Bianca Andreescu Die wilde 19

"Ich freue mich wirklich darauf, was ich in den kommenden Jahren noch tun kann": Bianca Andreescu
Foto: Sarah StierAPNoch wusste Bianca Andreescu nicht, dass der größte Moment ihrer jungen Tenniskarriere keine fünf Minuten mehr entfernt war.
Das Handtuch über dem Kopf, ein letztes Durchatmen beim finalen Seitenwechsel. Die 19-Jährige wird wohl nicht mal mitbekommen haben, was da aus den Boxen des Arthur-Ashe-Stadions knallte: Der Refrain eines Songs von Icona Pop, "I don't care - I love it".
Bianca Andreescu, die hier in New York erst zum vierten Mal im Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers stand und gleich das Finale gegen die beste Tennisspielerin überhaupt, die große Serena Williams, erreicht hatte, stapfte anschließend wieder über den Court, als könnte ihr keiner was anhaben: nicht das frenetische US-Publikum, nicht die Ikone auf der anderen Seite des Netzes. Und was für ein Druck muss nach dem Nervenwackler im zweiten Satz dieses Endspieles entstanden sein.
Am Ende gewann Andreescu - nach einem Vorsprung von 6:3, 5:1 - doch erst mit 6:3, 7:5.
Sehen Sie hier die Highlights des Spiels im Video:
Es gibt Sportler, die treibt die Angst vorm Verlieren, und es gibt Typen wie Bianca Andreescu, mit einer unbändigen Lust, zu gewinnen.
Von Nummer 152 der Welt zum US-Open-Champion
Gut zwei Stunden nach ihrem ersten Grand-Slam-Titel weinte sie in der Pressekonferenz Freudentränen und berichtete, wie sie seit den ersten großen Erfolgen als Juniorin im Jahr 2014 von genau diesem Moment geträumt hatte. "Dass all das Realität wird, ist schon verrückt", sagte Andreescu und fügte hinzu: "Anscheinend helfen diese Visualisierungen wirklich."
Dabei war Andreescu als Nummer 152 der Weltrangliste in die Saison gestartet, hatte wegen Verletzungen zwischen März und August nur ein Match bestreiten können. Doch dann gab es eben auch schon zwei Erfolge: Sie gewann die Turniere in Indian Wells und in Toronto. Jetzt, bei den US Open - 2018 war sie noch an der Qualifikation gescheitert - gab sie während des gesamten Turniers lediglich zwei Sätze ab.
Am Samstag schlug Andreescu Serena Williams, weil sie wie Serena Williams spielte.
Andreescus Aufschlag und Return waren besser, die Vorhand gefährlicher, die Nerven stärker. Ihr Grundlevel ist schon im Alter von 19 Jahren so hoch, die Bilanz von 8:0 Siegen gegen Top-Ten-Spielerinnen so gut, dass Andreescu fast unschlagbar scheint. Einzigartig schon jetzt: Sie ist die erste in diesem Jahrtausend geborene Siegerin eines Grand-Slam-Turniers.

Bianca Andreescu will mehr davon
Foto: ELSA/ AFPAls Andreescu im Juni 2000 auf die Welt kam, hatte die heute 37-jährige Serena Williams schon zum ersten Mal die US Open gewonnen.
Fast zwei Jahrzehnte später spielte Williams in New York zwar immer noch auf dem Level einer Grand-Slam-Siegerin, die Wucht und Präzision ihres Spiels ist nach wie vor erstaunlich, doch die Schwäche ihrer Nerven im Finale war es ebenso.
Williams verlor ihr viertes Grand-Slam-Finale in Folge und muss weiterhin auf die Einstellung des Allzeitrekordes von 24 Titeln warten. So blieb am Ende ein Kopfschütteln in der Pressekonferenz und die Erkenntnis, dass sie dringend von einer bestimmten Person Unterstützung braucht: "Ich muss unbedingt rausfinden, wie ich diese alte Serena Williams wieder dazu bekomme, in Grand-Slam-Finals aufzutauchen."
"Ich glaube, niemand mag mein Spiel"
Andreescu wiederum scheint sich gefunden zu haben. "Ich glaube nicht, dass ich jemals so gelassen war wie jetzt oder sogar vor einem Jahr." Zuvor haben sie oft mit sich gehadert, viele negative Gedanken im Kopf gehabt. "Ich habe Schläger zertrümmert, mich selbst angeschrien während der Spiele." Daher schreibt Andreescu einen Großteil ihrer Fabelentwicklung einer mentalen Disziplin zu, die sie sich erarbeitet habe. Und einem unorthodoxen Spiel: "Ich glaube, niemand mag es wirklich, wenn ich mein Spiel spiele. Ich spiele ganz anders als andere auf der Tour. Ich mag es, den Rhythmus zu verändern. Das war immer schon mein Stil, und ich werde weiter daran arbeiten."
Dass ihr US-Open-Erfolg nicht der einzige bleiben muss, wurde spätestens mit diesem Endspiel klar. Im Anschluss antwortete Andreescu auf die Frage, ob dieser Sieg sie nun hungrig auf mehr gemacht habe: "Auf jeden Fall. Ich liebe dieses Gefühl."