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HALLENHANDBALL / GUMMERSBACH Tricks von Hansi

aus DER SPIEGEL 18/1967

Von allen Seiten drängten 450 Deutsche in die Moskauer Armeesport-Halle am Leningrader Prospekt und besetzten die Haupttribüne. Sie schwenkten blauweiße Fähnchen und labten sich aus Bierflaschen. Mit Hupen, Rasseln und Sirenen waren sie als Flugpauschalreisende (Preis: ab 480 Mark) aus der oberbergischen Kreisstadt Gummersbach und Umgebung herbeigeeilt, um ihre Mannschaft zu unterstützen.

Das zahlreichere, jedoch ohne bundesliga-übliche Lärminstrumente angerückte russische Sportschau-Batailion war hoffnungslos unterlegen. Die Deutschen übertönten es mühelos.

Zum Schluß knallten Champagner-Korken. Bis weit in die Moskauer Nacht feierten die Bundesdeutschen am vorletzten Sonntag den 17:15-Sieg des VfL Gummersbach über das sowjetische Gewerkschafts-Kollektiv Trud Moskau im Vorfinale des Hallenhandball-Europacups. Gummersbach erreichte damit das Endspiel am Freitag dieser Woche gegen Dukla Prag.

Erst eine einzige bundesdeutsche Equipe, Frischauf Göppingen, hat den 1956 von der französischen Sportzeitung »L'Equipe« ausgesetzten wertvollsten internationalen Handball-Pokal erkämpft (1960 und 1962). Seither siegten nur Ostblock-Mannschaften, zuletzt die Deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK) Leipzig.

Aber systematisch bauten die Handball-Funktionäre des Gummersbacher Vereins für Leibesübungen ein Hallen-Team auf, das an Göppingens Erfolge anknüpfen sollte. Auf den Fußball-Feldern hatte die Konkurrenz von Rhein und Ruhr die Kicker aus Gummersbach ins Abseits gedrängt. Die beste Mannschaft des 1300 Mitglieder zählenden VfL spielt zur Zeit nur in der zweiten Amateur-Klasse.

So konzentrierte sich der Ehrgeiz der Ballsportler und das Prestige-Bedürfnis der Fans auf die Gummersbacher Handball-Artisten. Als einzige westdeutsche Mannschaft behauptete sich Gummersbach, für das zeitweise auch der frühere nordrhein-westfälische Wirtschafts- und Verkehrsminister Gerhard Kienbaum spielte, seit dem Zweiten Weltkrieg ständig in der höchsten Handball-Spielklasse.

Das Gummersbacher Handball-Zentrum zog selbst auswärtige Stars an. Aus der DDR stießen Dr. Horst Dreischang vom Greifswalder Institut für Leibesübungen und DDR-Auswahlspieler Helmut Kosmehl zum Klub. Oberstudienrat Dreischang unterrichtet seitdem Gummersbacher Gymnasiasten in Sport und Biologie -- die Gummersbacher Handball-Stars lehrte er zweimal wöchentlich Technik, Taktik und Tricks des modernen Hallenspiels.

Aus Berlin warb der VfL den Polizeimeister und Nationalspieler Bernd Podak ab. Er gilt unter Experten als bester deutscher Hallen-Torwart, aber auch als Radenkovic des Handballs. Denn wie der jugoslawische Torhüter der Fußball-Elf von München 1860 ("Bin i Radi, bin i König") verläßt Podak unerwartet sein Tor für riskante Ausflüge ins Spielfeld. Im Meisterschafts-Endspiel 1966 erzielte er dabei sogar ein Tor. Überdies pflegt er häufig mit dem Schiedsrichter über dessen Entscheidungen zu diskutieren. Deshalb mußte er zuletzt in Moskau für zwei Strafminuten von der Spielfläche.

Gummersbachs erfolgreichster Star setzte sich 1963 aus Rumänien ab: Joan ("Hansi") Schmidt, ein Banater Schwabe, der 18mal in der rumänischen Nationalmannschaft gespielt hatte und dafür zum Leutnant befördert worden war. Nun studiert er in Bonn Sport und Geschichte. Er beherrscht besondere Trick-Würfe. Der 1,96 m große Athlet reckt sich bei verzögerten Sprungwürfen erst auf dem Scheitelpunkt ganz zum Wurf auf, wenn die mit ihm hochgesprungenen Gegenspieler sich schon wieder abwärts bewegen. Oder Schmidt täuscht die Gegner durch einen sogenannten Knickwurf. Scheinbar wie eine Rakete steil in die Höhe startend, knickt er plötzlich in der Hüfte ein und wirft aus halber Höhe.

Bei der Weltmeisterschaft im Januar 1967 warf nur ein Stürmer zwei Treffer mehr als der inzwischen für Bundesdeutschland spielende Schmidt (36 Tore). In der ersten Bundsliga-Saison im Hallenhandball (1966/67) war er mit 91 Toren der treffsicherste Ball-Athlet. Gummersbach mit seinen fünf Nationalspielern und fünf Studenten verlor nur ein Spiel -- während des Karnevals -- und wurde wie schon 1966 überlegen Meister.

Aber von den insgesamt 150 000 Zuschauern der Hallen-Bundesliga sahen nur 4800 die Gummersbacher bei ihren sieben Heimspielen. Ihre Halle faßt 800 Besucher und erbringt nur eine Gesamteinnahme von etwa 4000 Mark pro Spiel. Alle Bundesliga-Einnahmen werden nach einem komplizierten Schlüssel aufgeteilt. Aus Terminnot mußte der VfL am Bußtag sogar vor leeren Sitzen spielen, weil die Stadtverwaltung keinen Verstoß gegen das Feiertags-Sportverbot zuließ.

So verlegte Gummersbach seine Heimspiele um den Europacup nach Köln, wo wenigstens 6800 zahlende Gäste Einlaß fanden. Auf dem Schwarzen Markt zahlten Fans bis zu 70 Mark für eine Karte.

Den Sieg im ersten Vorfinale gegen Trud Moskau beobachteten sogar Bundesminister Lücke, NRW-Ministerpräsident Kühn und Sportbund-Präsident Daume von der Tribüne. In drei Europapokal-Spielen kassierte Gummersbach etwa 80 000 Mark. Davon mußten allerdings die Gastmannschaften bewirtet (Trud Moskau verbrauchte allein 5000 Mark) und die eigenen Reisen bezahlt werden. Der »Flug nach Moskau kostete beispielsweise 11 000 Mark.

Dabei durften Trainer Dreischang und zwei der wichtigsten Spieler -- Schmidt und Kosmehl -- nicht mit zu den letzten zwei Auswärtsspielen nach Zagreb und Moskau reisen. Vergeblich bat der FDP-Bundestagsabgeordnete Otto Eisenmann den sowjetischen Botschafter in Bonn, Semion Zarapkin, um freies Geleit für Gummersbachs Ostblock-Flüchtlinge. Der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau, Kroll, riet davon ab, dennoch mitzufliegen.

»Jeder Gegner, den man kennt, ist nur noch die Hälfte wert«, frohlockte Trainer Dreischang aber schon nach dem ersten Sieg gegen Trud Moskau in Köln. Außerdem begleitete die Mannschaft seit Jahren ein bis zu 6000 Menschen zählender Troß, auf den selbst Klubs der Fußball-Bundesliga neidisch sind. Nach bedeutenden Siegen empfingen sogar 10 000 von 33 000 Gummersbachern ihre Bundesliga-Stars.

»Es war wie ein Heimspiel«, bekundeten die Spieler auch nach dem Erfolg in Moskau, wo ihre Anhänger »wie auf einem Berliner Sechstagerennen« (FAZ) Bundesliga-Lärm zum Wohl der eigenen Mannschaft erzeugt hatten.

An der Handball-Heimatfront wanden übereifrige Fans ungeniert Vorschuß-Lorbeer für das bevorstehende Endspiel in Dortmund, zu dem alle 11 500 Karten bereits am letzten Montag ausverkauft waren. Nun soll eine zusätzliche Tribüne errichtet werden.

Werner Ackermann, der Vorsitzende des Gummersbacher Bürgervereins, schlug telegraphisch vor, die Europapokal-Siegesfeier mit dem Mai-Tanz des Bürgervereins zu verbinden. Und der Wirt des Klublokals »Wiedenhof« meldete sich vor der Geräuschkulisse siegestrunken lallender Fans: »Hier Europacup-Sieger Gummersbach.«

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