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GASTARBEITER Tricks mil Türken

aus DER SPIEGEL 45/1966

Für die westdeutsche Industrie sind ausländische Gastarbeiter austauschbares Fußvolk. In einer westdeutschen Sport-Sparte aber bilden sie die Elite: Die besten Ringer in der Bundesrepublik sind türkische Fremdarbeiter.

Von Westeuropas Ringern tummeln sich die meisten auf Deutschlands falldämpfenden Kunststoff-Matten - 28 000. Etwa 3500 von ihnen sind Ausländer, überwiegend Türken. Allein für die 15 ringenden Bundesliga-Klubs kämpfen 25 Gast-Türken. Es wären noch mehr, wenn nicht mindestens sechs der acht Ringer jeder Mannschaft Deutsche sein müßten.

Ringer-Rangeln schätzen die Türken ähnlich hoch wie deutsche Fans den Fußball. Bei den Olympischen Spielen 1960 und 1964 errangen Türken in ihrem Nationalsport neun goldene, fünf silberne und eine Bronzemedaille. Aber neben bescheidener beruflicher Förderung durch die staatlichen Tabak- und Zuckermonopole brachten im fernen Türkenland geschickte Hebelgriffe und Beinschwünge keinen greifbaren Gewinn.

In der Wirtschaftswunder-Republik winkte ringenden Gastarbeitern vom Bosporus dagegen lohnender Doppelverdienst: Ringer-Spesen und Trainer -Honorare. Gegen die mittelmäßige deutsche Konkurrenz wurde Suha Karman 1955 und 1956 zweimal Deutscher Meister. 1957 traten bereits sieben Ausländer zur Deutschen Meisterschaft an, von denen zwei sogar das Federgewichts-Finale untereinander auskämpften. Seitdem reservierte der Deutsche Athleten-Bund (DAB) seinen deutschen Mitgliedern wenigstens die Einzeltitel.

Bei den Punktkämpfen der Mannschafts-Meisterschaft sind Türken jedoch weiterhin willkommen. 1959 wurde zum letztenmal eine deutsche Mannschaft ohne Türken Meister (VfK Schifferstadt). Aber die Deutschen lernten von ihren schwarzgelockten Mitringern Türken-Tricks, Technik und Taktik. Bei den Olympischen Spielen in Rom und Tokio erkämpften die Bundesdeutschen sechs Medaillen, darunter eine goldene.

»Sie sind das Salz in der Suppe«, befürwortete der frühere Bundestrainer Jean Földeak die Türken-Invasion. Allein 1960 drängten die drei Olympiasieger Müzahir Sille, Ahmet Bilek und Mithard Bayrak sowie acht weitere türkische Meister wie etwa Sahin an die deutsche Spesen-Krippe. Vermittler legten den interessierten Klubs immer kostspieligere Wunschzettel für Türken -Stars vor: Darlehen von 2000 Mark als Starthilfe, Arbeitsplätze, an denen sie auch als Ungelernte 800 Mark verdienten, zusätzliche Trainer-Einnahmen, Wohnung und möglichst einen Wagen. Für gelegentlichen Heimaturlaub forderten sie Reisegeld. Einige, wie Weltcup-Sieger Burhan Bozkurt und Goldmedaillengewinner und Mercedesfahrer Sille, ließen ihren Familien-Troß nachkommen.

Die meisten Vereine zahlten. Denn ohne Türken schwanden ihre Chancen. Zudem hatte der DAB als erster nationaler Verband 1964 eine Bundesliga als höchste überregionale Leistungsklasse gegründet. Spitzenkämpfe zogen bis zu 5000 zahlende Zuschauer an und ermöglichten beträchtliche Überschüsse. Vielfach füllten die Türken-Ringer durch ihren sachverständigen Anhang unter den Fremdarbeitern die Hallen.

»Vor allem türkische Besucher«, resümierte DAB-Präsident Walter Lippold, »finanzierten die Freistil-Europameisterschaften in Karlsruhe.« Während der Endkämpfe im Mai dieses Jahres spektakelten etwa 4000 fahnenschwenkende Türken-Gäste. Sie kamen mit Sonderzügen aus München und Stuttgart.

Freilich mußte der DAB sich auch an Balkan-Sitten gewöhnen: Einige Türken meldeten sich bei zwei oder sogar drei Klubs gleichzeitig an. Weil zu spät aufgedeckt wurde, daß ein Türke ohne Startrecht mitgerungen hatte, mußten in diesem Jahr zusätzlich zwei benachteiligte Vereine zur Endrunde zugelassen werden. Andere Türken waren zurückgereist, ohne sich offiziell abzumelden.

Ärger über die türkischen Wanderringer aber regte sich vor allem in er Türkei. Suat Erler, türkisches Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees, klagte: »Es geht bergab bei uns mit dem Ringen.« Denn die stärkste Türken-Staffel ringt seit Jahren in Deutschland.

Nicht einmal der Einladung zu Ausscheidungskämpfen in ihrer Heimat vor Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften folgten alle Türken-Stars. Olympiasieger Sille begründete seine Absage aus Deutschland: »Gutte Arbeit, viel Geld, alles kaufen.«

Türkischer Freistilringer Sahin (oben): »Gutte Arbeit, viel Geld, alles kaufen«

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