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Viel Scheinheiligkeit

Der Fall Angerer brachte erneut den Sportarzt Spannbauer ins Zwielicht- und mit ihm die deutsche Biathlonszene. *
aus DER SPIEGEL 37/1986

Der Olympiasieger von 1984 und Weltmeisterschaftszweite von 1986 blies Trübsal. »Mein guter Name ist sicher kaputt«, sinnierte Peter Angerer, 27, im Deutschen Fernsehen. »Ich mag nicht mehr.«

Am Tag zuvor, dem 28. August, hatte der Internationale Biathlonverband dem blonden, blauäugigen Modellathleten aus Oberbayern sowie seinem Gefährten in der Staffel Franz Wudy die bei den Weltmeisterschaften im Februar dieses Jahres in Oslo errungenen Medaillen wegen nachgewiesenen Dopings aberkannt - beide hatten ein Mittel geschluckt, in dem sich das verbotene leistungsfördernde Hormon Testosteron befand.

Gesperrt wurden beide Sportler nur bis zum 31. Januar 1987. Die Strafe sei so mild ausgefallen, weil, so Verbandspräsident Sven Thofelt, »die Überzeugung vorherrschte, daß die Aktiven nicht wissentlich« gehandelt haben«.

Diese Meinung teilt auch Dopingexperte Professor Manfred Donike aus Köln: »Auf jeden Fall liegt bei Angerer und Wudy ein Alleinverschulden des Arztes vor.«

Mannschaftsarzt der deutschen Biathleten bei der WM in Oslo war Erich Spannhauer, während seiner langen Karriere als Sportmediziner - unter anderem für die deutschen Ringer und den FC Bayern München - immer wieder als »Spritzenpapst« bezeichnet. Er ließ Angerer und Wudy - so der Dopingbefund - kurz vor den Wettkämpfen nachgewiesene 0,6 Milligramm Testosteron einnehmen, ohne deren Wissen, wie Angerer beteuert.

Der Mann. der mit einer kurzen Unterbrechung seit fast 15 Jahren die Biathleten betreute, streitet nicht ab, Testosteron anzuwenden. Er hält das Hormon für »unschädlich«, seine Klassifizierung als verbotenes Dopingmittel, das aggressiv machen und Sterilität sowie erhöhtes Herzinfarktrisiko hervorrufen könne, für »ein Diktat der Dopingstellen, die ja nichts tun, außer Urin kochen«.

Im Gegensatz zu der vom Deutschen Skiverband (DSV) publizierten Stellungnahme habe er Angerer und Wudy nicht gegen eine Erkältung, sondern gegen ein »Leistungstal« behandelt, wohl wissend, womit, Spannbauer: »Auf der uns zugänglichen Liste unerlaubter Substanzen war Testosteron nicht aufgeführt. Und wenn etwas nicht auf der Liste steht, aber dem Athleten nützt, dann geb' ich das auch.«

Nach Auskunft des DSV ist Testosteron seit 1982 als verbotene Substanz gebannt. Dann habe, so Spannbauer, »uns wohl nicht die allerneueste Liste« vorgelegen.

Hinter dem Rücken der Athleten und Funktionäre aber will er nicht gehandelt haben. »Viel Scheinheiligkeit« präge die Diskussion über den Fall Angerer, erklärte er. »Athletenbetreuung, das ist doch Teamwork, dazu gehören die Trainer, der Arzt und die Aktiven selbst«. Und die Athleten, das räumt auch DSV-Sportdirektor Helmut Weinbuch ein, »erwarten vom medizinischen Betreuer, daß er im Bereich des Möglichen bis zum Rand hin experimentiert«.

Die Experimente von »Spanni«, so des Doktors saloppe Anrede im Biathletenkreis, schienen Angerer und Co. jahrelang durchaus zu behagen. Mindestens alle vierzehn Tage fuhren sie in die vom Biathlonzentrum Ruhpolding über 100 Kilometer entfernte Spannbauer-Praxis, erst nach München, später nach Schabegg, dem Alterssitz des 61jährigen Doktors.

Dort lagen im Behandlungsraum auf dem Tisch eine Spritze oder, sauber aufgereiht, ein paar Pillen, nie aber etikettierte Arzneifläschchen oder -dosen. Ex-Kadermitglied Florian Hüttner: »Auf meine Frage, was denn das für eine Spritze sei, antwortete Dr. Spannbauer nur: 'Das ist für die Kraft.'« Hüttner, der um seinen Platz im Kader fürchtete, verzichtete darauf, hartnäckig weiterzubohren.

Mannschaftskollege Walter Pichler hatte als einer der wenigen Top-Biathleten Spannbauers Dienste frühzeitig abgelehnt: »Mich hatten 1980 ältere Aktive darauf hingewiesen, daß beim Spanni nicht alles sauber zugeht.« Pichler ließ sich von dem Ruhpoldinger Sportarzt Günther Pfeifer medizinisch betreuen, stellte aber schnell fest, daß »die Spannbauer-Leute das Training viel besser verdauten als ich«.

Als Spannbauer 1983 wegen eines Herzinfarktes seine Aufgabe als Mannschaftsarzt nicht mehr erfüllen konnte, holte der Skiverband Pfeifer. Der schlug anläßlich der Qualifikationsrennen der

deutschen Biathleten für die Olympischen Spiele in Sarajevo eine Dopingkontrolle aller Anwärter für das Team vor. Aus »Kostengründen« lehnte der DSV ab.

Ein halbes Jahr später wählten die Aktiven den Ruhpoldinger Arzt als Team-Doktor ab. Spannbauer war wieder genesen und erneut zu Rat und Tat bereit. Nur zwei Aktive sprachen sich gegen ihn aus. Peter Angerer damals: »Wir brauchen den Dr. Spannbauer.

Nach dem Bekanntwerden der Dopingfälle Angerer und Wudy ging vergangene Woche durch die Presse, der DSV habe sich von seinem Mannschaftsarzt, den der Welt-Biathlonverband lebenslang für all seine Veranstaltungen sperrte, getrennt. Spannbauer hingegen: Der Kontakt sei nach wie vor gut, »wir telephonieren dauernd miteinander«.

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