frodeno kurz vorm Ziel

Foto: fx_makesapicture

13. Im Ziel

9:15,44 Stunden hab ich am Ende gebraucht, wie bei jedem Ironman war ich erst mal froh, dass es vorbei war. Dann kamen diese vielen widersprüchlichen Gefühle. Totale Trauer über die Niederlage, aber auch Dankbarkeit für all die Leute, die im Ziel gewartet haben, um mich noch mal anzufeuern. Na gut, dafür habe ich auch die perfekte Tragödie geboten. Als ich dann allein war und die Enttäuschung noch mal so richtig kam, lag ich erst mal bei Emma in den Armen und habe versucht, diese Enttäuschung zu verdauen und zu verarbeiten. Dann musste ich mich für die Interviews noch mal zusammenreißen, was emotional echt hart war, weil ich das ganze Drama zum ersten Mal selbst in Worte fassen musste.

14. Und jetzt?

Ich war schon als Kind legendär schlecht beim Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spielen, konnte nicht verlieren und bin in meinem Freundeskreis berüchtigt dafür, dass ich auch mal das Brett umgeschmissen habe. Also, Freunde, ich werde auch weiterhin dafür arbeiten, ganz oben zu stehen. Ich werde auf jeden Fall noch mal durchstarten, ich weiß, es warten noch einige Jahre auf mich. Mein kluger Vater sagt: If it's not happy, it's not the end. So sieht's aus.

Aufgezeichnet von Achim Achilles
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