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»Und das meine ich jetzt ehrlich«

aus DER SPIEGEL 33/1971

Wer ihm sein Spiel zerstört habe, klagt der Deutsche Fußball-Bund (DFB). Doch abgesehen davon, daß es ihm an den optisch wahrnehmbaren Reizen Daliah Lavis gebricht: Er gibt auch -- was der Schlagerstar tunlichst unterläßt -- eine Antwort auf die eigene Frage.

Spieler, Vereinsfunktionäre und tollwütige Vereinsanhänger haben dem DFB sein Spiel zerstört -- halt, zerstört ja nun auch wieder nicht (da ist der DFB einmal peinlich genau): nur gestört hat man dem DFB sein Spiel. Sein Spiel? Noch einmal halt: Erbittert verteidigt der DFB die These, daß ihm das, nicht aber sein Spiel gestört worden ist.

Das Schauspiel ist unsäglich und geht schon längst nicht mehr allein den Fußball an. Einsichtslose Selbstgerechtigkeit, wie der DFB sie zur Schau stellt, kann mitten in einer Gesellschaft nicht veranstaltet werden, ohne daß die Gesellschaft im ganzen betroffen ist.

Die Böcke haben gegärtnert« doch nun sollen die Böcke schuld sein und der Garten dazu, damit keiner fragt, wer eigentlich die Böcke losgelassen hat. »Diese festgestellten Manipulationen rütteln daher an den Grundfesten des Sportes«, deklamierte das Sportgericht des DFB, als es seinen Ukas wider die Spieler Manglitz, Patzke, Wild und Vorstandsmitglieder Offenbachs zu begründen suchte. Doch an den Grundfesten des Berufsfußballs in der Bundesrepublik hat niemand erst rütteln können: denn es gibt diese Grundfesten nicht. Der DFB hatte von Beginn an auf Sand gebaut. Er wollte nur ein bißchen schwanger werden, als er den Berufsfußball halbherzig zuließ.

»Wir haben festgestellt » erklärte das DFB-Sportgericht über Manglitz, Patzke, Wild und den Offenbacher Vorstand. Doch keine Feststellungen hatte man beispielsweise darüber treffen können, von wem welcher der verurteilten Vorgänge eingeleitet worden ist. Man befand ganz einfach sämtliche wie auch immer Betroffenen für schuldig: Es sei »letzten Endes nicht entscheidend ... wer den ersten Stein erhoben hat«.

Schweigen wir davon, daß diese Behauptung des DFB-Sportgerichts auch vereinsgerichtlich überaus bedenklich ist. Sprechen wir darüber, wie sich diese Behauptung angesichts der Sportkameradschaft ausnimmt, die vom DFB so fleißig beschworen wird.

Da gibt es im Zentrum der Affäre einen Vereinspräsidenten und einen »Vorstand, die fürchteten, aus der Bundesliga absteigen zu müssen, wenn sie sich nicht an Machenschaften beteiligten, die nach ihrem subjektiven oder objektiven Eindruck über den Abstieg entscheiden würden. Zur psychischen Verfassung dieses Vereinspräsidenten und seines Vorstands in der Woche vor dem Ende der vergangenen Bundesliga-Saison gibt es Belege.

Der DFB-Angestellte Straub hat als Zeuge im ersten Verfahren vor dem DFB-Sportgericht eine der honorigsten Aussagen gemacht, die wir je gehört haben: eine Aussage, die in ihrer Ehrlichkeit für alle höchst unbequem war, auch für den Zeugen selbst. Der Zeuge Straub sprach von der Erregung des Vereinspräsidenten Canellas, die auch ihn, den Zeugen, erfaßt habe. Daß der Vereinspräsident Canellas davon überzeugt war, sein Club solle »in die Mangel genommen werden« von Manipulanten, hat der Zeuge Straub dem Vereinspräsidenten Canellas »jederzeit abgenommen«. Doch der Zeuge Straub wurde nur dort vom Sportgericht verwertet, wo seine Aussage für die Offenbacher unbequem war. Was aus seiner Aussage zur Erläuterung, Entlastung oder wenigstens Milderung hätte entnommen werden können, ignorierte das DFB-Sportgericht.

Selbstverständlich ist -- wie im Strafprozeß vor ordentlichen Gerichten -die Beweiswürdigung allein Sache der erkennenden Richter. Doch gerade Berufsrichter haben um alle erläuternden, entlastenden und mildernden Momente bemüht zu sein. Kann ein Sportgericht ausgerechnet unter Sportkameraden auf Bemühungen verzichten, die sogar Auftrag der ordentlichen Gerichte sind?

Den beschuldigten Spielern und Vereinsfunktionären gegenüber hat der DFB (jedenfalls in erster Tatsacheninstanz) durch sein Sportgericht jene Haltung eingenommen, die das unbelehrte Mittelalter Aussätzigen gegenüber für angemessen halten konnte. Als der DFB-Kontrollausschußvorsitzende Kindermann gegen Manglitz, Wild, Patzke und den Offenbacher Vorstand seine Anträge stellte, sagte er, »daß es untragbar ist«, und »er hat das Recht verwirkt«, als er Personen und Taten wie die zur Verhandlung stehenden charakterisierte.

Die Formel »hat das Recht verwirkt« bedarf keiner Erläuterung. Das Wort »untragbar« wird in »Aus dem Wörterbuch des Unmenschen« erläutert: »Die Untragbarkeits-Erklärung hat totale Reichweite: Was es mit der Person Müller, mit seinem Charakter, mit seinem Verhalten auf sich hat, interessiert die Organisation nicht: Müller ist für sie hinfort nicht mehr existent. Irgendwie und irgendwo mag er weiterexistieren -- denn insofern ist das Urteil begrenzt, als es die Worte enthält »für die Partei« (den Verein, die Gesellschaft, die Bewegung) oder die Einschränkung »in politischer, weltanschaulicher, nationaler. gesellschaftlicher. klassenkämpferischer, rassischer Hinsicht« ... Wo mit »untragbar« hantiert wird, da verbergen sich Terror und Heuchelei hinter der Sprache, hüllen sich in ein depraviertes Wort, und eben die Sprache, die Sprachmaskerade, ist es, welche die Heuchler und Tyrannen anzeigt.«

Manglitz, Wild. Patzke und vielleicht -- nach Abschluß dieser Zeilen, vor Erscheinen dieses Heftes -- auch Ulsaß nächstens weitere. »Untragbar«? Der DFB hat zu strafen, er hat aber auch sein Haus zu bestellen, was die Bundesliga betrifft. Wenn er meint, die Bestellung seines Hauses könne in nichts anderem als kapitalem Strafen bestehen, läuft er menschlich wie rechtlich Amok.

Es sind zur Person jedes der Bundesliga-Spieler, die bislang als Akteure dieser Affäre bekannt geworden sind, Gesichtspunkte vorzutragen, die keineswegs total entlasten, die jedoch erklären. Und wir halten daran fest, daß hinsichtlich jedes Verstoßes gegen Übereinkünfte die zugänglichen Erklärungen in Erwägung zu ziehen sind. Aus dem Sport kommt der Bundesliga-Spieler zu seinem Beruf: einem Beruf, der nur wenigen Spitzeneinnahmen beschert und auch diesen wenigen lediglich für eine relativ kurze Zeit.

Die Erfahrung, daß nicht nur Leistung, sondern auch Glück zu einer großen, lukrativen Karriere gehören, verstärkt den Druck. Diese Erfahrung muß man in jedem Beruf machen, doch in diesem fällt sie besonders quälend Menschen an, die zu ihrer Bewältigung besonders schlecht ausgestattet sind. Für den materiellen Erfolg einer Laufbahn ist entscheidend, ob einer in die Nationalmannschaft gelangt und wie lange er sich gegebenenfalls in ihr hält.

Wild schaffte den Sprung ins große Spiel nie. Manglitz hatte wenige Auftritte. Zuletzt hockte er in Mexiko auf der Ersatzbank und verstand die Welt nicht mehr, als ihm sogar ein kranker Konkurrent vorgezogen wurde. Patzke erlebte die Torturen des Staatsopernstars, der um seine Stimme bangen muß. Die Umsiedlung von München nach Berlin ließ ihn in ein »unerklärliches Formtief« stürzen. Er mußte »um seinen Platz (an der Sonne der Nationalmannschaft) bangen«.

Damit einer, noch dazu in vergleichsweise sehr jungen Jahren, zu einer leidlich runden Person wird, bedarf es schon eines sehr großen, sehr anhaltenden Erfolgs: eines Erfolgs. den eben nicht allein die Leistung garantiert, sondern auch das Verhältnis zum Bundestrainer oder die persönliche Disposition zum Idol. Das Nationalmannschaft-Schicksal von Ulsaß etwa ist besonders charakteristisch für die Bedeutung dieser und anderer Unwägbarkeiten.

Groll staut sich, und hinzu tritt der heimliche Zorn darüber, daß unendlich viel mehr an einem eingenommen wird von anderen, als man selbst verdient. Der Berufsstand Fußball-Profi braucht ein Reglement, das detailliert bestimmt. Die gegenwärtige Generalklausel gleicht einem Zaun, der nicht ganz ernst gemeint scheint. DFB-Ankläger Kindermann klagte in der ersten Verhandlung der Affäre, »daß wir in unserem naiven Fußballglauben nie auf die Idee (von Manipulationen, wie den strittigen) kommen konnten«.. Es habe »die ethische Phantasie« überstiegen, so etwas für möglich zu halten, so daß es spezielle Paragraphen nicht einmal dann gegeben hätte, wenn man im Bundesligastatut über die Generalklausel hinausgegangen wäre.

Wo es um Geld geht, bedarf es nicht »ethischer Phantasie«, sondern präziser, lückenloser Regeln, ist »naiver Fußballglauben« ein Relikt aus den Zeiten -- sei es drum -- vor dem Sündenfall. Ankläger Kindermann, der seinen ersten Antrag auch mit der Wendung »Und das meine ich jetzt ehrlich« schmückte, sprach von der Ungewißheit des Spielergebnisses, die den Reiz des Fußballs »immer ausgemacht hat«. Doch heute besteht hinsichtlich der Bundesliga, so wie der DFB ihre Affäre abzuwickeln trachtet, eine glorreiche Gewißheit: Sie entbehrt der rechtlichen und organisatorischen Grundlage, die allein Berufssport Fußball möglich macht.

Unabsehbar, auf was alles sich der DFB bereits eingelassen hat. Das Reichsgericht (RGZ 107, 386) befand: »Daß Maßnahmen eines Vereins, durch welche die Existenz des Betroffenen völlig oder nahezu untergraben wird, unter § 826 BGB fallen (also »sittenwidrig« sein) können, ist wiederholt ausgesprochen worden.«

Weiter hätten nach geltender DFB-Satzung Vereine, die nach Beginn der Saison ausgeschlossen werden, bis zum Ende der Saison weiterzuspielen, um erst dann ihren Ausschluß zu erleiden. Da würde dann gegen »tote Seelen« mit der Reserve gespielt werden: Nein, es ist unsäglich.

Beschwörend weist der DFB auf die Mehrheit der Bundesliga-Spieler hin, die nicht von der Affäre betroffen sind, deren Existenz aber gefährdet wäre, wenn man die Sportgerichtsbarkeit nicht weiter walten läßt, wie sie begonnen hat. Wir meinen, daß vertuschende und zudeckende Abwicklung allein zu Lasten einzelner Sündenböcke die Fehler im System weitaus tödlicher macht, als jede noch so schmerzliche, unverzügliche Änderung des Systems.

Am 14. August geht die Post ab, falls die Saison wie vorgesehen beginnt. Gute Fahrt im Abgrund, wenn man die Post abfahren läßt.

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