Spiel mit Grenzen
Das wissen Sie doch, daß wir daran nicht interessiert sind«, winkten die DDR-Unterhändler ab und strichen die bundesdeutsche Wunschliste für den gesamtdeutschen Sportverkehr 1977 auf 20 Prozent ihres ursprünglichen Umfangs und auf Wettkämpfe von Leistungssportlern zusammen.
Die Delegation des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) der DDR nahm im Dezember nach zähen Verhandlungen mit dem Deutschen Sporthund (DSB) über den deutsch-deutschen Sportverkehr 1977 von 312 Vorschlägen 68 an. »Unbefriedigend«, raunzte DSB-Präsident Willi Weyer. Gegen Polen trugen Bundessportler 1976 schon 250 Wettkämpfe aus.
Zünftige Vereins-Begegnungen auf unterster Ebene, den Sport mit Spaß und Bier, schließt die DDR grundsätzlich aus, sogar im Rahmen des kleinen Grenzverkehrs. Allenfalls zwei bis drei Mannschaften unterer Klassen, wie TuS Buxtehude oder SSV Viktoria Oldenburg, rutschten als Alibi in den Jahreskalender.
Auch Jugendwettkämpfe wünscht der DTSB nicht. Bisher fand nur 1976 in Hagen ein Jugendländerspiel im Fußball statt (1:1), immerhin das erste und einzige für die DDR außerhalb des offiziellen europäischen UEFA- Jugendturniers.
Schließlich klammert die DDR einige Sportarten wie Basketball und Badminton, Schach und Wasserball aus, in denen sie sich nicht stark genug wähnt. Länderkämpfe im Hockey, Kegeln und Rugby schlug sie aus. »Ob 60 oder 70 Begegnungen«, bedauerte DSB-Generalsekretär Karl-Heinz Gieseler, »es bleibt eine Bilanz des Mangels.«
Auch der SPD-Pressedienst schrieb von »vermeidbaren Belastungen« und hielt fest, daß die DDR auf keinem Gebiet die innerdeutschen Beziehungen so abblocke wie im Sport. SPD-Sprecher Jochen Büchner erinnerte an den Grundlagenvertrag und die KSZE-Vereinbarungen, aus denen sich »für die Regierung der DDR die Pflicht« ergebe, auch die Sportbeziehungen auszuweiten und »bürokratische Hemmnisse abzubauen«.
»Umfang und Ausmaß des Sportverkehrs bestimmen wir«, hatte DDR-Sportchef und SED-ZK-Mitglied Manfred Ewald verkündet. Die SED billigt möglichst nur Wettkämpfe von internationalem Leistungszuschnitt. Ihre Siegeschancen sollen womöglich besser als fifty-fifty stehen.
Kämpfe von Klub zu Klub mit dem erhöhten Risiko von Niederlagen und menschlichen Kontakten sind selten im deutsch-deutschen Terminkalender: Unter den 62 für 1976 vereinbarten Veranstaltungen befanden sich nur 13 Vereins-Wettkämpfe, 1977 sind etwa ein Drittel bilaterale Begegnungen eingeplant, aber nur drei Spiele mit Mannschaften der Fußball-Bundesliga.
Meist entpuppten sich gesamtdeutsche Alibi-Wettkämpfe als Teil internationaler Veranstaltungen. Internationale Schaulaufen der Eiskunstläufer oder Skispringen der Vierschanzentournee, an denen DDR-Athleten ohnehin teilnehmen, zählten mit, so segelten und segeln auch 1977 DDR-Crews bei der Kieler Woche mit. Zwei deutsche Mannschaften nehmen am Ostsee-Pokalturnier teil. Sogar Trainingslager deutscher Bobfahrer und Rodler in Oberhof und Königsee schönten die Bilanz.
Ihre Politik der Abgrenzung behalten die DDR-Funktionäre auch bei den einmal vereinbarten Treffen stets im Sinn. Als die Judo-Mannschaft des VfL Wolfsburg zum Vergleichskampf mit dem SC Dynamo Hoppegarten in Potsdam eintraf, verfrachteten die Gastgeber sie in ein abgelegenes Hotel. Der Wunsch nach einem Stadtbummel blieb unerfüllt.
Fans aus der Bundesrepublik werden abgewimmelt. Das DDR-Publikum dagegen »machte jedenfalls einen ausgesuchten Charakter«, empfand die »FAZ« anläßlich eines Boxvergleichs zwischen Traktor Schwerin und Ringfrei Mülheim.
Vom Bankett nach dem Wettkampf schließen die Gastgeber den Abgesandten der Bonner Vertretung in Ost-Berlin aus. Wie oft bei Sportbanketts sitzen Gäste und Gastgeber getrennt, doch bevor es wie gewöhnlich zu bunter Reihe kommt, steht die DDR-Truppe geschlossen auf und wünscht einen »guten Abend«.
Viele DDR-Sportler, -Trainer und -Funktionäre haben Verpflichtungen unterschrieben, die ihnen persönliche Beziehungen zu Bürgern westlicher Länder verbieten. Besonders loyale SED-Mitglieder erhalten den Auftrag, Gäste aus dem Westen zu betreuen und deren Kontakte zur DDR-Mannschaft zu kontrollieren. Als der HSV im Europacup gegen Dynamo Dresden spielte, überwachte etwa Volksarmee-Oberst Herbert Gasch die Dynamo-Truppe.
Reisen DDR-Sportler in die Bundesrepublik, lehnen ihre Funktionäre Privatquartiere ab. Sie benutzen nur den eigenen Bus. Stadtrundfahrten unternehmen sie allenfalls geschlossen. Als die Handball-Mannschaft von Schifffahrt/Hafen Rostock bei Hansa Hamburg und TH Eilbek spielte, blieb die Reeperbahn tabu.
Doch es gibt auch verständliche Gründe, warum die DDR den innerdeutschen Sportverkehr mit höchstem Leistungsanspruch auf ein Mindestmaß herabstuft. Der langfristig auf die wichtigsten internationalen Meisterschaften bezogene Trainingsrhythmus verhindert manchen Start der besten Athleten.
So lehnten die DDR-Ruderer einen Start bei der ersten bedeutenden bundesdeutschen Regatta 1977 in Mannheim ab: »Dann stecken wir noch voll im Training und haben unsere Boote noch nicht zusammengestellt.«
Die Turner wichen einem Länderkampf aus, vermutlich, weil die neue DDR-Riege erst zur Weltmeisterschaft 1978 gebildet wird. Für die Turnerinnen bot der DTSB 1976 dagegen überraschend einen Vergleichskampf an; nach dem Rücktritt erfahrener Olympia-Turnerinnen erprobte die DDR eine neue Riege.
Schließlich vertilgt die DDR in einigen Sportarten trotz eines schier unerschöpflichen Nachwuchsreservoirs nur über wenige erfahrene Spitzen-Athleten, die zudem mit Einladungen überhäuft werden. Etwa im Eishockey fördert die DDR nur zwei Mannschaften, die auch die Meisterschaft untereinander ausspielen. Meister Dynamo Berlin mußte im Europacup gegen den (West-) Berliner SC antreten und schied aus.
Überdies sind die Wettkampf-Beziehungen zu den Ostblock-Staaten »das Kernstück der internationalen Tätigkeit«, wie das Ostberliner »Sportecho« schrieb. Mit der CSSR trug die DDR 1975 schon 2000 Wettkämpfe aus, bei Veranstaltungen mit DDR-Athleten und Polen starteten 60 000 Sportler.
Trotz der enttäuschenden Ergebnisse der deutsch-deutschen Sport-Begegnungen wollen die Unterhändler aus der bundesdeutschen Vertretung in Ost-Berlin und vom DSB zäh weiterverhandeln. »Bei Sportwettkämpfen«, freute sich DSB-Generalsekretär Gieseler, »dürfen junge Leute unter 65 Jahren aus der DDR zu uns.«
Gelegentlich pfuscht der Zufall den DDR-Abgrenzern ins Spiel. Die spannendsten deutsch-deutschen Wettkämpfe kamen durch das Los zustande -- in Europacupspielen, bei der Olympia-Qualifikation im Handball und in der Fußball-Weltmeisterschaft. Dabei erkämpfte die DDR auch ihren wertvollsten Sieg, das 1:0 gegen den späteren Weltmeister.