Tour de France 2021 Kopf in den Wolken

Tadej Pogačar fuhr am Col du Portet zum Sieg
Foto: Gvg / imago images/Panoramic InternationalDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Bluff: Richard Carapaz versuchte sich am Col du Portet als Pokerspieler. In der Spitzengruppe mit Tadej Pogačar und Jonas Vingegaard fuhr der Ineos-Profi mit hängender Zunge hinterher. Pogačar ließ sich sogar einmal zurückfallen und sagte Carapaz, er müsse auch mal die Führungsarbeit übernehmen, doch der schien völlig fertig. Von wegen. Später attackierte Carapaz, konnte sich aber nicht absetzen. Wenige Hundert Meter vor dem Ziel kam es wie erwartet: Pogačar zog vorbei und sprintete zu seinem zweiten Etappensieg.
Das Ergebnis: So wie das Tagespodium aussieht, so könnte auch das Podium am Ende der Tour de France in Paris aussehen: Der Gesamtführende Tadej Pogačar gewann die 178,4 Kilometer lange 17. Etappe von Muret zum Gipfel des Col du Portet vor dem Dänen Vingegaard und dem Ecuadorianer Carapaz. (Lesen Sie hier den Etappenbericht.)
Der Königsweg: »In Gelb zu gewinnen, das kann ich gar nicht beschreiben«, sagte Pogačar im Ziel. Mit 22 Jahren und 296 Tagen ist er der jüngste Fahrer der Tourgeschichte, der im Maillot Jaune eine Etappe gewinnen konnte. Er löste den Deutschen Didi Thurau ab, der den Rekord seit 1977 gehalten hatte. Thurau wurde später in seiner Karriere öfter positiv auf Doping getestet.
Cycling🚴 - Tadej Pogacar🇸🇮 (22-296) is the youngest rider to win a stage while leading the GC in the Tour de France (@LeTour) since Didi Thurau🇩🇪 in 1977 (stage 16). #TDF2021 #TDF
— Gracenote Olympic (@GracenoteGold) July 14, 2021
Die Entscheidung? Am Col du Portet, dem finalen Gipfel der Etappe, wurde deutlich, dass Pogačar hier die Tour endgültig entscheiden wollte. Etwa acht Kilometer vor dem Ziel attackierte der Titelverteidiger aus der Spitzengruppe heraus. Nur Vingegaard und Carapaz konnten folgen. Der Mann im Gelben Trikot führte das Trio den höchsten Pass der französischen Pyrenäen mit einer enormen Geschwindigkeit hinauf auf 2200 Meter. Hier in den Wolken, die den Gipfel umhüllten, baute Pogačar seinen Vorsprung im Gesamtklassement auf 5:39 Minuten auf Verfolger Vingegaard aus.
Steht ihm: Primož Roglič, Kapitän vom Team Jumbo-Visma und Zweiter des Vorjahres, musste die Tour früh aufgeben. Seitdem ist der 24 Jahre alte Vingegaard der bestplatzierte Profi der Mannschaft. Dass er der hartnäckigste Verfolger Pogačars sein würde, hatte vor der Tour wohl niemand gedacht. »Ich bin beeindruckt. Jonas ist noch so jung. Es ist fantastisch, welchen Kampfgeist er an den Tag legt«, sagte Sportdirektor Grischa Niermann bei Eurosport: »Die Position steht ihm sehr gut. Ich hoffe, dass er diesen Platz hinter Pogačar halten kann.«

Träumte vom Etappensieg am 14. Juli: Anthony Perez
Foto:ANNE-CHRISTINE POUJOULAT / AFP
Vive la Chance: Am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, sind die heimischen Profis üblicherweise besonders motiviert. So auch dieses Mal: Gleich vier Franzosen setzten sich in einer sechsköpfigen Fluchtgruppe fest, um ihre Chance auf einen Eintrag in die Geschichtsbücher zu nutzen. Am Ende blieb nur noch Anthony Perez an der Spitze übrig. Doch angesichts des hoch motivierten Pogačars schmolz auch Perez' Vorsprung von drei Minuten schnell zusammen, am Col du Portet war sein Traum dann vorbei. Warren Barguil bleibt der bislang letzte Franzose, der am 14. Juli eine Etappe gewinnen konnte, sein Erfolg ist mittlerweile vier Jahre alt.
Der Schmerz: Schwere Stürze überschatteten den Start der Tour de France, zahlreiche Fahrer mussten bereits aufgeben oder hatten mehrere Tage mit Verletzungen zu kämpfen. So auch Simon Clarke. Doch erst jetzt weiß der Australier, woher seine Schmerzen kommen. Er habe sich auf der dritten Etappe einen Wirbel gebrochen, sagte Clarke bei »cyclingweekly« . Aufgefallen sei der Bruch aber erst vor wenigen Tagen. Er könne zwar weiterfahren, ohne noch mehr Schaden anzurichten, so der 34-Jährige: »Aber ich kann es ehrlich gesagt nicht abwarten, nach Paris zu kommen«. Das klingt eher medizinisch fragwürdig als sonderlich heldenhaft.
Das tut weh: Bei solch schweren Bergetappen in den Pyrenäen müssen insbesondere die Sprinter leiden. Als einer der Ersten verabschiedet sich meist Mark Cavendish aus dem Peloton und wird von seinen Teamkollegen begleitet, die ihm sogar seine Trinkflaschen abnehmen, damit er beim Klettern nicht zu viel Gewicht tragen muss. Auch dieses Mal schaffte es der Mann im Grünen Trikot in der Karenzzeit ins Ziel. Der Traum vom Etappensieg in Paris lebt, es wäre der 35. Tour-Etappensieg in Cavendishs Karriere. Damit wäre er der alleinige Rekordsieger.
Hinauf zum Tourmalet: Eine Bergetappe muss Cavendish noch überstehen. Am Donnerstag führt die Strecke erneut durch die Pyrenäen, hinauf zum Tourmalet und dann nach Luz Ardiden – zwei Anstiege der schwierigsten Kategorie. Für Pogačars Konkurrenz ist es die letzte Chance, den Gesamtführenden in den Bergen zu attackieren. Angesichts der Leistungen des 22-Jährigen scheint es aber ausgeschlossen, dass er noch eingeholt werden kann.