TENNIS Völlig überflüssig
Leisetreten war Michael Westphals Sache nie. Vor vier Jahren, gerade 17, tönte er: »Die Deutschen wollen endlich einen Weltklassespieler haben. Ich will ihnen den Gefallen tun.« Beim Daviscup-Match gegen Mexiko forderte er jetzt Gleichbehandlung aller Spieler mit Jungstar Boris Becker: »Ist ein Wimbledon-Sieger etwa ein besserer Mensch als wir anderen?«
Und als die Funktionäre des Deutschen Tennis Bundes (DTB) seine Freundin Jessica, blond und hübsch wie Westphal, aus dem Mannschaftshotel »Camino Real« in eine Privat-Pension verbannen wollten, fragte er: »Wenn Boris eine Freundin dabei hätte, ob die auch ausziehen müßte?« Jessica blieb.
Wer so keß redet, braucht Erfolg, sonst fällt er unten durch. Seinen größten Triumph feierte Michael Westphal, die Nummer 53 der Weltrangliste, am 4. Oktober 1985. Da schlug er in Frankfurt beim Daviscup-Halbfinale den tschechischen Weltklassespieler Tomas Smid in fünf Sätzen. Deutschland beförderte den Pinneberger zum Zweithelden neben Boris Becker, und auch für die Funktionäre war »Westus« plötzlich einer.
Mit seinen beiden Niederlagen gegen die Mexikaner Paco Maciel und Leo Lavalle, die den Weg des deutschen Teams in die Abstiegsrunde des Daviscup besiegelten, ist der Sohn eines Bauingenieurs wieder dahingefallen, wo er sich meist befindet: in Ungnade. Nach der Abfuhr durch Maciel (5:7, 0:6, 2:6) fand kein Funktionär den Weg in den Umkleideraum. Dafür hörte Westphal durchs offene Fenster, wie Herren vom DTB sich draußen vor der Tür über seine mangelnde Berufsauffassung als Tennisprofi und Jessicas verderblichen Einfluß unterhielten.
Ganz unrecht haben sie nicht. Während Boris Becker nach eigener Aussage »morgens, mittags und abends an Tennis« denkt, ist Westphals Wahlspruch: »Es gibt im Leben auch noch andere Dinge« - Jessica, Diskos und ab und an auch mal ein Gläschen. Zum Tennis-Asketen eignet er sich nicht.
Im August vergangenen Jahres erreichte Westphal das Finale des Kitzbüheler
Grand-Prix-Turniers. Die Nacht vorher durchtanzte er bis zum Morgengrauen in einer Disko. Das Endspiel verlor er glatt.
Bei Turnieren, zu denen ihn Studentin und Gelegenheits-Photomodell Jessica begleitet, wird Westphal nur selten morgens auf dem Trainingsplatz gesichtet. Seine Begründung: »Man kann auch zu anderen Zeiten üben als um Zehn.« Seine Freundin: »Mir wäre ein Student Westphal zum Freund lieber als der Tennisspieler Westphal.«
Der Pinneberger, dem auch Becker-Trainer Bosch »kaum noch abstellbare technische Mängel« bescheinigt (siehe Interview), habe schon längst eingesehen, so sagen Insider, daß er nie mehr in die Weltspitze vorstoßen werde. Daher denke er nicht daran, seinen Lebensstil zu ändern. Trotzdem will er weiter im Daviscup spielen. Westphal am Abend der deutschen Niederlage: »Die müssen erst einen Besseren haben als mich.« Anschließend fuhr er mit Jessica zum »Ausspannen und Trainieren« nach Florida.
Zwar versicherte Günter Sanders, Sportdirekter des DTB, die »deprimierende, unnötige Niederlage« gegen die Mexikaner heiße nicht, daß »Michael draußen ist«, doch andere Tennisobere wie Sportwart Peter von Pierer und Leistungsobmann Wolf-Dieter Späth hatten den Schuldigen am Debakel längst ausgemacht. Späth: »Wer wie Westphal in 2400 Meter Höhe nicht optimal austrainiert antritt, kann rein medizinisch keine Leistung bringen.« Und von Pierer: »Jetzt müssen andere Leute her.«
Bei sich selbst suchte der Troß des DTB nicht nach Ursachen für die Pleite gegen den Tenniszwerg Mexiko. Daß die Selbstüberschätzung der Besucher aus dem reichen Alemania erheblich zum schwachen Spiel Westphals gegen Maciel und des deutschen Doppels Becker/ Maurer beitrugen, räumte nur DTB-Trainer Niki Pilic ein: »Ich habe schon vor Wochen davor gewarnt, was uns in Mexiko erwartet. Denn ich selbst habe hier vor 15 Jahren Daviscup gespielt. Aber das wollte ja niemand hören.«
Mit blendender Ausrüstung war die deutsche Expedition ins Entwicklungsland Mexiko eingefallen. Wie Champs präsentierten sich auch die älteren Herren des Vorstands in blütenweißen Trainingsanzügen mit Namenszug auf dem Rücken. Aus Mißtrauen gegenüber der Hygiene im Lande hatte man ins Luxushotel »Camino Real« Fleisch, Wurst, Brot und Säfte aus der Heimat mitgenommen. Mexikos pikierter Tennispräsident Luis Lavalle: »Eine völlig überflüssige Ausgabe.«
Auf Land und Leute aber hatte sich der DTB sonst kaum eingerichtet. Die großen Pesomünzen des Inflationslandes Mexiko nannte Delegationsleiter Heinz Gass humorig »Indianergeld«. Als nach dem Ende jedes Matches Sitzkissen in die Arena geworfen wurden - ein alter Stierkampfbrauch -, fühlten sich die Deutschen bedroht. Als Fans mit schwarzrotgoldenen Fähnchen ausgebuht wurden, fühlten sie sich angegriffen - doch dieses Buh für das Auswärtsteam ist bei mexikanischen Sportveranstaltungen selbstverständliche Übung.
Noch weniger hatte man sich um die Gegner gesorgt. Selbst in der Pressekonferenz nach dem verlorenen Doppel war dem Deutschen Andreas Maurer der Name von Perez Pascal, dem zweiten mexikanischen Doppelspieler, nicht geläufig. Er äußerte sein Erstaunen, »daß der, der ... daß der zweite Mexikaner so stark war«.
Als sich dann die Niederlage abzeichnete, rettete sich die deutsche Expedition in die Dolchstoßtheorie: Der Defekt an der elektronischen Anzeigetafel, auf der plötzlich die Zahlen zu rasen anfingen, gerade als Westphal einen Ball ins Aus schlug, sei »reine Absicht«, mutmaßte ein Delegationsmitglied.
Auch die Schlägerei zweier betrunkener Zuschauer, die zu einer achtminütigen Unterbrechung führte, nach der Lavalle stärker spielte als vorher, »riecht doch nach Inszenierung.«
Immer häufiger und hektischer protestierte Kapitän Wilhelm Bungert beim US-Schiedsrichter Kenneth Slye. Anschließend bezeichnet er vor der deutschen Presse den ebenso hartnäckig intervenierenden mexikanischen Coach Raul Ramirez als »das größte Schwein«. Weitere Erkenntnisse, aus der Niederlage, so Bungert, »habe ich, um es offen zu sagen, nicht gewonnen«.