Zensur bei Olympia IOC-Chef Rogge kassiert sein Versprechen
Peking - Der mächtigste Mann des Weltsports macht einen Salto rückwärts. Der Belgier Jacques Rogge, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), nahm seine Versprechen zurück, Journalisten würden während der Olympischen Spiele in Peking freien und unzensierten Zugang zum Internet erhalten. Der 66-Jährige sprach an diesem Samstag im Hauptpressezentrum der Olympiastadt nur noch vom "größtmöglichen" Internetzugang. Gleichzeitig verdeutlichte er den Reportern aus aller Welt: "So weit ich es hier überblicke, haben Sie exzellente Arbeitsbedingungen."

IOC-Präsident Rogge: "Einfach exzellent, ausgezeichnet, fehlerlos"
Foto: DPARogge erklärte, er habe unmittelbar nach seiner Ankunft in Peking zwei hochrangige Offizielle angewiesen, mit dem Organisationskomitee Bocog Klärungen herbeizuführen: den Schweizer Gilbert Felli, IOC-Exekutivdirektor für Olympische Spiele, und den Holländer Hein Verbruggen, Chef der wichtigen IOC-Koordinierungskommission für Peking. "Ich habe ihnen das aufgetragen, einen Tag später hatten wir Erfolg", sagte Rogge. Er führte eine Reihe von Internetseiten auf, die nun wieder unzensiert zu nutzen seien, so nannte er die chinesischen Seiten der BBC und von Wikipedia.
Seiten wie die der Falun Gong, von Tibet-Organisationen oder Demokratiebewegungen, die weiterhin geblockt werden, erwähnte Rogge nicht. Auch auf die Zensur von Fernsehprogrammen ging er nicht ein. Stattdessen verkündete er, in den 40 Jahren, seit er an Olympischen Spielen teilnimmt, noch nie so gute Vorbereitungen erlebt zu haben. "Einfach exzellent, ausgezeichnet, fehlerlos." Das Olympische Dorf sei das beste aller Zeiten.
Überraschend hatte sich Rogge am Samstag den Medien gestellt, weil die Sitzung seines Exekutivkomitees, die eigentlich bis Sonntag dauern sollte, bereits beendet war. Die Internetfrage sei drängend gewesen, räumte Rogge ein. Grundsätzlich aber sei dieses Thema nachrangig. Jeden Versuch der Journalisten, ihn den Unterschied von "freiem Internetzugang" und "größtmöglichem Zugang" definieren zu lassen, wehrte Rogge routiniert ab. Ebenso die Frage, ob er sich wie Gosper entschuldigen wolle: "Ich entschuldige mich nicht für etwas, was das IOC nicht zu verantworten hat." Dies sei eine Sache der chinesischen Behörden. Hein Verbruggen, Rogges Mann fürs Grobe, hatte zuvor behauptet, China erlaube mehr, als es zugesagt hat. Es ermöglicht auch den freien Zugang zu Themen, die nichts mit Olympia zu tun haben."
Die Australierin Glenda Korporaal, Biografin von Rogges IOC-Kollegen Gosper, wollte wissen, ob es nicht naiv gewesen sei, sich angesichts der Zensurpraxis auf die Chinesen zu verlassen. "Naiv oder nicht, ist hier nicht die Frage", antwortete Rogge. "Wir sind Idealisten, und Idealismus ist immer auch mit Naivität verbunden." Es sei "total irrelevant", darüber zu spekulieren, ob die weltweite öffentliche Empörung über die Internetzensur oder die Reaktion des IOC am Freitag einige Verbesserungen gebracht haben. Was die Reporter auch versuchten, Rogge blieb eiskalt. In einer Woche werde "die Magie der Spiele" das Kommando übernehmen, formulierte er.
Die Internetdebatte hat einmal mehr die Schwachstellen in der IOC-Propaganda offengelegt. Die gebetsmühlenartig wiederholten Behauptungen Rogges oder seines Vizepräsidenten Thomas Bach, freie Berichterstattung sei gewährleistet, wurden ad absurdum geführt. Das IOC hat zwar mit den Chinesen einen sogenannten Host City Vertrag geschlossen, auf den man sich auch in der Menschenrechtsdiskussion gern beruft. Doch dieser Vertrag ist kein öffentliches Gut, sondern ein streng vertrauliches Dokument so ist nicht zu überprüfen, wer lügt und wer die Wahrheit sagt.
Die Debatte belegt erneut auch die desaströsen Mängel in der Kommunikationspolitik des IOC. Pressechef Gosper behauptet, er sei nicht über die Lage informiert, obwohl er doch in der Koordinierungskommission für Peking Verbruggens Stellvertreter ist. Rogge spricht noch vor wenigen Tagen von freiem und unzensiertem Internetzugang. Jeder widerspricht jedem, gleichzeitig aber pflegt man die Haus-Propaganda.
Und die Engländerin Giselle Davies, laut Funktionsbeschreibung IOC-Kommunikationsdirektorin, sitzt zwischen den Stühlen. Sie zählt nicht zum kleinen Kreis derjenigen in der IOC-Administration in Lausanne, denen Rogge total vertraut. Davies ist frustriert, sie will das IOC verlassen. Die Trennung werde nach den Peking-Spielen bekannt gegeben, verlautet aus verlässlichen Quellen.
"In jedem Land der Welt gibt es Internetrestriktionen"
"Auf die Olympischen Spiele bezogen gibt es freien Internetzugang", behauptet etwa der Amerikaner Michael Kontos, einer der Spin-Doktoren des IOC. Kontos ist seit dem IOC-Bestechungsskandal Anfang 1999 im olympischen Bereich tätig. Damals wurde er von der PR-Agentur Hill & Knowlton als Krisenmanager eingesetzt. Inzwischen berät Kontos das IOC, ist als Kommunikationschef der Olympiabewerbung von Chicago für 2016 tätig und berät gleichzeitig das chinesische Organisationskomitee Bocog. "In jedem Land der Welt gibt es Internet-Restriktionen", sagt Kontos. "Was sich nicht mit den Gesetzen eines Landes verträgt, kann auch nicht frei zugänglich gemacht werden." Diese Aussage, so demagogisch sie ist, darf im IOC als mehrheitsfähig gelten.