Diego Schwartzman im French-Open-Halbfinale
Wehe, wenn er zupackt
Gegen Superstar Rafael Nadal gilt Diego Schwartzman im Halbfinale von Roland Garros als krasser Außenseiter. Dabei hat der kleine Argentinier bewiesen, dass er die Großen schlagen kann.
Zwei Tage nach dem epischen Fünfsatzmatch gegen Dominic Thiem bei den French Open läuft Diego Schwartzman am Donnerstag in Trainingsmontur über die Anlage im Bois de Boulogne. Der Argentinier hat eine ausladende Tennistasche geschultert, auf seinem Rücken wirkt sie unwirklich überdimensioniert. Wegen der kühlen Witterung im Pariser Herbst trägt er eine Pudelmütze und eine dicke Daunenjacke.
Niemand auf der Anlage erkennt in diesem in Watte gepackten Michelin-Männchen Diego Schwartzman. Dabei steht der 28-Jährige zum ersten Mal in seiner Karriere in einem Major-Halbfinale und trifft dort an diesem Freitag auf den großen Rafael Nadal (ab 14.50 Uhr, Liveticker SPIEGEL.de; TV: Eurosport). Dabei fällt Schwartzman durchaus auf.
Da ist zunächst seine Größe. Schwartzman ist deutlich kleiner als die anderen Tennisprofis. Auf der Seite der ATP wird seine Größe offiziell mit 1,70 Meter angegeben. Glaubwürdigen Quellen zufolge soll er sogar drei Zentimeter kleiner sein. Er selbst lacht nur etwas verlegen darüber - sprechen möchte er über das Thema nicht mehr.
Schwartzman während der Viertelfinalpartie im Pariser Regen: "Er hat Thiem im fünften Satz vernichtet"
Foto: IAN LANGSDON/EPA-EFE/Shutterstock
"El Peque", der Kleine, wie sie ihn in seiner Heimat nennen, ist ein bescheidener Mann. Er ist bemerkenswert uneitel für einen Weltklassespieler, dazu fast immer gut gelaunt. Carlos Moya, der Trainer von Nadal, sagte einmal über ihn: "Ich wünsche mir, dass es noch mehr Schwartzmans auf der Tour gibt." Seine Gegner wünschen sich das vermutlich eher nicht.
Auf dem Platz ist der Argentinier, den sie in seiner sportverrückten Heimat verehren, ein unangenehmer Kontrahent. Auch Nadal bekam das unlängst zu spüren. Mitte September, beim Masters in Rom, unterlag der Spanier im zehnten Duell der beiden erstmals gegen Schwartzman. Es war ein Match, das die bevorzugte Spielweise des Argentiniers wunderbar spiegelte und in ihrer Perfektion dem fünften Satz gegen Thiem in Paris ähnelte.
"Drück mir die Daumen"
Schwartzman, der auf Vorfahren aus Deutschland, Russland und Polen verweisen kann, ist ein klassischer Returnspieler und smarter Stratege. In langen Ballwechseln legt er sich seine Gegner zurecht, treibt sie weit heraus in die Ecken und packt dann, wie eine Schlange auf Beutezug, irgendwann zu. "Er hat Thiem im fünften Satz vernichtet", sagte Amélie Mauresmo, die ehemalige Weltklassespielerin im französischen Fernsehen im Anschluss an die Partie.
Das Schöne an Schwartzmans Spiel: Es verbindet Kampf und Eleganz. Der Weltranglisten-14. verfügt über ein großartiges Ballgefühl und streut immer wieder ansatzlose Stopps ein, die oft so viel Spin haben, dass sie sich in die unterschiedlichsten Richtungen verselbstständigen. Als Fußballspieler wäre Schwartzman wohl ein klassischer Zehner, wie ein anderer kleiner großer Diego.
Im Halbfinale wartet auf Schwartzman Tennis-Superstar Rafael Nadal
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Vor den French Open hatte es "El Peque", der von Ex-Profi Juan Ignacio Chela trainiert wird, bislang in 24 Major-Turnieren dreimal in die Runde der letzten acht geschafft, danach war immer Schluss. Bis jetzt. Vor zwei Jahren spielte Schwartzman schon einmal in Paris gegen Nadal. Im Viertelfinale rettete eine Regenunterbrechung den Spanier, darüber waren sich die Experten hinterher einig. Das hochklassige Spiel war bei einer 1:0-Satzführung von Schwartzman abgebrochen und erst am darauffolgenden Tag fortgesetzt worden. Nadal gewann schließlich in vier Sätzen. Für Freitag sagen die Turnier-Meteorologen besseres Wetter voraus. Mit Matchbeginn soll der Regen am Nachmittag aufhören und der Himmel über Paris aufklaren. Schwartzman wird es recht sein.
Am Vortag trifft man ihn allerdings noch im Nieselregen auf der Anlage von Roland Garros. Schwartzman ist allein unterwegs, einer dieser mittlerweile raren Momente, in denen Profisportler nicht von Trainern, Beratern oder Offiziellen abgeschirmt werden. "Entschuldigen Sie, Diego, wie geht's? Freuen Sie sich auf Nadal im Halbfinale?" Schwartzman bleibt stehen, schiebt den Mund-Nasen-Schutz kurz zur Seite, präsentiert ein Lächeln: "Bueno", sagt er - mit einem "gut" beginnt er gern seine Sätze -, er sei "bereit" für Nadal.
Und dann, schon wieder halb entschwunden, ruft das Michelin-Männchen noch lachend hinterher: "Drück mir die Daumen!"