Zum Tod von Totilas Wie der Traum vom Jahrhundertpferd endete

Matthias Rath und Totilas, das hat nicht geklappt
Foto: Uwe Anspach/ dpaIm Mai war Totilas noch einmal kurz in den Schlagzeilen. Der Hengst feierte seinen 20. Geburtstag, die ARD-»Sportschau« sendete dazu einen kleinen Beitrag, aber sportlich war das Pferd da schon lange nicht mehr relevant. In einem Alter, in dem andere Dressurpferde wie Isabell Werths berühmter Wallach Gigolo noch Olympiagold holten, war Totilas schon im Ruhestand. Weil die hochfliegenden Pläne, die die Besitzer mit dem Pferd hatten, in einem vermutlich einzigartigen Debakel geendet hatten.
Die Geschichte von Totilas ist eine Geschichte, die viel erzählt: von Ehrgeiz, von Ruhmsucht, vom großen Geschäft und vor allem davon, dass Leistungssport trotz aller Versuche nur begrenzt planbar, programmierbar ist. Es sollte eine Erfolgsgeschichte werden, es wurde letztlich eine tieftraurige Sportgeschichte, die mit Totilas' Tod am Montag als Nachwirkung einer Kolik ihren Schlusspunkt bekam.
Die Geschichte des Pferdes beginnt in den Niederlanden, und es scheint eine märchenhafte Geschichte zu werden. Der junge Hengst kommt in die Hände des renommierten Reiters Edward Gal. Der Niederländer steht damals noch im Schatten von Landsfrau Anky van Grunsven, dem internationalen Star der Szene. Mit Totilas soll sich das ändern, beide werden so etwas wie das Traumpaar des Dressursports. Wenn auch nur für kurze Zeit.
Presse schwärmt vom Jahrhundertpferd
2009 und 2010 gewinnen Gal und Totilas alles, was es zu gewinnen gibt. 2009 schlugen sie van Grunsven bei den niederländischen Meisterschaften, und danach ging es so richtig los: Europameister, Weltmeister, Weltrekord-Benotungen. Die Presse spricht vom »Wunderpferd«, vom »Jahrhundertpferd«, ARD-Pferdesportreporter Carsten Sostmeier schwärmt bei den Weltreiterspielen von Kentucky 2010, bei denen das Duo drei Mal Gold gewinnt, vom »lackschwarzen Zauberer mit seinen weißen Ballettschuhen«.
Nach zwei Jahren ist der Zauber aus. Das Duo Gal und Totilas wird im Oktober 2010 getrennt. Paul Schockemöhle, nicht nur einer der erfolgreichsten deutschen Springreiter, sondern auch einer der einflussreichsten und mächtigsten Züchter und Strippenzieher im Reitsport, landet vermeintlich seinen größten Coup: Für kolportierte zehn Millionen Euro kauft er das Pferd. Die Niederländer sind nicht besonders angetan davon, aber in Deutschland überschlagen sich die Medien. Nie ist ein Pferd so im öffentlichen Fokus gewesen wie Totilas.
Das Ziel von Schockemöhle und Mitbesitzerin Ann-Kathrin Linsenhoff ist klar: Totilas soll Olympiagold für Deutschland holen, am besten schon 2012 in London. Jetzt muss nur noch ein Reiter für das Wunderpferd gefunden werden, der anstelle von Gal jetzt für den deutschen Verband die Erfolge einheimst. Und hier hat vor allem Linsenhoff klare Vorstellungen.
Linsenhoffs Stiefsohn soll die Erfolge sammeln
Die Präsentation desjenigen, der das neue Traumduo mit Totilas bilden soll, wird als Spektakel inszeniert. Mit Lichteffekten, Vorhang auf und künstlichem Nebel vor 70 Journalisten wurde der junge Matthias Alexander Rath als Reiter vorgestellt. Dessen Hauptqualifikation war allerdings weniger sein Renommee im Dressur-Viereck, sondern der Umstand, dass der damals 26-Jährige der Stiefsohn Linsenhoffs ist. Damit fingen die Probleme an.

Ein Bild aus den Glanzzeiten: Edward Gal und Totilas
Foto: © John Sommers II / Reuters/ REUTERSDas Pferd und sein Reiter stehen ab sofort unter Dauerbeobachtung, jeder Auftritt der beiden ist ein Event, der Druck ist enorm. Aber zunächst scheinen beide dem standzuhalten. Bei den Deutschen Meisterschaften in Balve 2011 gewinnen Rath und Totilas den Titel, auch beim CHIO in Aachen sind sie siegreich, der Plan scheint aufzugehen.
Aber dann gehen die Dinge nicht mehr gut. Rath und Totilas harmonieren nicht so, wie man es sich im Schockemöhle/Linsenhoff-Lager erhofft hatte, bei der EM 2011 bleibt das Duo ohne Einzelmedaille, die öffentlichen Auftritte werden danach seltener, und wenn die beiden sich zeigen, wie auf einer Hengstschau in Vechta, dann wird offensichtlich, dass es zwischen ihnen nicht stimmt. Die ersten Stimmen werden laut, die meinen, Rath sei damit überfordert, mit diesem Pferd klarzukommen.
Umstrittene Rollkur
Die Besitzer wechseln den Trainer, statt Raths Vater Klaus-Martin soll es der niederländische Starcoach Sjef Janssen richten. Janssen, Ehemann van Grunsvens, hatte Totilas schon in seiner Heimat betreut, aber mit seinem Engagement holt sich das Team auch eine Diskussion ins Haus, die die Arbeit mit dem Pferd belastet. Janssens Trainingsmethoden sind mindestens umstritten zu nennen, in den Niederlanden hat er eine Form der sogenannten Rollkur angewendet. Die Maßnahme, bei der der Hals des Pferdes auf unnatürliche Weise zusammengerollt wird, wird und wurde von Tierschützern heftig kritisiert. Pikanterweise hatte sich Rath senior noch im Jahr davor in einer Petition dezidiert gegen die Rollkur als Trainingsmethode ausgesprochen, jetzt wurde der Trainer engagiert, der dafür bekannt war, man kann auch sagen: berüchtigt.
Aber auch mit Janssen an Bord wird es nicht besser. Erst erkrankt Rath, sodass der angepeilte Olympiastart in London 2012 abgesagt werden muss. Mehr als zwei Jahre verschwindet Totilas danach aus der Öffentlichkeit, Restart-Ankündigungen werden immer wieder verschoben, das Comeback 2014 ist nur eine Momentaufnahme, vor den Weltreiterspielen im selben Jahr fällt Totilas erneut verletzt aus.
2015 soll es dann noch einmal den großen Wurf geben. Rath und Totilas treten bei der Europameisterschaft in Aachen im Team an. Die beiden gewinnen mit der Mannschaft zwar Bronze, doch dem Pferd ist anzumerken, dass es unrund läuft. Nach dem Wettkampf wird ein Knochenödem festgestellt, unter Experten gilt als ausgemacht, dass das Pferd gar nicht hätte starten dürfen. Es ist der letzte sportliche Auftritt von Totilas, die Besitzer entscheiden, das Tier vom Leistungssport zurückzuziehen. Die Karriere des Jahrhundertpferdes ist vorbei.
Geld hat Schockemöhle mit Totilas dennoch gemacht, seine Dienste als Deckhengst hat das Pferd auf Linsenhoffs Kronberger Schafhof zuverlässig erfüllt, wer ein Fohlen von Totilas wollte, musste mehrere Tausend Euro bezahlen. Rath kümmerte sich nach Totilas vor allem um die Aufzucht jüngerer Pferde.
Edward Gal wurde im September dieses Jahres niederländischer Meister. Er ritt dabei Toto jr. Der Name des Vaters: Totilas. Gal ritt dabei exakt die Kür, mit der er 2010 Weltmeister wurde. Selbst die Musik war die gleiche.
Als Gal seine ersten Triumphe feierte, jubelte ARD-Mann Carsten Sostmeier, Totilas werde gefeiert »wie ein Popstar, wie ein Michael Jackson«. Er ahnte wahrscheinlich nicht, wie viel Prophetie darin steckte.