Box-Niederlage gegen Fury Kann Klitschko noch einmal zurückschlagen?
68 Profikämpfe hat Wladimir Klitschko bestritten, 64 davon gewonnen. Er ist ein Perfektionist und man hätte meinen können, als solcher habe er sein Talent zur Vollendung gebracht, Klitschko schien unschlagbar. Und dann kam diese Niederlage gegen Tyson Fury, der vielen TV-Zuschauer vor dem Kampf wohl eher kein Begriff war, und Klitschkos Selbstverständnis ist erschüttert.
Im März wird er 40 Jahre alt, mit einer Niederlage abzutreten war und ist in Klitschkos Karriereplanung nicht vorgesehen. Er bekommt die Chance zur Revanche, so hatte es sich Klitschkos Manager Bernd Bönte schon vor dem Duell am Samstagabend vertraglich zusichern lassen. Wann und wo diese stattfindet, steht noch nicht fest. In den kommenden Tagen werde darüber entschieden, hieß es aus dem Klitschko-Team, das wie der Boxer selbst unter dem Eindruck dieser zwölf Runden stand.
Manager Bönte sagte danach, es sei einfach "one of those nights" gewesen, kein Grund zur Sorge, sollte das heißen. Während Bönte sprach, konnte man Klitschko, der daneben saß, ansehen, dass das für ihn keine befriedigende Erklärung war. An Glück oder Pech glaubt Klitschko nicht. Wer sich eine Stunde lang die Hand bandagieren lässt, bis alles sitzt, wischt so eine Pleite nicht einfach beiseite. Klitschko sagte nur, es sei zu früh, um zu analysieren.
Technik nicht gut, Kondition nicht gut
Ein bisschen mehr trugen andere aus Klitschkos Team zur Aufarbeitung bei. Sein Trainer Jonathan Banks sagte, es sei anders gelaufen als geplant. Nicht nur was das Ergebnis angeht, sondern auch die Herleitung. Und der Bruder des Entthronten, Vitali Klitschko, staunte immer noch: "Normalerweise ist mein Bruder einer der besten Techniker und er hat eine sehr gute Kondition. Heute war seine Technik nicht gut und seine Kondition auch nicht."

Wladimir Klitschko hatte wie fast immer angefangen: zurückhaltend, vorsichtig, sich Jab für Jab mit kurzen Schlägen der Führhand an den Gegner herantastend. Klitschko hat schon den unterschiedlichsten Typen von Boxern gegenüber gestanden: Standhafte Riesen, wie Mariusz Wach, der vier Zentimeter größer war als der Ukrainer - und trotz vieler Treffer nicht umfiel. Klammerer, wie Alexander Powetkin, der Klitschko kaum loslassen wollte, um den gar nicht erst ausholen zu lassen. Oder David Haye, ähnlich komplett wie Klitschko, aber eben nicht ganz. Und Klitschko hat sie alle besiegt, mit jedem Triumph wuchsen das Selbstbewusstsein und sein Ansehen in der Szene.
Und dann kam der hin- und herwankende Fury, der Mann aus Gelee, dessen Taktik fast ausschließlich daraus bestand, Klitschko keine Taktik entwickeln zu lassen, und hatte damit Erfolg.
Tyson lässt kein Muster zu
Fury und sein Trainer hatten erkannt, dass Klitschko sich Zeit nimmt, um den Gegner im Ring noch mal zu prüfen. Wie bei einem Puzzle fügt er dann alles zusammen. Wie greift er an? Wie kontert er? Wohin weicht er aus? Normalerweise hat Wladimir Klitschko den Großteil der Teile schon aneinander gelegt. Runde für Runde kommt er weiter voran, bis es komplett ist. Dann folgt meist der K.o. Tyson Fury hat das nicht zugelassen. Es gab kein Muster. Klitschko schaute und wartete. Wartete. Wartete. Bis es zu spät war, wie er später einsehen musste.
Dass es nun Fury geworden ist, der Klitschko diese fast schon für unmöglich geglaubte Niederlage zufügte, ist keine schlechte Pointe. Mit jedem Herausforderer schien in den vergangenen Jahren das Ausmaß an Skurrilität zuzunehmen, mit der sie sich aufführten. Nun hat es der Unorthodoxeste von ihnen tatsächlich geschafft.
Was Fury unterscheidet von seinen gescheiterten Vorgängern, ist seine Authentizität. Er hat sich seine schrille Art nicht angezogen wie einen quietschbunten Anzug, sondern war tatsächlich schon immer so. Bei YouTube gibt es Stunden über Stunden mit exzentrischen Auftritten von Fury, plötzlichen Gesangseinlagen, Schimpftiraden, Bibelzitaten.
Man muss Fury beileibe nicht mögen für seine Sprüche und Spielchen. Aber respektieren sollte man ihn für das, was er geschafft hat. Dafür, dass er der Welt gezeigt hat, das Wladimir Klitschko eben doch zu besiegen ist, auch von Gegnern, die weniger austrainiert wirken und deren größte Stärke nicht die K.-o.-Wucht im Arm ist.
Fury hat dem Ganzen neues Leben eingehaucht
Klitschko-Trainer Banks sagte im Vorfeld des Kampfes, wenn Wladimir eines Tages besiegt werden sollte, beginne im Schwergewichtsboxen eine neue Zeitrechnung. Keiner habe das Zeug, sich lange an der Spitze zu halten. "Die Weltmeistergürtel werden rumgereicht werden wie Truthähne an Thanksgiving", zitierte die BBC Banks in einem Text unter der Überschrift "Hat Wladimir Klitschko wirklich das Schwergewichtsboxen auf dem Gewissen?". Die Frage war eigentlich die Antwort, die Siegesroutine grenzte schon länger an Langeweile. Jetzt hat Fury dem Ganzen neues Leben eingehaucht.
"In dem Moment, in dem ich mich selbst für den größten Boxer der Schwergewichtsgeschichte halte, wird meine Karriere vorbei sein", hat Klitschko mal gesagt. So weit ist es noch nicht, Klitschko ist noch immer der kompletteste Schwergewichtler der Welt. Aber es wird spannend zu beobachten sein, wie er sich wieder aufbaut. In den vergangenen Jahren hat er immer wieder betont, wie sehr ihm seine Niederlage 2004 gegen Lamon Brewster zugesetzt hat. Damals war er im besten Alter. Jetzt ist er in den letzten Jahren seiner Karriere, einfacher wird ein Neustart da nicht.