Sabrina Knoll

Osakas Rückzug bei den French Open Wo ist das Mitgefühl geblieben?

Sabrina Knoll
Ein Kommentar von Sabrina Knoll
Der Verzicht von Naomi Osaka zeigt: Eine 23-Jährige ist einsichtiger, rücksichtsvoller und menschlicher als die ganze Bande, die für die wichtigsten Turniere der Tenniswelt verantwortlich zeichnet.
Naomi Osaka: Hört auf ihre Worte

Naomi Osaka: Hört auf ihre Worte

Foto: CHRISTIAN HARTMANN / REUTERS

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Naomi Osaka hat in den vergangenen fünf Tagen zwei lange Nachrichten auf Instagram verbreitet. Die erste hätte bereits aufhorchen lassen müssen. Und das tat sie auch, allerdings sorgte ihre Ankündigung, bei den French Open den obligatorischen Pressekonferenzen trotz vertraglich drohender Strafen fernbleiben zu wollen, hauptsächlich aus Gründen für Aufsehen, die wenig mit dem eigentlichen Hintergrund der Nachricht zu tun hatten. Schnell waren Kritiker dabei, die Weltranglistenzweite auf ihre privilegierte Situation hinzuweisen, darauf, dass sie ohne Medien, die sie zum Star gemacht haben, keine Millionenverträge von Sponsoren bekommen hätte. Dass es – verdammt noch mal – Teil ihres Jobs sei, man auch mal Dinge tun müsse, auf die man keinen Bock hat. So sei das normale Leben eben, falls sie es nicht mehr erkenne in ihrer Superstar-Version.

Tatsächlich offenbarte Osakas Boykott-Statement, das sie mittlerweile von ihrer Instagram-Seite gelöscht hat, zudem ein durchaus problematisches Medienverständnis. Wenn sie schrieb, dass sie sich Menschen nicht aussetzen wolle, die sie infrage stellen. Wenn sie konstatierte, es sei nichts Persönliches, sie habe schließlich ein freundschaftliches Verhältnis zu einigen Journalisten. Ihr aber vorzuwerfen, sie instrumentalisiere das Thema mentale Gesundheit für eine egoistische Agenda, das verkannte den politischen Menschen, zu dem sich die in den USA aufgewachsene Japanerin entwickelt hat – und es ging am Kern des Problems vorbei.

Mit 23 Jahren ist Osaka nicht nur ein Superstar auf dem Platz, sie ist längst auch außerhalb der Tenniswelt bekannt. Und sie will diese Popularität nutzen. So, wie sie es bereits im vergangenen Jahr getan hat, als sie sich nach dem gewaltsamen Tod des Schwarzen George Floyd und den lebensbedrohlichen Schüssen auf Jacob Blake als einzige Einzelsportlerin den Sportboykotten in den großen US-Ligen angeschlossen und ein Halbfinale bestreikt hat. Als sie im Anschluss bei den US Open erneut die Aufmerksamkeit auf schwarze Amerikanerinnen und Amerikaner lenkte, die durch Polizeigewalt ums Leben kamen, indem sie jeden Tag einen anderen Namen der Betroffenen auf ihrem Mund-Nase-Schutz trug.

In ihrem ersten Post vom Donnerstag verwies Osaka nun auf Spielerinnen und Spieler, die in Pressekonferenzen nach einer Niederlage zusammenbrechen. Sie gelte es zu schützen, nicht zu bestrafen. Solche Situationen gab es immer schon. Doch gerade in dieser Zeit, in der zum Erfolgsdruck die Pandemie und ihre Auswirkungen kommen, sind die physischen Belastungen besonders groß. Auch für Sportlerinnen und Sportler mit vermeintlichen Luxussorgen.

Augenscheinlich wurde das zuletzt, als die Australian Open im Februar den Pandemiebetrieb wagten, die Spielerinnen und Spieler zuvor in zweiwöchige Hotelquarantäne geschickt wurden und immer neue Hiobsbotschaften an den Nerven zerrten. Wer die tiefen Schluchzer von Gaël Monfils nach seinem Erstrunden-Aus gehört, die Tränen der ebenso früh ausgeschiedenen Titelverteidigerin Sofia Kenin gesehen hat, als sie über den Druck sprach, plötzlich Favoritin zu sein, kann nicht ernsthaft behaupten, dass das System nicht verbessert werden könnte.

Vor diesem Hintergrund war das eigentlich Schockierende an Osakas Ankündigung das, was danach zutage trat, geht es doch im Kern um nichts anderes als ein gesünderes Miteinander. Und so hätten die Veranstalterinnen und Veranstalter der vier Major-Turniere einiges in Reaktion auf die Ankündigung ihrer vielleicht populärsten Mitarbeiterinnen tun können. Sie hätten einräumen können, dass ihr auf Regeln und Strafen beruhendes Kontrollsystem möglicherweise einer Überarbeitung bedarf.

Sie hätten erklären können, sich einen Überblick über die Verfassung der Spielerinnen und Spieler, über deren Meinung zu einem offensichtlich veralteten Kontrollsystem verschaffen zu wollen. Stattdessen drohten sie damit , Osaka von allen Grand-Slam-Turnieren auszuschließen, sollte sie sich den Regeln nicht fügen. Es waren deutliche Worte, umwoben von Allgemeinplätzen darüber, dass die mentale Gesundheit der Spielerinnen und Spieler von »höchster Bedeutung« sei.

»Archaisches« und »reformbedürftiges« Zwangssystem

Die Major-Macherinnen und -Macher schreiben in ihrem Statement  zudem, sie hätten vergeblich versucht, mit Osaka zu sprechen, und sähen sich nur deshalb gezwungen, Konsequenzen zu ziehen. Osaka wiederum hatte bereits vor Turnierbeginn in einem erklärenden Brief an die Veranstalter der French Open betont, dass sich ihre Entscheidung nicht gegen das Turnier oder die Medien richte, sondern gegen ein »archaisches« und »reformbedürftiges« Zwangssystem. Und sie schrieb: »Nach diesem Turnier möchte ich mit den Dachverbänden zusammenarbeiten, um herauszufinden, wie wir das System zu aller Zufriedenheit verändern können.« Für Gilles Moretton, Präsident des französischen Tennisverbands, war Osakas Vorstoß ein Beweis dafür, dass das Tennis gerade jetzt eine »strenge Führung« brauche. Spätestens nach der offenen Drohung war klar: Man wollte ein Exempel statuieren, um mit aller Macht den Status quo zu wahren.

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Was sie stattdessen bekommen haben, war eine Lektion in richtigem Umgang mit Situationen, die auch mal aus dem Ruder laufen können; denn mit ihrer zweiten Instagram-Nachricht vom Montag hat Osaka all das getan, was sie sich wohl von jenen gewünscht hätte, die die wichtigsten Turniere der Tenniswelt verantworten. Sie hat sich augenscheinlich Gedanken gemacht über die Kritik an ihren ursprünglichen Aussagen, hat konkretisiert und sich korrigiert, gleichzeitig erstmals Angstzustände und Depressionen offengelegt, die sie seit vielen Jahren immer wieder überkommen. Mit ihrem Rückzug aus dem Turnier hat sie eine Entscheidung getroffen, die für ihre Gesundheit vermutlich die beste ist, zu der es nicht hätte kommen müssen.

Dass es überhaupt so weit gekommen ist, zeigt auch, dass es mit der Solidarität auf der Tour nicht sehr weit her ist. Bereits nach ihrem ersten Statement, spätestens aber nach den Drohungen durch die Turniermacherinnen und -macher hätten ihre Kolleginnen und Kollegen ihr beispringen sollen. Ein öffentlicher Aufschrei über den autoritären Umgang mit einer von ihnen aber blieb aus.

Und so ist es kein Zufall, dass nach Osakas Rückzug Spielerinnen wie Coco Gauff, Serena und Venus Williams oder Sloane Stephens zu den Ersten gehörten, die ihr auch öffentlich Kraft, Mut und Unterstützung zusprachen. Schließlich gehören auch sie zu den wenigen, die eine Haltung zu gesellschaftlich relevanten Themen zeigen und immer wieder Stellung beziehen. Victoria Azarenka schreibt: »Die Herausforderung besteht heutzutage darin, die Menschen von dem Wert der Wahrheit, der Ehrlichkeit, des Mitgefühls und der Sorge um andere zu überzeugen.« Die kommenden Tage werden zeigen, wie schwer es dem Tennis und seinen Protagonisten fällt.

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