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NATIONALISMUS / SPRACHE Totaler Sieg

aus DER SPIEGEL 13/1967

Als Frankreichs Athleten 1960 ohne Olympiagold heimkehrten, empörte sich ihr General-Staatschef de Gaulle über die »nationale Katastrophe«. Seitdem sprudeln Frankreichs Franc-Quellen für Meister und Medaillen.

Mit nationalem Akzent feierten Funk, Fernsehen und Presse von Reims bis Bordeaux jeden Star, der für Frankreich sprang oder spurtete, ritt und raste. Nach Erfolgen des Ski-Rennläufers Jean-Claude Killy in den USA schrieb die Pariser »L'Equipe« etwa von einem »totalen Sieg«, bei dem auch widrige Umstände »nicht an der Vorherrschaft der Franzosen rütteln« konnten.

Doch wo Galliens Athleten Ruhm an die Trikolore heften, soll künftig auch gallischer Zungenschlag triumphieren. So arbeiteten jüngst sogar 39 Mitglieder der Académie Francaise (Durchschnittsalter: 70 Jahre) am totalen Sieg. In ihrer ersten Sportstunde setzten sie gängige englische Fachausdrücke wie goal (Tor), shot (Schuß) oder score (Ergebnis) als unerwünschtes Franglais auf den Index. Andere Anglizismen wie doping oder supporter (Anhänger, Fan) sollen als tabu gelten, obwohl die Spracheiferer vom Pariser Qual de Conti keine gleichwertige Übersetzung mitzuliefern vermochten.

Die Sport-Sprachregler der Akademie folgten einer Kampagne des »Komitees zur Verteidigung und Verbreitung der französischen Sprache«. Vorsitzender: der frühere Schulmeister und jetzige Ministerpräsident Georges Pompidou. Frankreichs Sport-Reporter wurden zur ersten Zielscheibe der Sprach-Reformer, obwohl die französische Sportjournalisten-Union schon 1962 eine Fachkommission gegründet hatte, die englische Vokabeln wie finish oder meeting ausmerzen wollte.

Daran waren die Fachschreiber freilich schon gescheitert. Nun fühlen sie sich von den Akademie-Theoretikern geschulmeistert. »Das ist überflüssig und töricht«, erklärte Jacques Ferran, »L'Equipe«-Redakteur und Sprecher der Journalisten-Kommission dem SPIEGEL. »Man kann längst eingebürgerte Sport-Anglizismen nicht am grünen Tisch verbieten.«

Das Tennis-Wort smash (Schmetterball) bedürfte auf französisch etwa einer sechs Worte langen Umschreibung. Murrte Jean Bobet, Sportchef von Radio Luxemburg: »Manche Fremdworte sind sehr viel knapper und klarer. Für fairplay wüßte ich keinen Ersatz.« So sollen Frankreichs Hörer und Leser weiterhin aufatmen, wenn die Sportsprecher ihren Star Killy für den nächsten Frankreich-Einsatz fit melden können.

Selbst unter Frankreichs Sprach-Päpsten regte sich Widerspruch. Akademie-Mitglied Louis Armand riet, die nutzlose Reform des Sportjargons aufzugeben. Statt dessen möge sich die Akademie auf die Neuauflage des 1694 erstmals erschienenen großen französischen Wörterbuches konzentrieren. Die Revisionsarbeiten gediehen erst bis zum Buchstaben C.

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