Galopp Total gefordert
Der junge Mann war jahrelang ausschließlich dienstlich vor Ort. Auf der Galopprennbahn von Iffezheim kümmerte sich Albert Steigenberger bei der Baden-Badener Rennwoche um den Nachschub am Schaumweinstand und die Frische der Delikateßhäppchen, die sein Vater, Inhaber der weltweiten Hotelkette, feilbot. Mit Pferden hatte der Junior in den Siebzigern nichts im Sinn. Menschen, die freiwillig an einem »schönen Sonntag auf die Rennbahn gehen«, hielt er schlicht für »verrückt«.
Ende dieser Woche begibt sich Albert Steigenberger, 34, wieder dienstlich zum größten Turf-Spektakel auf deutschem Geläuf. Doch längst ist er für die feine Oberschicht nicht mehr der Wirt. Auch zweifelt er nicht mehr am Verstand der Pferdefreunde. Denn Steigenberger ist selbst »vom Galoppsport gepackt«. Der Rennstall- und Gestütsbesitzer (rund 60 Pferde) zählt inzwischen sogar zu den Größten im Lande.
Rund 1,2 Millionen Mark galoppierten Steigenbergers Pferde in dieser Saison bislang zusammen. Von den fünf erfolgreichsten Vierbeinern gehören drei dem Frankfurter Hotelierssohn: Karloff, Mandelbaum und Calcavecchia. Beim Deutschen Derby gelang seinem Stall, einmalig in der 121jährigen Derby-Geschichte, ein Doppelsieg (Karloff vor Calcavecchia) - am wohl größten Zahltag aller Zeiten eines deutschen Gestüts verbuchte Steigenberger eine Gewinnsumme von 551 160 Mark.
So etwas imponiert in Turf-Kreisen. Nur ungern erinnert sich die Branche deshalb daran, wie sie den Hotelerben jahrelang verspottet hat. Feixend hatte die Branche schon ausgerechnet, wann denn Steigenberger junior, dessen Erbschaft sie locker mal auf 15, mal auf 50 Millionen Mark taxierte, pleite sein müsse - bei all den müden Galoppern, die sie ihm zu Höchstpreisen angedreht hatte. Statt dessen hat der Aufsteiger, der inzwischen bei den Rennvereinen in Düsseldorf und Frankfurt sowie beim Direktorium für Vollblutzucht und Rennen in den Vorständen sitzt, jetzt »viel Neid« und, falls seine Pferde mal verlieren, auch »viel Schadenfreude« ausgemacht.
Steigenbergers Turf-Karriere ist absolut branchenuntypisch. Er konnte sich in einer traditionsbeladenen Zunft etablieren, in der reiche Pensionäre und alter Adel den Ton angeben. Da der Aufbau eines Gestüts 10 bis 15 Jahre dauert, erleben die betuchten und betagten Gründer die Erfolge oft nicht mehr. Noch nie in der deutschen Turf-Historie hat ein Mittdreißiger eine vergleichbare Position eingenommen.
Der Weg dorthin war mühsam und teuer. Vor zehn Jahren erwarb Alberts Vater, Egon Steigenberger, auf der Auktion in Iffezheim die ersten Galopper. Auf Keltenkönig, Tosca King und Laraprinz, für rund 40 000 Mark pro Roß gekauft, tranken die Pferdelaien noch in der Auktionshalle ein Gläschen Champagner. Doch die Vollblüter erwiesen sich, wie die Branche schnell spottete, als »Raupen«. Der Vater überließ die teuren Vierbeiner bald Sohn Albert, dem ewigen Studenten der Betriebwirtschaft und der Jurisprudenz.
Der Filius hatte inzwischen Gefallen gefunden am Geschehen auf der Rennbahn. Mehr als die Kreatur interessierten ihn jedoch die ungeheuren Geldbeträge, die in den legalen und illegalen Wettbüros die Besitzer wechselten.
So wie andere »auf Lottosysteme setzen oder mit Aktien spekulieren«, wettete Steigenberger auf Sieg und Platz - das sei nur eine andere »Form von Risikoabwägung«. Diese eigenwillige Philosophie verfolgte er konsequent. Und im Zuge der Grundlagenforschung für die gekonnte Plazierung der Dreierwette eignete sich Steigenberger ein solides Fachwissen an.
Als nach dem Tod des Vaters das Hotelimperium 1985 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, bekam der Sohn sein Erbteil ausbezahlt: Offiziell erhielt Albert 24,8 Millionen Mark, dazu einen Unternehmenszweig mit Geldspielautomaten und den Fernsehvermietungsbetrieb der Hotels. Der Frühpensionär widmete sich dem Pferdesport mehr denn je - schließlich brauchte er etwas, das ihn »total fordert«.
Von seinem Vorbild, dem Kaffeeröster Walther J. Jacobs (Gestüt Fährhof), lernte er, daß der Weg zu einem erfolgreichen Rennstall über England führt. Alljährlich investiert er seitdem auf Auktionen wie in Newmarket »immense Beträge« (Frankfurter Allgemeine). Experten schätzen seinen Einsatz auf annähernd zehn Millionen Mark.
Steigenberger erkannte auch schnell, daß die großen Gestüte »das Beste für sich behalten«. Konsequenterweise beteiligte er sich am Gestüt Römerhof. Auf seiner Lohnliste stehen erfahrene Berater und renommierte Trainer. »Die wenigsten in Deutschland«, urteilt Peter Brauer vom Direktorium für Vollblutzucht und Rennen, »arbeiten so professionell wie Steigenberger.«
So erwarb er vor zwei Jahren für 47 000 Mark den Hengst Mandelbaum - gegen den Rat der Trainer ("die Vorderbeine sehen nicht gut aus"). Bei sechs Starts blieb Mandelbaum sechs Mal unbesiegt und galoppierte knapp eine halbe Million Mark ein. Wegen eines vereiterten Backenzahns mußte der Derby-Favorit jedoch wenige Tage vor dem Rennen zurückgezogen werden. Die Stute Calcavecchia, die Steigenberger in England für 100 000 Mark erstand, ist inzwischen über eine Million Mark wert. _(* Mit Jockey Georg Bocskai beim Kölner ) _(Union-Rennen am 10. Juni. )
Da Albert Steigenberger mit dem Hotelunternehmen nicht mehr verbunden ist, die Siege seines Rennstalls aber Public Relations für die Hotelkette machen, läßt er sich von dort einen Werbekostenzuschuß für seinen Rennstall zahlen. Jedes Jahr im Mai, beim »Steigenberger-Renntag« in Frankfurt, laben sich zudem an den Feinschmeckertrögen große und kleine Prominente - von Heinz Riesenhuber bis Jürgen Grabowski, von Walter Wallmann bis zu den verblühten Jacob-Sisters.
Dennoch tat sich der hemdsärmelige Albert, der bei Festivitäten immer noch eigenhändig die Bierkästen stapelt und nach dem Derby-Sieg völlig aufgelöst seinem Jockey Mark Rimmer andauernd Kußhändchen zuwarf, mit der gesellschaftlichen Reputation in der eher blutarmen Turf-Branche schwer. Genüßlich kolportierten die geborenen Pferdeexperten, daß der neureiche Steigenberger ja »Angst vor Pferden« hat. Auch Steigenbergers Damenwahl wurde ausgiebig diskutiert. »Berti« lernte seine Frau zwar auf der Rennbahn kennen - aber eben nicht auf der Ehrentribüne, sondern an der firmeneigenen Sektschenke, wo die Studentin in den Ferien jobbte.
Evelyn Steigenberger ist für die Namensgebung der Pferde zuständig. Bevorzugt stehen Künstler und Sportler Pate, »damit die Presse was zu schreiben hat": Musiker (Steve Winwood), Golfprofis (Mark Calcavecchia), Kunstspringer (Greg Louganis) oder wie jüngst zwei Fußballspieler. Ein einjähriger Hengst heißt Platini, dem ehemaligen französischen Superstar nachempfunden, ein anderer Basualdo, wie der argentinische Nationalkicker in Diensten des VfB Stuttgart. Auch für Derby-Sieger Karloff (nach Frankenstein-Darsteller Boris Karloff) hatte Evelyn Steigenberger eine schlagzeilenträchtige Begründung parat: »Ich mag Bösewichte.«
Und immer noch schocken die Steigenbergers die etikettebewußte Rennbahnprominenz. Mag der Small talk auch noch so anregend sein, wenn eines der eigenen Pferde am Start steht, beendet Evelyn Steigenberger die Unterhaltung gern mit dem Satz: »Jetzt müssen wir arbeiten.« o
* Mit Jockey Georg Bocskai beim Kölner Union-Rennen am 10. Juni.