Kerbers Viertelfinaleinzug in Wimbledon Sie ist zurück

Angelique Kerber: Mit dem Selbstbewusstsein eines Champions
Foto: PAUL CHILDS / REUTERSDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Knackpunkt des Spiels: Immer wieder hatte es in diesem Achtelfinale von Wimbledon ausgesehen, als würde Angelique Kerber ihrer jungen Gegnerin den Schneid abkaufen. Cori Gauff aber deutete ihrerseits immer wieder an, warum sie es erneut ins Achtelfinale eines Grand-Slam-Turniers geschafft hatte. Doch als Kerber beim Stand von 4:3 im zweiten Satz zwei Breakbälle der 17 Jahre alten US-Amerikanerin abwehren und mit 5:3 davonziehen konnte, da schien der entscheidende Moment in diesem Match gekommen zu sein. Zwar konnte Gauff die Entscheidung noch ein weiteres Spiel aufschieben, anschließend aber gab Kerber bei nun eigenem Aufschlag keinen Punkt mehr ab – und beendete das Match mit einem Ass.
Das Ergebnis: Mit 6:4, 6:4 gegen Cori »Coco« Gauff zieht Angelique Kerber ins Viertelfinale ein. Dort trifft die Nummer 25 der Setzliste nun auf die an Nummer 19 gesetzte Karolina Muchova aus Tschechien, die gegen die Spanierin Paula Badosa 7:6, 6:4 gewann.

Zur Not mit Gewalt: Coco Gauff
Foto:AELTC/DAVID GRAY / AFP
Erster Satz: London, 20 Grad, die Sonne schien (manchmal), der Wind wehte – und es saß noch nicht viel in diesem ersten Satz. Aufschläge und Returns gingen daneben, vor allem aber Aufschläge: Gleich fünf aufeinanderfolgende Breaks holten die Spielerinnen. Doch schon im ersten Satz war es Kerber, die schneller zu ihrem Spiel fand, während Gauff irgendwann zu roher Schmettergewalt griff. Auch ohne den Schrei dazu war der Frust des Teenagers in diesem Moment deutlich zu spüren. Es gelang ihr zwar, einen Satzball von Kerber abzuwehren, doch den zweiten verwandelte Kerber dann, indem sie Gauff zunächst ein Grundlinienduell aufzwang, um dann gegen die Laufrichtung ihrer Gegnerin abzuschließen.
Angelique Kerber takes the 1st set 64 over Coco Gauff.
— WTA Insider (@WTA_insider) July 5, 2021
Gauff:
Winners: 15
Forced Errors: 9, 6 from FH.
Unforced Errors: 13, 10 from FH
Kerber:
Winners: 8
Forced Errors: 1
Unforced Errors: 10#Wimbledon
All die ersten Male: Mit Gauff traf Kerber zum dritten Mal in diesem Turnier auf eine Gegnerin, gegen die sie noch nie gespielt hatte. Eine schwierige Situation, wie sie vor dem Achtelfinale beschrieb. »Ich habe zwar ein Bild, weiß, wie sie spielt, kenne die Technik, die Ergebnisse der letzten Monate«, sagte Kerber. Doch auf dem Platz komme dann doch alles oft ganz anders. »Erst auf dem Platz spürst du, wie schnell der Ball fliegt, mit welchem Spin, mit welchem Drall, erst dann fängst du an, das Spiel der Gegnerin zu lesen.« Gauff wiederum sagte, sie habe darüber noch nicht wirklich nachgedacht. Natürlich bekomme sie jedes Mal die Gegnerinnenanalyse in die Hand gedrückt: »Aber ich bin noch so jung, für mich ist eh fast jede Gegnerin neu«, sagte sie dazu nur.
Erfahrung schlägt Elan: Überhaupt, die Erfahrung. In diesem Generationenduell wurde an mehreren Stellen deutlich, wie wichtig all die Matches in den Knochen sein können. Kerber, immerhin fast doppelt so alt wie Gauff und die einzig verbliebene Spielerin über 30 im Feld, konnte sich schneller auf die windigen Verhältnisse einstellen, gleichzeitig spielte sie die Punkte mit der nötigen Ruhe zu Ende, während Gauff immer wieder versuchte, mit dem schnellen Winner die Entscheidung zu erzwingen. Das sei ohnehin eine ihrer wohl größten Schwächen, sagte Gauff kürzlich. »Ich will immer groß aufspielen, aber manchmal reicht es auch, den Ball einfach ins Feld zu bringen, anstatt auch noch zu versuchen, die Linie zu treffen«, sagte sie: »Ich muss einfach cleverer spielen.«
Zweiter Satz: Wie man clever und damit effizient spielen kann, zeigte Kerber ihrer jungen Gegnerin im zweiten Satz, in dem das Spiel trotz anhaltenden Windes besser, die Spiele umkämpfter und die Ballwechsel länger wurden. In jenen längeren Ballwechseln, in denen Kerber Gauff an der Grundlinie entlang von einer Ecke in die andere schickte, ging die dreifache Grand-Slam-Turnier-Gewinnerin kein Risiko ein, sie platzierte die Bälle schlicht im Feld, statt mit einem anvisierten Kunstschuss in den Winkel den Punktverlust zu riskieren.
It's hard to stop @AngeliqueKerber when she's in this form 🤩#Wimbledon pic.twitter.com/7qCZvl7SNt
— Wimbledon (@Wimbledon) July 5, 2021
Wimbledon-Geschichte wiederholt sich: Ein Déjà-vu gab es nicht nur für Gauff, die wie schon 2019, als ihr Stern in Wimbledon aufging, den Platz nach dem Achtelfinale als Verliererin verlassen musste. Auch für Kerber wiederholt sich hier die Geschichte: Zum fünften Mal seit 2012 ist sie ins Viertelfinale eingezogen. 2016 kam sie bis ins Finale, 2018 gewann die Rasenspezialistin den Klassiker in London. »Für mich ist Wimbledon ein ganz besonderes Turnier«, das sagt Kerber immer wieder. »Das Gute ist: Ich weiß, wie es hier ist, und ich weiß, was auf mich zukommt.« Und tatsächlich: Bisher hat sich Kerber noch von nichts aus der Ruhe bringen lassen.
Wiederholt sich Wimbledon-Geschichte? Und weil Kerber nach Erstrundenniederlagen in Melbourne und Paris so überraschend stark in die Rasensaison gestartet ist, weil sie die einzig verbliebene ehemalige Siegerin im Feld ist und weil nach dem Achtelfinalaus von Iga Świątek nur noch drei Top-Ten-gesetzte Spielerinnen in der Runde der letzten Acht dabei sind, werden die Fragen natürlich gestellt: Wird dieses Jahr das Comeback-Jahr der Angelique Kerber? Das würde Kerber nie mit einem klaren Ja beantworten. Obwohl die Ergebnisse und die Art, wie sie erspielt wurden, durchaus dafür sprechen. Kerber aber bevorzugt die Von-Spiel-zu-Spiel-schauen-Antwort. Und doch sagte sie auch: »Ich habe alles gegeben, um dafür bereit zu sein.«