FUNKTIONÄRE Vom Tiger zum Bettvorleger
Für einen Sportfunktionär, der gern allerorts mitredet, war es wieder eine schöne Woche.
Im Kanzleramt durfte Manfred von Richthofen mit Helmut Kohl und IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch über Europa plauschen. Als der Sportausschuß des Deutschen Städtetages in München tagte, fand der Berliner Gehör, es ging um das Wohl des deutschen Vereinswesens. Und zwischendurch galt es für den Mann mit der Goldrandbrille, in komplizierten Gesprächen noch das Berliner Olympiastadion und den Schulsport zu retten.
Am Freitag abend der vorvergangenen Woche schlußendlich, als der Bundesgrenzschutz in die Europahalle zu Karlsruhe einlud, erklangen, als sei es Lohn der Wochenmüh, Posthorn und Trompete, Applaus und nette Worte - für Manfred von Richthofen, 63, den Schirmherrn des Benefizkonzertes zugunsten von »Jugend trainiert für Olympia«.
Auch wenn letztlich nur 300 Badener den blasenden Grenzern zuhören mochten, so vermittelte der prallvolle Wochenplan dem eiligen Präsidenten einmal mehr seine ungeheure Wichtigkeit.
26 Millionen Mitgliedern steht der Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB) vor. Und die größte Massenorganisation der Republik war vor drei Jahren richtig stolz auf ihren neuen Chef, der eloquent, adelig und wohlhabend ist. Mit kämpferischen Worten vom »rigorosen Durchgreifen« und »konsequenten Lobbyismus« hatte sich der Baron den Ruf des »Störenfrieds im Maßanzug« ("Berliner Zeitung") und »sportpolitischen Überfliegers« ("Frankfurter Allgemeine") erworben.
In letzter Zeit indes werden Momente der Huldigung wie in Karlsruhe zunehmend vom grauen Funktionärsalltag getrübt. Als von Richthofen Mitte November im Erfurter Kaisersaal auf unerledigte Stasi-Fälle angesprochen wurde, schnappte der Kettenraucher quälend nach Luft und polterte dann lautstark über das »journalistische Aufgeilen von Medienvertretern«, das er »unerträglich« finde.
Unverkennbar leidet von Richthofens Stimmungslage immer häufiger unter der Last eines mißratenen Vereinigungsprozesses; sportpolitische Niederlagen und eine erstarrte Verbandszentrale in Frankfurt hemmen den Präsidenten. Kollegen und Mitarbeiter stoßen sich an seiner Eitelkeit und an großen Worten, denen oft keine Taten folgen. Die »Aufbruchstimmung« ("Süddeutsche Zeitung") nach seiner Wahl vor drei Jahren ist Stagnation gewichen.
Und lästerte von Richthofen vor kurzem noch selbst über die »Funktionäre mit den Segenssprüchen«, über »Zauderer«, die ihm »zuwider sind« - wobei er vor allem Walther Tröger, den Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), im Visier hatte -, so wird der Aristokrat mittlerweile selbst zum Gespött. Von Richthofen, so ledert ein Tröger-Stellvertreter, sei ein Beispiel, wie jemand »als Tiger startet und als Bettvorleger landet«.
Wenn sich der Hauptausschuß, das zweithöchste Beschlußgremium des DSB, am Samstag in Frankfurt trifft, müssen die Delegierten ihren angeschlagenen Vorturner wieder aufbauen. Denn der schleichende Niedergang des Präsidenten trifft die Sportwelt zur denkbar ungünstigsten Zeit. Der Staat, der größte Sponsor der Leibesübung, kann sich den aufgeblähten Apparat nicht mehr leisten. Und um die Finanznot zu bekämpfen, liegen bisher nur diffuse Ankündigungen von Personaleinsparungen und neuen Einnahmebereichen vor.
Von Richthofen mußte erkennen, daß es ihm in Wahrheit nichts nutzt, den für den Sport zuständigen Bundesinnenminister Manfred Kanther »in allen Problemfällen ans Telefon zu bekommen«. Schwierigkeiten lassen sich auch mit den besten Beziehungen nicht immer aus der Welt schaffen.
Als von Richthofen wesentlich dazu beitrug, den Runden Tisch, einen Zusammenschluß der wichtigsten Politiker, Sportfunktionäre und Wirtschaftsführer unter Schirmherrschaft des Kanzlers, zu aktivieren, schürte er wortreich die Hoffnung auf eine effiziente, unbürokratische, zukunftsorientierte Sportförderung.
Doch der bunte Ballon wurde mit viel heißer Luft gefüllt - bis er platzte. Inzwischen ist der ehemalige Daimler-Benz-Chef Edzard Reuter, der Leiter des von der Runde gegründeten Initiativkreises, zurückgetreten. Von den großen Plänen sind nur Reste übriggeblieben. Von Richthofen habe die Kooperation von Wirtschaft und Sport »schon vorangetrieben«, resümiert Bertelsmann-Manager Bernd Schiphorst, »doch sie ist an Rivalitäten unter den Spitzenverbänden gescheitert«.
Auch von Richthofens Ankündigung, mit »Eggheads« der Sportbewegung Schwung zu verleihen, blieb folgenlos. Die von ihm angesprochenen Seiteneinsteiger wie die Paderborner Literaturwissenschaftlerin Gertrud Höhler oder Wolfgang Huber, der Landesbischof von Berlin-Brandenburg, sagten ab - »die hatten einfach keine Zeit« (von Richthofen).
Statt dessen wird bald ein »wissenschaftlicher Beirat« gegründet. »Wir haben eben doch einiges bewegt«, meint von Richthofen. Generell zählt Selbstkritik nicht zu den Stärken des stets edelgewandeten Freiherrn, dem die spröde Funktionärswelt eigentlich zuwider scheint. Denn einer wie er fühlt sich den Großen dieser Erde zugehörig, denen er in seiner Berliner Villa unweit des Grunewalds eigens eine Wand gewidmet hat. Bilder zeigen von Richthofen mit Ronald Reagan, daneben Widmungen von Scheel und Richard von Weizsäcker, von Jochen Vogel und Kohl.
Unter den Fotos steht auf einer Anrichte ein rotes Flugzeugmodell - der Dreidecker, mit dem sein Onkel, das Flieger-As Manfred von Richthofen, im Ersten Weltkrieg Ruhm erlangte. Gegenüber Vertrauten verhehlt der Sportfunktionär nicht, daß die weltweite Anerkennung für die Leistung des »Roten Barons« Vorbild und Quelle seines eigenen Ehrgeizes ist.
Anfängliche Hoffnungen auf eine Politikerkarriere zerstoben indes frühzeitig. Zwar brachte es der ehemalige Vorsitzende der Berliner Jungen Union bis zum stellvertretenden Parteivorsitzenden in der geteilten Stadt, aber dann stoppten die Christdemokraten den Aufstieg.
Seit Anfang der achtziger Jahre konzentriert der ehemalige Gymnasiallehrer nunmehr seine Energie auf die Funktionärslaufbahn im Sport. Doch aus der Überzeugung, eigentlich zu Höherem geboren zu sein, scheint oft eine Koketterie zu wachsen, die unter den farblosen Sportverwaltern bisweilen schillernd, häufig aber nur peinlich wirkt. So verließ der DSB-Chef während der Olympischen Spiele in Atlanta einen Empfang der Münchner Messe vorzeitig - er war verschnupft, weil er nicht namentlich begrüßt worden war.
»Tag des Herrn« nannten anfangs die Mitarbeiter im Frankfurter »Haus des Sports« den Dienstag, wenn der Präsident aus Berlin eingeflogen kam und sich alsbald mit seinem Küchenkabinett ins Chefzimmer verzog. Dort berät er sich mit seinem Statthalter, dem Generalsekretär Wulf Preising. Abteilungsleiter beklagen sich, daß kaum noch über Sachfragen diskutiert werde. Drei frustrierende Jahre nach seiner Wahl heißt die Visite des Chefs im DSB-Flurspott denn auch nur noch »Tag des Königs«.
Die unnahbare und bisweilen aggressive Gangart des Chefs hat beim DSB eine Kultur des Stillhaltens entwickelt. Inge Berndt, Vorsitzende des Bundesausschusses für Frauen im Sport, brach in Tränen aus, als der Boß einen Redebeitrag mit einer bissigen Bemerkung abgebügelt hatte.
Auf der anderen Seite ist der »Volldampf«, mit dem von Richthofen vor drei Jahren sein neues Amt angehen wollte, längst verzogen; was folgte, war eine Schunkelfahrt. Der Sport-Aufbau Ost ist vielerorts zum Erliegen gekommen. In wichtigen Umwelt- und Medienfragen findet der DSB kaum noch öffentliches Gehör.
Kultusminister kürzen Schulstunden, Kommunalpolitiker erheben Nutzungsgebühren für Sportanlagen, Krankenkassen streichen Gesundheitssport - und immer wird der 26-Millionen-Verband wie ein schlafender Riese von Entschlüssen überrollt. »Was wir in Deutschland beobachten können«, sagt ein Fachverbands-Präsident, »ist eine gelähmte Sportlandschaft.« Natürlich passe es ihm auch nicht, »dauernd nur reagieren zu müssen«, erwidert von Richthofen, »etwa wenn wieder irgendwelche Kultusminister wahnsinnig geworden sind«.
Auch in Doping- und Stasi-Fragen, in denen sich von Richthofen einst einen Ruf als kämpferischer Aufklärer erworben hatte, hält sich der DSB-Vorsitzende inzwischen unter der Bürde seines Amts vornehm zurück. Als vor vier Jahren Manfred Thieß, Präsident des Thüringer Landessportbundes, der Stasi-Zuarbeit beschuldigt worden war, kritisierte der damalige DSB-Vize von Richthofen den Funktionärskollegen als »Person, die weg muß«.
Heute fühlt er sich als Sportfunktionär »mit Doping und Stasi doppelt geschlagen«. Und jede neue Enttarnung ist ihm lästig, als wäre sie ein Angriff auf die eigene Person - wie bei Joachim Wendler, einem Arzt, der trotz veröffentlichter Doping- und Stasi-Vergangenheit weiter am Berliner Olympiastützpunkt praktizieren durfte.
Mitglieder der unabhängigen Stasi-Kommission des DSB fühlen sich inzwischen vom DSB-Präsidenten im »Stich gelassen«. Das Thema sei »ihm offensichtlich ein bißchen heiß geworden«, kritisiert der Direktor der Berliner Gauck-Behörde, Peter Busse. Solche Aussagen kann von Richthofen allerdings gar nicht verstehen: »Das ist eine böswillige Unterstellung«, so von Richthofen, »unsere Kommissionen arbeiten vorzüglich.«
Auf gesellschaftlichen Feldern ist von Richthofen dagegen um so emsiger. Er beehrt den Kreissportbund Paderborn und den Motorsportclub Celle, der sein 150. Vereinsjubiläum feiert. Er besucht den Zukunftskongreß des Schwäbischen Turnerbundes und die Manager der Expo 2000 - ein ehrenamtliches Besuchsprogramm, das sich einer wie er leisten kann, der mit Spielbanken-Konzessionen in Berlin und Baden-Baden sein Geld verdient.
Nur die Balance zwischen Vereinsmeierei und Zukunftsplanung, zwischen großen Sprüchen und notwendigen Taten mag dem Rhetoriktalent nicht mehr recht glücken. So kündigte die DSB-Spitze in einer Klausurtagung im April massive Personalkürzungen an. Als erstes solle das Frauenreferat, so heißt es in einem internen Papier, aufgelöst werden. Seitdem sind 120 DSB-Beschäftigte verunsichert, und die Pläne schlummern in Schubläden.
Mit hemdsärmligem Pragmatismus versuchte von Richthofen ("Wir müssen straffen") auch die dringende Reform der Spitzensport-Förderung anzugehen. Auf Druck aus Bonn stampfte der DSB ein nationales Spitzensportkonzept aus dem Boden und forcierte die Fusion mit dem Nationalen Olympischen Komitee.
Wenn der Hauptausschuß am Samstag über das Spitzensport-Konzept abstimmt, muß der zufriedene von Richthofen ("So etwas hat noch keiner zustande gebracht") mit Widerstand, etwa aus dem Leichtathletik-Verband, rechnen. Die Fusionsdebatte mit dem NOK endete zuvor schon mit einer peinlichen Abstimmungsniederlage für den DSB-Chef. Weil er schlecht vorbereitet war, hatte ihn ausgerechnet der wegen seiner Trägheit oft belächelte Gegenspieler Tröger ins Leere laufen lasse.
Nun högen sich mißgünstige Präsiden aus dem NOK am Tresen über die Schmach des Berliner Besserwissers. Im nächsten Jahr muß der DSB-Präsident wiedergewählt werden. Vielleicht stellt sich da von Richthofen schon bald die Frage, mit der ihn vor einiger Zeit schon einmal sein Bruder Hartmann von Richthofen, der Geschäftsführer der Spielbank Baden-Baden, konfrontiert hat: »Manfred, mußt du dir das alles wirklich antun?«