TRAINER Traum vom Medaillenregen
Ekkart Arbeit, 56, schwärmte von einer Zukunft in Gold, Silber und Bronze. Der Führung des australischen Leichtathletik-Verbandes stellte der Experte aus der ehemaligen DDR eine siebenprozentige Leistungssteigerung in Aussicht, wenn die Läufer, Springer und Werfer des Landes fortan nach seinen Anweisungen trainieren würden.
Das Vorstellungsgespräch am 10. September überzeugte die Funktionäre, die bei Olympia 2000 im eigenen Land gern einen Medaillenregen feiern würden. Arbeit unterschrieb einen Vierjahresvertrag, der ihm eine Jahresgage von rund 120 000 Mark sichern sollte. Der Traum vom Tausch seiner Ost-Berliner Wohnung gegen ein geräumiges Haus im warmen Melbourne platzte dennoch. Kaum war die Nachricht von Arbeits Anstellung verbreitet, geriet der Sport auf dem fünften Kontinent in Aufruhr.
130 Sportler weigerten sich öffentlich, mit dem ehemaligen Cheftrainer der DDR-Leichtathleten zusammenzuarbeiten. Empörte Eltern wie der ehemalige Cricketstar Robert John Inverarity opponierten ebenso wie hohe Olympiafunktionäre. Tageszeitungen wie »The Age« forderten die Annullierung des Vertrages, und »The Daily Telegraph« karikierte den Deutschen mit ausgestrecktem Finger und Pickelhaube - bis sich schließlich Premierminister John Howard einschaltete und den Sportminister beauftragte, für Ruhe zu sorgen.
Die Debatte um Ekkart Arbeit ist der Höhepunkt einer neuen Aufklärungswelle über die Doping- und Stasivergangenheit des DDR-Sports. Als habe es die Nachwendezeit mit ihren mannigfaltigen Enthüllungen niemals gegeben, wird kolportiert, aufgedeckt und gestritten. Doch diesmal verlangt nicht die westdeutsche Öffentlichkeit nach Erklärungen für den Dopingbetrug im Osten: Ausländische Sportler, Trainer und Medien mischen sich in die Aufarbeitung der DDR-Geschichte ein.
Jahrelang hatten sich die Verbände nur zu gern aus dem Erbe des DDR-Sports bedient. Ob in Europa, Amerika, Australien oder Afrika, überall fanden die zumeist hochdekorierten Trainer neue Anstellungen. Dabei störten sich die Arbeitgeber nicht an deren Verwicklungen in Doping- oder Stasifälle - Hauptsache sie profitierten vom Know-how des einstigen Athleten-Wunderlandes. So wurden die Sportlehrer der DDR zu einem der wenigen Exportschlager der untergegangenen Republik (siehe Grafik).
Erst acht Jahre nach dem Mauerfall regt sich umfänglicher Widerstand gegen die Medaillenplaner. Nicht nur in Australien, auch in den USA, in Großbritannien und Österreich wächst der Unmut von Sportlern, daß sie sich von einstigen Hardlinern der DDR betreuen lassen müssen.
Das erste Opfer der neuentdeckten Moral wird Ekkart Arbeit werden. In Deutschland hatte der Leichtathletik-Chefcoach nach der Wende keine Zukunft für sich gesehen: Zu groß waren im Westen die Kenntnisse über das zweifelhafte Wirken des Wurf-Experten. Schützlinge Arbeits, wie die Olympiasieger Ulf Timmermann, Martina Hellmann und Jürgen Schult, waren als Hochdoper geoutet worden. Der Sportlehrer bewarb sich im Ausland - und fand gute Jobs in Italien und Griechenland.
Seine Karriere wird jedoch zu Ende sein, wenn in dieser Woche die vom Premier Howard geforderte Untersuchungskommission über den Inhalt von Arbeits Stasiakte informiert wird. Auf 840 Seiten hat IM »Klaus Tisch« zum Teil handgeschriebene Berichte über das Innenleben des DDR-Sports verfaßt. Detaillierte Informationen über die Dopingpraxis in den Wurfdisziplinien tauchen dort ebenso auf wie zum Teil sehr intime Mitteilungen über das Sexualleben seiner Kollegen.
Wie die heftige Auseinandersetzung um Arbeit zeigt, rächt sich nun, daß bisher kaum ein ausländischer Einkäufer sich kritische Gedanken über die Methoden der DDR-Experten gemacht hatte. Nur wenige Spitzentrainer, die jetzt im Ausland tätig sind, gelten als gänzlich unbelastet; der in Ägypten und Österreich erfolgreiche Handballcoach Paul Tiedemann gehört dazu, ebenso der bei Twente Enschede reüssierende Fußballehrer Hans Meyer.
Bei anderen Stützen von Honeckers Doping-Republik fanden sich sehr bald Belege für eine inoffizielle Mitarbeit bei der Stasi - zum Beispiel beim ehemaligen Turn-Auswahltrainer Dieter Hofmann (IM »Rose"), der in die Schweiz gezogen war, oder beim Rodel-Olympiasieger Klaus Bonsack (IM »Julius"), der sein Geld in Österreich verdient.
Selbst als deren Machenschaften enthüllt wurden, stellten sich die Verbände taubstumm: Die Berliner Gauck-Behörde war weit weg, und mit dem Begriff Stasi wußte im Ausland ohnedies kaum ein Sportfunktionär etwas anzufangen.
Auch wenn Trainer in Deutschland wegen ihrer herausragenden Stellung in pharmazeutisch durchseuchten Sportarten der DDR keine Stelle bekamen, kümmerte dies jenseits der Grenzen kaum jemanden. So kamen die ehemaligen Ruder-Verbandstrainer Hans Eckstein und Professor Theodor Körner in Österreich beziehungsweise in Australien und später in Italien ebenso unter wie der ehemalige Cheftrainer Werner Trelenberg als Sportdirektor der österreichischen Leichtathletik.
Weil die Alpenrepublik »gerne halb so erfolgreich wäre wie einst die verteufelte DDR« ("Die Presse«, Wien), fahndeten gerade österreichische Verbandsherren in den neuen Bundesländern nach fachkundigen Gastarbeitern. Selbst Kurt Hinze, der von einem deutschen Gericht als Dopinganwender bestätigt worden war, erhielt einen Arbeitsplatz als Biathlonexperte.
Als jetzt die Zentrale Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität (Zerv) in Berlin ihre ersten Anklagen wegen Körperverletzung auf den Weg brachte, waren prompt zwei Wahl-Österreicher dabei: Schwimmtrainer Rolf Gläser, der heute Landesverbandstrainer in Oberösterreich ist, und Sportmediziner Bernd Pansold, der am Olympiastützpunkt Obertauern wirkt.
Nicht alle sportlichen Entwicklungshelfer überstanden die Nachwendezeit ohne Schrammen. Besonders wenn in ihrer neuen Heimat im Urin von Sportlern Anabolika nachgewiesen wurden, regte sich Unmut. Der französische Cheftrainer Eberhard Mund, der einst bei Dynamo Berlin tätig gewesen war, mußte sich öffentlich erklären, nachdem eine 16jährige Ruderin ohne ihr Wissen mit Nandrolon gedopt worden war. Trelenberg wurde in Österreich schnell mit dem Dopingfall des Sprintstars Andreas Berger in Verbindung gebracht; in Großbritannien stand der Oberhofer Horst Hörnlein in der Kritik, als bei seinem besten Bobfahrer Mark Tout Anabolikaspuren entdeckt wurden.
Doch letztlich blieben das Einzelfälle. Meist verlief die Dopingdiskussion wie die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit in Deutschland: In Kameraderie hielten Funktionäre und ihre neuen Angestellten fest zusammen.
Erst der Druck von unten hat jetzt eine explosive Stimmung entfacht. Viele Athleten fürchten eine unselige Verbreitung des DDR-Know-how. Seit den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 1993 in Stuttgart sind diese Bedenken berechtigt: Dort wurde dem amerikanischen Kugelstoß-Olympiasieger Mike Stulce die Einnahme von STS 646 nachgewiesen - einem Anabolikum, das bisher nur im Spitzensport der DDR eine Rolle gespielt hatte (siehe Kasten).
Nachdem die Heidelberger Dopingexperten Brigitte Berendonk und Werner Franke in der internationalen Zeitschrift »Clinical Chemistry« die Fachwelt über das Ausmaß der ostdeutschen Manipulationen aufgeklärt haben, verstärkt sich der Druck aktiver und abgetretener Athleten.
In Großbritannien fordern Leichtathleten und Schwimmer eine Annullierung der Europarekorde hochgemästeter DDR-Athleten. Das gleiche Ziel verfolgen, bezogen auf die Weltbestenliste, amerikanische Mitglieder der Vereinigung der Leichtathletik-Statistiker (ATFS).
Von besonderer Brisanz sind die Aktivitäten einer Kanzlei im amerikanischen Colorado Springs. Im Auftrag des US-Schwimmverbandes nehmen die Anwälte die Interessen von ehemaligen Athleten wahr, die bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften von DDR-Konkurrenten um Medaillen gebracht worden waren - offenbar haben die Amerikaner die Absicht, Schadensersatz zu erhalten.
Stellvertretend für jene, die sich betrogen fühlen, reiste in der vorvergangenen Woche die Australierin Raelene Boyle nach Thüringen. Die ehemalige Sprinterin erwartete von Renate Stecher, hinter der sie bei den Olympischen Spielen 1972 in München über 100 und 200 Meter nur Silber gewonnen hatte, ein »Sorry«.
Doch die Begegnung der einstigen Sprintgrößen verlief kühl. Die ehemalige Vorzeigefrau der DDR zeigte nur Unverständnis, denn Renate Stecher bestreitet jegliche Manipulation. Die Wahrheit wird ans Licht kommen, meinte die krebskranke Raelene Boyle: »Renate tut mir so leid.«
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Ausländische Arbeitsorte ehemaliger DDR-Trainer
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* Mit Schützling Vera Lischka.