FC Bayern München Tuchels erste Morsezeichen

Kennenlernen im kleinen Kreis: Thomas Tuchels erstes Training in München fand mit einer Rumpftruppe statt, seine Detailverliebtheit konnte man dennoch schon erkennen. Der Starcoach zog sogar überraschende Gäste an.
Von Florian Kinast, München
Foto:

Sebastian Widmann / Getty Images

Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

Die neue Attraktion des Viertels lockte auch selten gesichtete Besucher aus der Nachbarschaft an, ungewohnte Gäste und nach altem Hausrecht auch ungebetene.

In ihren blauen Trainingsanzügen des TSV 1860 hatten sich vier Kinder im Grundschulalter mutig an das fremde Territorium an der Säbener Straße herangewagt, drängten sich als Randbeobachter an den Zaun des Trainingsgeländes und warfen neugierige Blicke durch die semitransparenten Sichtschutzplanen. Um wenigstens einen verschwommenen Eindruck zu bekommen vom ersten Training des FC Bayern unter Thomas Tuchel.

Um kurz nach 11 Uhr betrat Tuchel am Dienstagvormittag den Trainingsplatz, rund 40 Journalisten wollten sich diesen Moment trotz eisigen Ostwinds nicht entgehen lassen. Zu sehen gab es dann eine Einheit im kleinen Kreis: Wegen der Länderspielpause waren nur wenige Profis anwesend, namentlich Ersatzkeeper Sven Ulreich, Thomas Müller, Eric Maxim Choupo-Moting, João Cancelo, der fast schon vergessene Bouna Sarr und der für die Nationalelf nicht berücksichtige Leroy Sané, der zu Beginn des Lauftrainings von Tuchel gleich einmal einen Tritt ins Gesäß bekam.

Trainer Tuchel und Leroy Sané (l.)

Trainer Tuchel und Leroy Sané (l.)

Foto: Sebastian Widmann / Getty Images

Naheliegend, Tuchels erste Amtshandlung angesichts der zuletzt eher phlegmatisch bis lustlos anmutenden Auftritte des 27-Jährigen als Bild mit Symbolcharakter zu interpretieren. Aufgefüllt wurde die Runde mit sechs Nachwuchskickern.

Tuchel ließ bei der ersten Einheit mit Ball klare Anweisungen folgen, die schon einmal auf eine gewisse Detailversessenheit schließen lassen: »Spiel hier den Doppelpass in den linken Fuß rein«, rief er dem Duo Sané und Choupo-Moting zu, an den Portugiesen Cancelo gab es die Übersetzung auf Englisch (»Right here, left foot«), Thomas Müller bekam zu hören, er solle seinen »rechten äußeren Fuß« nehmen. Manchmal klang eine Ansage Tuchels mehr nach Morsealphabet (»kurz, kurz, lang«), manchmal, wie gegen Ende der Übung, lieferte er die Erklärung zweisprachig (»Halbe Minute noch, half a minute«).

Dann war die kurze Tuchel-Show auch schon wieder vorbei, ein Mitarbeiter vom »FC Bayern Ordnungsdienst« schob die Medienvertreter mit unmissverständlichen Aufforderungen Punkt halb 12 aus dem Areal hinaus. Drinnen blieben Tuchel und seine Rumpftruppe, die auch erst am Freitag nach der Rückkehr der Nationalspieler wieder auf seriöse Mannschaftsstärke aufgestockt wird. Womit es auch dann erst so richtig spannend wird, bei den komplizierten Herausforderungen, die dann auf Tuchel warten.

Seine erste, sehr kurzfristige Aufgabe wird es sein, die Spieler innerhalb eines Tages auf das wichtige Topspiel gegen Borussia Dortmund am Samstagabend vorzubereiten, das womöglich vorentscheidende Spiel um die Deutsche Meisterschaft. Was wird er in der Kürze der Zeit ändern, wie wird er im Vergleich zu seinem Vorgänger die Mannschaft neu einstellen?

Wer profitiert vom Wechsel – und wer nicht?

Wie bei jedem Trainerwechsel wird sich nach Tuchels Antritt bei den Bayern der Kader neu sortieren. Wer profitiert von Nagelsmanns Abgang, wer wird es künftig schwerer haben? Besonders im Mittelpunkt steht dabei Joshua Kimmich, der unter Nagelsmann als Führungskraft sehr geschätzt und protegiert wurde, was, wie aus Klubkreisen zu hören, nicht jedem seiner Mitspieler uneingeschränkt gefiel. Ähnlich wie Leon Goretzka, der sich nach der Kunde von Nagelsmanns Rauswurf offen bestürzt zeigte, auch er pflegte eine enge und vertrauensvolle Beziehung zum eben entlassenen Trainer.

Bei Thomas Müller wird sich die Trauer in Grenzen halten, zu oft hatte ihn Nagelsmann mit vorzeitigen Auswechslungen düpiert, trotz seiner Rolle als Mannschaftskapitän. Welche Rolle er künftig im System Tuchel spielen wird, ist freilich genauso offen wie die Zukunft von Spielern wie Ryan Gravenberch, der seit seiner Ankunft in München unter Nagelsmann nur Enttäuschungen erlebte, der von seinem Trainer öffentlich kritisiert und dem Vernehmen nach auch in der Kabine vor versammelter Mannschaft heftig beschimpft wurde. Darf er nun auf mehr Rückhalt hoffen und auf mehr Einsätze? Und was macht Tuchel aus der Ex-Superstar-und-jetzt-Problempersonalie Sadio Mané?

Erste Antworten gibt es sicher bereits am Samstagabend – wenn sie sich vielleicht dann schon die ersten Doppelpässe in den linken Fuß reinspielen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Playlist
Speichern Sie Audioinhalte in Ihrer Playlist, um sie später zu hören oder offline abzuspielen. Zusätzlich können Sie Ihre Playlist über alle Geräte mit der SPIEGEL-App synchronisieren, auf denen Sie mit Ihrem Konto angemeldet sind.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten