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Verdrängte Angst

Bei seinem Comeback-Versuch gegen Larry Holmes setzt Muhammad Ali seine Gesundheit aufs Spiel. Er hat nur einen Vorteil: meisterhafte psychologische Kriegführung.
aus DER SPIEGEL 40/1980

Der Schnurrbart ist ab, der Bauch ist weg, das wabblige Wellfleisch um die Hüften verschwunden. Der Gladiator hat sich von 230 Pfund auf zwei Zentner gequält, in »Caesar's Sport-Pavilion« in Las Vegas ist's live zu besichtigen.

Muhammad Ali, 38, macht Ernst. Er schindet sich am Sandsack, springt Seil, daß der Schweiß spritzt, steigt zu Sparringrunden in den Ring. Er will zum viertenmal Weltmeister werden.

Doch der Schmetterling hat sich zum Bären gewandelt. Früher war Ali stolz, daß er wie ein Schmetterling nicht zu treffen war, aber wie eine Biene zustach. Dann protzte er, daß er Schläge vertragen könne; in Wirklichkeit konnte er sie, langsamer geworden, nicht mehr vermeiden. Nun lädt er Haken und Schwinger geradezu ein: Die Gegner sollen sich müde hauen, ehe er zurückkeilt.

Das geht sogar beim Sparring so: Trainingspartner Marty Monroe rammt Ali die Rechte in die Rippen. Der Getroffene grunzt, und die Sympathisanten im Saal stöhnen mit. Einst wurde schadenfroh gejohlt, wenn einer mal das Großmaul erwischte. Heute leiden die meisten mit Ali.

Ein Haken landet auf Alis Schläfe. »Mein Schädel vibriert wie eine Stimmgabel. Neonröhren gehen an und aus ... man sieht Fledermäuse, die Trompete spielen, Alligatoren mit Posaunen.« So hat Ali in seinen Memoiren die Wirkung von schweren Kopftreffern beschrieben.

Er hat die Angst des Boxers vor dem ersten Gong nicht verheimlicht: Beim Wiegen vor dem Kampf gegen Sonny Liston schnellte sein Puls von 54 auf 120. Vor Fights trieb es ihn zur Toilette. »Da stehe ich ... es kommt nichts.« Ali dachte bei der Ringschlacht mit Joe Frazier in Manila an den Tod. Er hat Niederlagen erlitten: »Man fühlt sich nackt und kalt.«

Dennoch zieht es ihn zurück in die Arena. Ali hat dort Bruttogagen von insgesamt 67 Millionen Dollar erkämpft. Geblieben davon ist ihm nur ein Bruchteil; Moslembrüder, Mitläufer, Ex-Frauen und sein Hofstaat haben kräftig kassiert.

Aber Ali erwarb immerhin Häuser in Chicago und Los Angeles, eine Farm in Michigan und ein Grundstück in Pennsylvania. Gutes Geld bringen nach wie vor Fernsehspots -- und sei's für Ungeziefer-Vertilgungsmittel.

Was den alternden Ali in den Ring zurücktreibt, ist nicht Geld, sondern Geltungssucht. Er braucht Aufmerksamkeit, Beifall und Flutlicht. So wie es Marika Rökk immer wieder auf die Bühne drängte -- so kann Ali ohne sein Box-Publikum nicht auskommen.

Der Boxer versuchte sich als Schauspieler, nachdem er 1978 den Ring verlassen hatte, zuletzt als Fernsehstar in Howard Fasts »Straße zur Freiheit«. Urteil der »New York Times": »Desaster.«

Ali wollte ein »schwarzer Kissinger« werden: Fünf afrikanische Länder in sieben Tagen -- Blitzeinsatz für Jimmy Carters Olympia-Boykott. Resultat: Die afrikanischen Staatschefs fühlten sich durch den Boxer als Botschafter brüskiert.

Da dämmerte Ali, daß nur der Ring seine »Welt-Plattform« sein kann. Als echter Amerikaner will er »Nummer eins« sein. Das kann er nur als Boxer -- also steigerte er sich in eine neue Kreuzzugsidee. Das Ziel diesmal: »Ein Rekord für die Ewigkeit.«

Dafür lebt Ali jetzt, darauf ist sein Denken fixiert: Er hat die Erinnerungen an Schmerzen und Ängste ausgelöscht. Er putzt seinen Gegner zum Winzling hinunter, der »nur Flaschen besiegt« habe. Sich selbst erhebt er zum Supermann: »Unschlagbar, stärker als je zuvor, körperlich in bester Verfassung.«

Dabei forderten die Ringschlachten ihren Preis. Ali hatte schon vor fünf Jahren nach Kämpfen Blut im Urin. Leibarzt Ferdie Pacheco riet damals zum Rücktritt -- er flog. Ali nuschelt heute, was Folge der Kinn- und Kiefertreffer sein kann, ähnlich wie Max Schmeling auch.

Ali verdrängt seine 38 Jahre. Er ist für einen Boxer ein alter Mann. Lana Shabazz, die schwere schwarze Matrone in seinem Gefolge, kocht eine Spezialdiät. Er glaubt, daß sie wie ein Verjüngungstrank wirkt.

Der Veteran steigert sich in Siegesvisionen: »Hört ihr nicht, der Ringsprecher: 'Ladies and Gentlemen --Dong Dong, Dong zum viertenmal Weltmeister aller Klassen -- Muhammad Ali]'«

Alis Traum mag noch einmal Wahrheit werden, obwohl sein Gegner, Weltmeister Larry Holmes, jünger und schneller ist, härter schlägt und die besseren Reflexe hat. Aber Ali ist noch immer Champion in der psychologischen Kriegführung. Kein Boxer hat wie er verstanden, die Gegner vor dem ersten Gongschlag zu zermürben.

Der junge Cassius Clay sagte die Runde seiner K.o.-Siege voraus. Er baute einen Mythos auf, indem er leichte Gegner so lange stehen ließ; bessere verkrampften in der vorausgesagten Endrunde wie in Erwartung ihrer Hinrichtung.

Ali erklärte Floyd Patterson zu einem Kaninchen, den sensiblen Exweltmeister, der sich nach Niederlagen verkleidete, um nicht erkannt zu werden. Ali erschien mit einem Bund Mohrrüben im Trainingscamp von Patterson -- und schlug ihn später im Ring fürchterlich zusammen.

Den starken Doug Jones fragte Ali unmittelbar vor Kampfbeginn: »Wie groß bist du eigentlich?« Jones: »Weshalb willst du das wissen?« Ali: »Damit ich weiß, wie weit ich zurücktreten muß, wenn ich Maß nehme.« Ali siegte.

Nach der Zwangssperre wegen seiner Wehrdienstverweigerung zurückgekehrt, S.229 fauchte Ali den Weltmeister George Foreman an: »Jahrelang haben sie dir von mir erzählt, Schlappschwanz. Dein Leben lang hast du von Muhammad Ali gehört, sogenannter Champion. Nun schlägt deine Stunde.« Foreman fiel in der achten Runde.

Ali pflegte auch im Kampf zu sprechen. Dem frommen, etwas einfältigen Joe Frazier raunte er zu, während er Treffer landete: »Weißt du eigentlich, daß du gegen Gott kämpfst?«

Seine Hybris nutzt Ali nun gegen Larry Holmes. Der war von 1970 bis 1974 Sparringspartner im Ali-Camp, »ein Kerl, der dafür bezahlt wird, seinen Arbeitgeber in Topform zu bringen« (so Jose Torres, Ex-Weltmeister im Halbschwergewicht, über die Zunft der Trainingshelfer).

Ali spielt die Chef-Karte: »Dieser unbegabte Schüler«, zieht er seit Wochen über Holmes her, »hätte nie einen Titel errungen, wenn ich nicht abgetreten wäre. Ich werde ihn daran erinnern, wer der Meister ist.« Ziel von Alis Psycho-Attacke: Holmes soll sich im Kampfring am 2. Oktober fühlen wie im Sparring mit Ali vor zehn Jahren.

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