Wimbledon-Sieger Federer Champion in Teilzeit

Roger Federer scheint so unschlagbar zu sein wie zu besten Zeiten. In wenigen Wochen könnte der Schweizer schon wieder die Nummer eins der Welt sein - obwohl er nur wenige Turniere spielt.
Von Philipp Joubert
Roger Federer

Roger Federer

Foto: Peter Klaunzer/ dpa

Zunächst hatte kaum jemand die Tränen bemerkt. Selbst die Regisseure der BBC schnitten erst verspätet auf Marin Cilic. Da saß der fast zwei Meter große Kroate im Wimbledon-Finale beim Spielstand von 3:6, 0:3 auf seinem Stuhl, Physiotherapeuten und einen Arzt um sich. Cilic verdeckte die Augen mit einem Handtuch. Immer wieder hatte sein Coach Jonas Björkman in letzter Zeit gefordert, der eigentlich so höflich-nette Cilic müsse gemeiner auf dem Platz werden, seine Gegner die eigene Länge und Physis spüren lassen. Cilic hatte die Vorgabe zwei Wochen lang mit grimmigem Dauerblick umgesetzt.

Erst knapp zwei Stunden nach Matchende klärte Cilic in seiner Pressekonferenz auf, was ihn so erschüttert hatte: eine entzündete Blase, die den Kroaten seit dem Halbfinale ärztlicher Dauerbehandlung aussetzte. "Ich war einfach sehr enttäuscht, dass ich nicht mein Bestes geben konnte in so einem wichtigen Match," sagte der 29-Jährige: "Die Schmerzen waren nicht so groß, dass sie mich zu Tränen getrieben haben. Es war einfach nur die Enttäuschung."

Nur in den ersten paar Minuten hatte Cilic mehr als Gegenwehr leisten können. Durch seine Spannweite kann der Kroate den Ball stark beschleunigen. Genau so hatte er vor zwei Jahren die US Open gewonnen und dabei Federer im Halbfinale vorgeführt. Vor dem Semifinale hier in London hatte Federer vor den verbliebenen Hünen, Cilic, Tomas Berdych und Sam Querrey gewarnt: "Alle drei haben mächtige Aufschläge, Vorhände, können den Ball richtig treiben. Da muss ich mich mir meinen Weg durch die Matches suchen - mit meinen Slice-Bällen und Spins."

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Federers Triumph in Wimbledon: Acht!

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Wie so eine technische Analyse in der Realität aussieht, ließ sich am Sonntag bestaunen. Denn Federer hat den größten Werkzeugkasten im Tennissport. Der 35-Jährige verweigerte Cilic jeden Rhythmus, servierte auf dessen Körper, um ihm erst gar keine Angriffswinkel beim Rückschlag zu geben. Zeitgleich machte Federer im Gegenzug den Platz so breit wie möglich für seinen Gegner. Auch ein verletzungsfreier Cilic hätte wohl enorme Schwierigkeiten gehabt. Aber am Ende blieb ohnehin die Erkenntnis: Manchmal ist das Spiel das Ereignis und an anderen Tagen eben das Ergebnis.

Denn Federer nimmt nicht nur den achten Wimbledonsieg mit nach Hause, schrieb eine Handvoll neuer Rekorde in sein Karrierebuch. Vor allem schloss der Schweizer schon wieder einen Kreis. Vor zwölf Monaten war Federer durch das Wimbledon-Turnier geächzt, hatte sich mit Rücken- und Kniebeschwerden im Viertelfinale an seinem heutigen Finalgegner vorbeigemogelt. Eine Runde später war dann trotz einer Führung gegen Milos Raonic Schluss gewesen. Nur zweieinhalb Wochen nach der Niederlage, die wieder vermehrt Fragen nach dem endgültig überschrittenen Karrierezenit aufgeworfen hatte, beendete Federer die Saison.

Zur Überraschung aller kam Federer im Januar 2017 in Top-Form zurück. Mit seinem Sieg gegen Rafael Nadal im Finale der Australian Open holte er seinen ersten Grand-Slam-Titel seit fünf Jahren. Dabei hatte es zu Jahresbeginn nur ein Ziel gegeben: Beim Wimbledonstart in Top-Form zu sein, um doch noch einmal einen wohl finalen Höhepunkt im Tennisherbst zu setzen.

Der Unterschied zu 2016? Federer ist fit

Hier in Wimbledon schlug Federer zwar keinen seiner langjährigen Rivalen. Nadals Spiel ist nicht mehr gemacht für den Rasen, Andy Murray und Novak Djokovic blicken eigenen Verletzungspausen entgegen. Aber Federer besiegte nicht nur Cilic, sondern auch seinen letztjährigen Bezwinger Raonic.

Der wurde nach der klaren Viertelfinalniederlage gegen Federer gefragt, was den Unterschied zu 2016 ausmache, die kleinen technischen Änderungen etwa oder etwas anderes Spielerisch-raffiniertes. Für Raonic war die Sache klar: Federer ist verletzungsfrei, Federer bewegt sich gut, ist so rechtzeitig am Ball und hat das damit einhergehende Selbstvertrauen.

Federer stimmte der Analyse bei seiner Pressekonferenz zu: "Das Ziel vor dem Turnierstart war einfach, in einer physischen Verfassung zu sein, in der ich wenn nötig siebenmal fünf Sätze spielen können würde." Auch Federer hatte bei der Trophäenübergabe Tränen vergossen. Jetzt war er nüchtern-abgeklärt.

Aber zum Abschluss gab es noch einmal das typische Federer-Grinsen, als er darauf angesprochen wurde, was ihn motiviere. "Ich liebe es immer noch, auf der großen Bühne zu spielen. Ich habe kein Problem mit dem Training und der ganzen Reiserei", sagte Federer und fügte an: "Da ich ja nicht mehr so viele Turniere spiele, fühlt es sich sogar fast wie Teilzeitarbeit an."

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