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HOMOSEXUALITÄT Tickende Bombe

Rugby ist eine Bastion der Männlichkeit wie kaum eine andere Sportart. Nun hat der Profi Gareth Thomas ein Tabu gebrochen und sich als schwul bekannt.
aus DER SPIEGEL 53/2009

Gareth Thomas wollte nicht mehr, und er konnte nicht mehr: ständig lügen. Sein Geheimnis, sagt der Rugby-Rekordnationalspieler aus Wales, sei ein »fester Knoten in meinem Magen« gewesen, »und ich hatte immer Angst davor, dass er sich löst«. Oft habe er an Selbstmord gedacht, er habe sich gefühlt wie eine »tickende Bombe, ich dachte, ich könnte es unterdrücken, könnte es in eine dunkle Ecke meiner Seele sperren«.

Es. Seine Homosexualität.

Nun, gegen Ende seiner Karriere, hat sich Thomas, 35, einer der prominentesten Rugbyprofis weltweit, als Schwuler geoutet. Was für ihn eine Befreiung ist, ist für den professionellen Männersport eine Revolution.

Es gibt bekennende homosexuelle Fernsehmoderatoren und Priester, Politiker, Künstler und Manager, es gibt eingetragene Partnerschaften, in fast allen gesellschaftlichen Bereichen ist die Liebe zwischen Männern längst kein Tabu mehr. Nur nicht unter Fußballern, und schon gar nicht unter Rugbyprofis. Dort gilt »Schwuler« noch immer als ein übles Schimpfwort, und deshalb ist Gareth Thomas ein mutiger Mann.

»Meine größte Sorge war, dass meine Teamkameraden es herausfinden und mich fallen lassen würden«, sagt er. Thomas, 103 Kilogramm schwer, 1,91 Meter groß, der für die Cardiff Blues als Schlussmann spielt, hat für sie sein zweites Ich erschaffen, hat den Hetero gegeben, war aggressiv und hat Frauengeschichten erfunden.

Teil dieses Schauspiels war auch seine Hochzeit. Um die Fassade aufrechtzuerhalten, heiratete Thomas vor sieben Jahren und mimte den perfekten Ehemann. Doch innerlich war er zerrissen. Wenn er vor einer Schwulenbar gestanden sei, sagt er, »hatte ich einen Engel auf der einen Schulter und einen Teufel auf der anderen. Der Teufel sagte: Geh da rein! Der Engel meinte: Nein, lass es sein«!

Thomas war knapp 17 Jahre alt, als ihm bewusst wurde, dass er schwul ist. »Aber es zu wissen und zu akzeptieren, das sind zwei verschiedene Dinge.« Auf dem Rugbyfeld konnte er vergessen, beim Kampf ums Ei »entfloh ich der Verwirrung«.

Vor drei Jahren brach Thomas nach einem Länderspiel vor dem Trainer in Tränen aus, er erzählte ihm alles. Sein Coach weihte zwei Mitspieler ein, die Thomas unterstützen sollten. Thomas sprach auch mit seiner Frau, die Scheidung läuft. Keiner der vier Eingeweihten verriet ein Wort, über den Umgang mit seiner Homosexualität sollte Thomas selbst entscheiden.

Sein Bekenntnis diene auch dazu, »andere Schwule zu ermutigen, ebenfalls an die Öffentlichkeit zu gehen«, sagt Thomas: »Es war hart zu verbergen, wer ich wirklich bin. Und ich möchte nicht, dass es einem jungen Kerl, der Rugby spielen will, genauso ergeht.«

Seine Mitspieler nahmen das Geständnis scheinbar gleichgültig zur Kenntnis, in der Schwulenszene ist der Waliser jetzt eine Ikone. Die Rolle behagt ihm nur bedingt. »Ich bin in erster Linie ein Rugbyspieler und ein Mann. Zufällig bin ich schwul.« Rein statistisch, sagt er, müsste es wesentlich mehr Homosexuelle im Rugby geben. »Ich hoffe sehr, dass es in zehn Jahren nach dem Coming-out eines Sportlers heißt: Wo ist das Problem?«

MAIK GROSSEKATHÖFER

Maik Grossekathöfer
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