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TENNIS Tini mit dem Eisenarm

Beim Federation Cup dieses Jahr in Prag ist erstmals die Weltspitze im Frauentennis geschlossen am Start - selbst die Ex-Tschechoslowakin Martina Navratilova spielt in der alten Heimat.
aus DER SPIEGEL 30/1986

Ganz Revnice wird diese Woche vor dem Fernseher sitzen, wenn »Tini« in Prag für die USA aufschlägt. Und ganz Revnice wird staunen, wenn sie leibhaftig Einzug halten wird in ihrem Heimatort mitsamt ihrem Hofstaat. Tini heißt für die Bewohner dieses böhmischen Fleckens noch immer die Tennis-Weltranglisten-Erste Martina Navratilova, einst Tschechoslowakin, dann staatenlos, heute US-Bürgerin.

Die 29jährige, aufgewachsen in Revnice, hatte sich 1975 als pummeliger Teenager vom sozialistischen Vaterland losgesagt, in den Jahren danach mit ihrer krachenden Vorhand und reaktionsschnellen Volleys die Tenniswelt erobert und ihre größte Rivalin Chris Evert-Lloyd von der Spitze verdrängt.

Sie kassierte in ihrer elfjährigen Profilaufbahn mehr als zehn Millionen Dollar an Preisgeldern, kaufte sich Häuser in den schönsten Ecken ihrer neuen Heimat USA, legte sich Autos, Uhren und eine Lebensgefährtin zu - alles vom Feinsten.

Noch im vergangenen Jahr verweigerten die tschechoslowakischen Behörden der Abtrünnigen ein Visum für einen Verwandtenbesuch.

Dieses Jahr jedoch sicherten ihr höchste Stellen »absolut freies Geleit« zu, auch für eine Stippvisite nach Revnice. Der Grund: Die kurzzeitige Heimkehr der verlorenen Tochter ist schillernder Höhepunkt des Federation Cups, der Mannschaftsweltmeisterschaft der Damen, die in dieser Woche im soeben fertiggestellten Tenniszentrum auf der Prager Hetz-Insel stattfindet.

Um sich für weitere große Tennisereignisse zu empfehlen - Jan Kodes, ehemaliger Wimbledonsieger und starker Mann des tschechischen Tennis, denkt an ein jährliches Grand-Prix-Turnier der oberen Preisgeldkategorie im sozialistischen Prag -, nahmen die CSSR-Funktionäre in Kauf, daß »Martina mit dem Eisenarm« (Branchenjargon) die Hoffnungen der eigenen Mannschaft auf den vierten Sieg in Folge vielleicht durchkreuzt. Sie akzeptierten, noch schlimmer, daß die Navratilova mit mondänen Auftritten auch außerhalb des Platzes ihren ehemaligen Landsleuten vor Augen führen könnte, wie weit man es jenseits des Sozialismus bringen kann.

Ein Ausschluß der Tennisqueen hatte für die Gastgeber ausgesprochen schlechte Optik gemacht. Denn der Federation Cup, das Gegenstück für Frauen zum Daviscup, verspricht in diesem Jahr ein Spektakel erster Güte. Neben der Ex-Tschechoslowakin tritt in Prag an, was im internationalen Damentennis Rang und Namen hat.

Für die USA starten außer Martina Navratilova die Nummer zwei der Weltrangliste. Chris Evert-Lloyd, und mit Pam Shriver sowie Zina Garrison zwei weitere Spielerinnen, die unter den ersten zwölf plaziert sind. Die Gastgeber bieten Nummer vier und Nummer sieben auf. Hana Mandlikova und Helena Sukova. Und die Deutschen, die dritte Mannschaft mit Titelaussichten, reisen mit Steffi Graf, der Weltranglisten-Dritten, und Claudia Kohde-Kilsch, der Fünften, an. »Ein Klassefeld, frohlockt Kodes, »eine klar bessere Besetzung als in Wimbledon.«

Dabei hatte der 1963 begründete Frauenwettbewerb viele Jahre eher ein Aschenputteldasein geführt. Nur selten waren die großen Tennisnationen mit ihren Stars angetreten. Lediglich die Tschechoslowakei, die ihren Profis das Abkassieren bei Turnieren im Westen unter der Bedingung erlaubt, daß sie für Mannschaftswettbewerbe wie Daviscup oder Federation Cup zur Verfügung stehen, konnte fast immer auf ihre Spitzenspielerinnen zurückgreifen. Sie beherrschte daher den Federation Cup in den letzten Jahren.

Noch 1985 schlugen die Tschechinnen zum Beispiel im Finale in Japan ein amerikanisches Team, in dem Kathy Jordan, in der Weltrangliste irgendwo um Platz 20 zu finden, die höchstplacierte Spielerin war. Die Deutschen hatten gar eine Mannschaft von Namenlosen eingeflogen, die, so Jens-Peter Hecht, Pressesprecher des Deutschen Tennis-Bundes (DTB), »wenigstens billiger war, dafür aber auch die erste Runde nicht überstand. Teurer, wenn auch wesentlich erfolgversprechender, wäre ein Team in der Besetzung Graf, Kohde, Bunge gewesen. Doch ähnlich wie die besten Amerikanerinnen zog dieses Trio eine Absage dem weiten Weg nach Japan vor.

Der Grund ist einfach: Zuwenig lukrativ und zu störend für die eigene Turnierplanung war der Federation Cup ihnen allen wieder einmal erschienen.

Mit dem Desinteresse der Spitzenfrauen ist auch zu erklären, daß ein bundesdeutsches Team, trotz damals mäßiger Spielstärke, zwischen 1966 und 1983 viermal das Finale erreicht hatte: Die anderen Länder hatten noch schwächere Mannschaften geschickt.

Diesmal aber, so ein tschechoslowakischer Funktionär spöttisch, »scheinen auch die Tennismillionärinnen aus den kapitalistischen Staaten ganz wild darauf zu sein, für die höhere Ehre ihres Landes anzutreten«. Er weiß es natürlich besser. Martina Navratilova und Chris Evert-Lloyd, die Superstars aus den USA, sind dazu verdammt zu spielen.

Denn im Reagan-Amerika, das den Begriff Vaterland wieder aufpoliert hat, fordern Fernsehanstalten, Tennisfans und Tennisfirmen einhellig einen nationalen Erfolg, besonders nach den mäßigen Auftritten der US-Männer im Daviscup, von denen man sich wegen des Auslaufens der Karriere von Jimmy Connors und des fraglichen Comeback von John McEnroe auch für die Zukunft wenig erwartet.

»Der Federation Cup ist für die Amerikaner doch die letzte Chance, am Ball zu bleiben«, sagt der deutsche Damencoach Klaus Hofsäss. Dem Drängen des Industriezweigs Tennis habe sich das an Werbeverträgen und Fernsehterminen gut verdienende Duo Navratilova/Evert-Lloyd schließlich gebeugt.

Auch die deutschen Mädchen, die im vergangenen Jahr noch das etwas hilflose Werben des DTB um ihre Teilnahme als »reines Chaos« bezeichnet hatten, sind, so Hofsäss, »diesmal mit Feuereifer bei der Sache«. Was finanziell dabei Sache ist, hatte der DTB rechtzeitig abgeklärt.

Die beiden Spitzenspielerinnen Kohde und Graf erhalten fürs Antreten je 40000 Mark. Ersatzkraft Bunge darf immerhin 15000 vorab kassieren. Ein Sieg in der ersten Runde bringt jeder Spielerin 8000 Mark, das Erreichen des Finales wurde mit 23000 Mark entlohnt. Die geänderte Einstellung hatte DTB-Präsident Claus Stauder Ende letzten Jahres klargemacht: »1986 fährt das beste Team zum Federation Cup oder gar keins.«

Im Zug des neuerlichen nationalen Tennisrausches, den Boris Beckers zweiter Wimbledon-Sieg ausgelöst hat, können und wollen die Mädchen außerdem nicht abseits stehen, wenn Deutschland ruft. Noch dazu seien Steffi Graf und Claudia Kohde, so sagt ein Betreuer, im letzten Jahr so weit nach vorn gekommen, »daß sie es auch gegen Navratilova, Evert-Lloyd oder Mandlikova wissen wollen«.

Trainer Hofsäss, der »den Pott innerhalb der nächsten zwei Jahre unbedingt gewinnen will, gab sich vergangene Woche relativ zuversichtlich: »Wir haben eine Chance. Die Doppel werden entscheiden.« Bei einem Testspiel gegen die Zufallspaarung Temesvari/Pfaff ging Deutschlands Traumduo Graf/Kohde kläglich 3:6, 2:6 ein. Hofsäss: »Auch ein Weltklassedoppel braucht Zeit zum Einspielen.« Die hat das Losglück den Deutschen beschert: In den beiden ersten Runden warten in Prag die Sieger aus den Begegnungen der Tenniszwerge Belgien, Finnland, Irland, Rumänien oder Brasilien auf das Hofsäss-Team.

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