Urteil im »Operation Aderlass«-Prozess Harte Strafe, geringer Effekt

Mark Schmidt vor Gericht
Foto: Peter Kneffel / dpaNach knapp zwei Jahren Untersuchungshaft und 23 Prozesstagen in vier Monaten versucht Mark Schmidt ein letztes Mal, Haltung zu zeigen. In blauem Pullover und Chino-Hose steht der 42-Jährige am Freitagvormittag zwischen seinen Verteidigern im Sitzungssaal A101 des Münchner Landgerichts. Als die Vorsitzende Richterin Marion Tischler das Urteil über den Erfurter Dopingarzt und seine vier Komplizen spricht, stützt er sich auf den Stuhl vor ihm, dann senkt er den Kopf.
Bis zuletzt hatte Schmidt auf Milde der Strafkammer gehofft. Er hatte Reue gezeigt, in einem Schlusswort mit brüchiger Stimme von »großer Scheiße« gesprochen, die er »verbockt« habe. Er sei »falsch abgebogen«, sagte er, wobei diese Formulierung doch etwas verharmlosend klang.
Gut einem Dutzend Rad- und Wintersportlern aus mehreren europäischen Ländern hatte er zwischen 2013 und 2019 beim Eigenblutdoping geholfen, damit sie bei Olympia oder der Tour de France ausdauernder in die Pedale traten oder schneller über die Loipe rauschten. Angeblich weniger aus finanziellem Interesse, wie Schmidt beteuerte, sondern »aus Liebe zum Sport« und um zu verhindern, dass sich seine Kunden an die Scharlatane der Dopingszene wandten.
Die Kammer überzeugten die uneigennützigen Motive Schmidts wenig. Das Gericht verurteilte Schmidt zu einer Haftstrafe von vier Jahren und zehn Monaten – wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz, der unerlaubten Anwendung von Dopingmethoden im Sport und gefährlicher Körperverletzung. Außerdem erhält der Mediziner ein Berufsverbot von drei Jahren. Seine vier Helfer erhielten teils Bewährungsstrafen und eine Geldstrafe.
Erster großer Erfolg des Antidopinggesetzes
Richterin Tischler erklärte, Schmidt habe »mit krimineller Energie Sportler an das Doping herangeführt«, deren Leistung manipuliert und Geld daran verdient. Der Mediziner sei »Kopf eines Dopingsystems« gewesen, der leistungssteigernde Präparate und Utensilien zur Eigenblutbehandlung im Ausland bestellte. Und der seine Komplizen und ihre mitunter finanzielle Not ausnutzte, um sie für seine Zwecke zu gewinnen.
Der Spruch des Münchner Landgerichts ist in der Bundesrepublik bislang einmalig. Nie zuvor hat ein Profisportler, Mediziner oder Hintermann auf der Grundlage des seit 2015 geltenden Antidopinggesetzes eine Freiheitsstrafe ohne Chance auf Bewährung erhalten.
»Es ist ein Wahnsinn, was man mit seinem Leben macht«, sagte Schmidts Verteidiger Juri Goldstein. Ob er in Revision gehen wolle, ließ er offen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die Gefahr des Eigenblutdopings
Besonders schwer wertete die Kammer, dass der Arzt einer österreichischen Mountainbikerin fälschlicherweise getrocknetes Hämoglobin injiziert hatte – ein Forschungspräparat, das bei der Athletin zu Schüttelfrost und einer allergischen Reaktion führte. Tischler sprach von einem »Menschenexperiment jenseits ethischer Maßstäbe«.
Zugute hielt das Gericht dem Mediziner unter anderem seinen Willen zur Aufklärung. Schmidt hatte den Ermittlern ein Handy mit Daten ausgehändigt, »ohne dass es diesen Prozess nicht gegeben hätte«, sagte Tischler. Auch dass Schmidt seine Schuld eingestand, rechnete die Kammer ihm an.
Schmidts Verteidiger hatten eine Haftstrafe von drei Jahren gefordert. Er argumentierte wiederholt, dass Leistungsmanipulationen im Ausdauersport allgegenwärtig seien – und dass Athleten nach Dopingpräparaten verlangen würden. Tischler widersprach, Schmidt habe diesen Markt auch selbst geschaffen – und seine Kunden mit verschiedensten Präparaten bedient, ohne deren Wechselwirkung zu beachten.
Eigenblutdoping ist nicht ungefährlich. Zu den Nebenwirkungen zählen Schwindelgefühle, septische Schocks oder Angstzustände. Als fahrlässig bewerteten die im Prozess geladenen Sachverständigen auch, dass Schmidt vor einer Reinfusion keine Blutgruppentests durchführte, um eine Verwechselung des Blutes auszuschließen.
Wenn ein Urteil abschrecken soll, es das aber nicht tut
Dennoch ist das Urteil ein außergewöhnlich hartes, bei dem sich durchaus die Frage nach der Verhältnismäßigkeit stellt – bedenkt man, dass ein Straftäter hierzulande für schweren Raub auch mindestens fünf Jahre Freiheitsstrafe erhält. Die Kunden des Mediziners wollten gedopt werden. Dafür zahlten sie bis zu 30.000 Euro pro Saison.
Schmidts Verteidiger Goldstein hält den Strafrahmen deshalb für grotesk überzogen, nennt das Urteil »ein Exempel«, das man an seinem Mandanten statuieren wolle.
Tatsächlich wirkt es, als ob das Gericht sein Urteil als Abschreckung verstanden wissen will. Als Paukenschlag für das Antidopinggesetz, dessen Bilanz bislang eher dürftig scheint. Die Praxis hat gezeigt, dass das neue Gesetz wenig zur Sauberkeit des Spitzensports beigetragen hat. Bislang wurden vor allem Breitensportler sanktioniert, etwa für den Handel mit Anabolika in Fitnessstudios. Das Verdikt gegen Schmidt bildet eine Zäsur.
Der ermittelnde Oberstaatsanwalt Kai Gräber sagte, der Schuldspruch zeige, dass sich das Gesetz bewährt habe. Fünfeinhalb Jahre Haft hatte er für Schmidt gefordert. Dass das Gericht darunter blieb, müsse er nun erst mal »sacken lassen«.
Was bleibt vom größten deutschen Dopingstrafprozess der jüngeren Geschichte?
Sicherlich ein Erfolg für die Ermittler, aber auch die Erkenntnis, dass Schmidt doch nicht der große Dopingdrahtzieher war. Eher ein Rädchen im Getriebe der Betrugsmaschinerie. Ein Mann, der sich mit Doping auskannte, aber keineswegs Topathleten versorgte, sondern vor allem sportliche Hinterbänkler. Und dessen teils amateurhaft agierende Komplizen die Hetzerei zu Wettkämpfen für 200 Euro Tagessatz irgendwann satthatten.
Die Münchner Schwerpunktstaatsanwaltschaft musste zusehen, wie das Gericht etliche angeklagte Fälle von Eigenblutdoping auf 26 strafrelevante Tatkomplexe zusammenstrich. Teils, weil die Taten vor Einführung des Antidopinggesetzes 2015 stattgefunden und nicht mehr strafrechtlich verfolgbar waren. Teils, weil eine Blutabnahme oder -zuführung allein keine strafbare Handlung darstellte, wenn sie nicht unmittelbar vor einem Wettkampf stattfand.
Noch im Dezember 2019 hatte die Behörde vom bislang größten Erfolg im Kampf gegen Dopingsünder im Spitzensport berichtet – nach Razzien während der Nordischen Ski-WM im österreichischen Seefeld und in Schmidts Erfurter Praxis. Staatsanwalt Gräber ließ wissen, seine Behörde könne sich bei den Ermittlungen auf 54 Aktenbände und mehr als 30 Zeugen stützen.
Schmidt gibt nur zu, was nicht zu leugnen ist
Doch je länger der Prozess dauerte, desto mehr erschöpfte sich die Hoffnung der Ermittler, neben Schmidts Kunden weitere dopende Athleten und Hintermänner aufzuspüren. Der Mediziner gab nur zu, was nicht mehr zu leugnen war, schwieg sich über mögliche Mittäter aus. Die meisten der zum Prozess geladenen ausländischen Zeugen, die zur Aufklärung hätten beitragen können, kamen erst gar nicht oder blieben in ihren Aussagen vage, was Staatsanwalt Gräber zunehmend frustrierte.
»Wo sind denn die Namen? Wo sind denn die Ärzte? Ich habe hier nur Mutmaßungen und Spekulationen gehört«, entfuhr es ihm beim Vortrag seines Plädoyers. »Alles Schall und Rauch!«
Trotzdem werden in der Politik die Rufe nach mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften laut. Bislang gibt es nur drei – in München, Zweibrücken und Freiburg. Ob zusätzliche Behörden helfen, den organisierten Leistungsbetrug einzudämmen, ist fraglich – wenn Dopingfahnder bei den zerstochenen Armbeugen eines Sportlers nicht stutzig werden, wie Zeugen berichteten. Oder wenn Radfahrer an 140 Renntagen nur ein Dutzend mal kontrolliert werden, wie der frühere Profi Danilo Hondo aussagte .
Auch für die ab diesem Jahr geplante Kronzeugenregelung machte der Prozess wenig Werbung. Die Bestimmung soll Dopingsünder ermutigen auszupacken; im Gegenzug sollen sie Strafmilderung erhalten. Doch wer den Mund aufmacht, schneidet sich bisweilen ins eigene Fleisch. Ex-Langläufer Johannes Dürr hatte das am eigenen Leib erfahren.
Der Kronzeuge im Prozess gegen Schmidt und seine Helfer wurde nach seiner Zusammenarbeit mit den Behörden in der Wintersportszene geächtet, gilt als Nestbeschmutzer. Der Österreichische Skiverband (ÖSV) verpasste ihm einen Maulkorb. Was Dürr tatsächlich über die Dopingpraktiken in den Reihen des ÖSV wusste, darüber darf er nicht mehr sprechen.
Verbände und Ausrüster werden auch weiterhin wenig Interesse daran haben, dopende Sportler zu verfolgen. Dafür ist die global vermarktete Leistungsschau viel zu lukrativ. Jene, die erwischt werden, sind raus – ob Sportler, Mediziner oder Gehilfe. Die Show aber muss weitergehen.
Auch die Lücke, die Mark Schmidt im Betrugssystem hinterlassen hat, wird inzwischen ein anderer gefüllt haben – davon darf man ausgehen. »Wir schaufeln ein Loch zu, da geht woanders wieder eins auf«, hatte Oberstaatsanwalt Gräber schon vor Prozessbeginn gesagt. Daran wird sich so schnell nichts ändern.