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Warten auf Gott

aus DER SPIEGEL 6/1979

In einem Winter wie diesem leben die deutschen Fußballfunktionäre in ihrem Bungalow zu Frankfurt wie die Grafen Dracula.

Den verarmten, weil seit Wochen pausierenden Bundesligaklubs saugen sie die letzten Blutstropfen aus den versiegenden Geldadern. Abgaben sind winterfest. Bei Hilferufen springen die Nullblüter, als käme Licht ins Dunkel, in ihren Kasten und stellen sich tot. Dem Fußballvolk hinterlassen sie regelmäßig zum Wochenende triste Botschaft: Das Spiel fällt aus erwürgt's euch.

Nicht beachten heißt die DFB-Devise im Katastrophenfall. Nur nicht rausgucken auf die Schnee- und Eisfelder in den Stadien, alle können ja vom Wetter reden, der Deutsche Fußball-Bund nicht. Wenn der spricht, dann darüber, wem im Sommer die Lizenz entzogen wird und wieviel Kameraden zu den nächsten Länderspielen nach Malta und in die Türkei mitfliegen. Für Väterchen Frost hat der DFB noch nie Alimente gezahlt.

Von den Wachsfiguren derer von Dracula unterscheiden sich die DFB-Fürsten nur in einem Punkt: In der Not warten sie auf den lieben Gott. Der wird den Schnee schon wieder auftauen, das Eis brechen, den Spielplan in die Reihe bringen und die dummen Fans erinnerungslos machen.

Der zahlende Fußballzuschauer ist der geduldigste Kunde der Welt. Der täte auch für Tauwetter im Stadion Eintritt bezahlen. Er guckt nur nach vorn, ihn stört nicht, daß er für 20 Mark kein Dach überm Kopf hat, und entschuldigt sich noch, wenn er bis zum Bauchnabel im Schlamm versinkt. Wenn nur der Grabi und der Abi ihre Tore schießen.

Den DFB hat noch nichts, kann nie was und wird niemals irgendwas erschüttern. Weil die Klubs arm sind, der DFB aber reich, merken die Schreibtisch-Fußballer im tiefen Frankfurter Wald gar nicht, daß eigentlich zu keiner Zeit des Jahres mehr gespielt werden kann.

Im Januar war es zu kalt und zu glatt. Außerdem hat der Winterschluß-Verkauf begonnen, das stört den Fußballticketumsatz.

Jetzt im Februar ist Nationalmannschafts-Time. Die Spieler und auch die Funktionäre müssen für die Auslandsreisen geimpft und dann geschont werden. Außerdem beginnt in den USA wieder die Fußballsaison, wo Bundesligaspieler schneller an den Ball und ans Geld kommen.

Im März leiden die Spiele darunter, daß drei- bis viermal in der Woche gekickt werden muß: Nachholspiele vom Winter. Die Spieler sind irritiert. Zuviel Spielgage vom alten Jahr fällt beim Finanzamt jetzt an, die Steuerbescheide schmelzen die Prämien.

Im April gibt es die ersten Wärmeeinbrüche. Das schlaucht wie drei Zimmermädchen. Ärzte helfen mit Attesten über hohe Leistungsanforderungen hinweg.

Im Mai lenken die neuen Vertragsabschlüsse von der Punktejagd ab. Die nächste Saison ist wichtiger als das Aufräumen der vergangenen.

Im Juni geht sowieso nichts mehr, weil die Meisterschaft schon entschieden ist. Außerdem stehen Urlaubsbuchungen an.

Im Juli hört der DFB aufs Gesundheitsamt. Sommerpause. Lieber ins Gras legen als drauf laufen. Im Januar ist"s ja kühler.

Im August bringt keiner Spitzenleistungen. Es wird zu hart trainiert. Viele Spieler leiden an Übergewicht. Erste Zweifel am neuen Trainer kommen auf.

Im September weilen die besten Spieler immer noch in den USA, wo die deutschen Bullen den Fußballmeister von Amerika ermitteln. Siegesfeiern finden beim Dürkheimer Wurschtmarkt oder Münchner Oktoberfest statt. Danach frischen die Heimkehrer ihre deutschen Sprachkenntnisse auf, um den jugoslawischen Trainer besser zu verstehen.

Im Oktober ist Erntezeit. Die Spieler rasen von Autogrammstunde zu Autogrammstunde. Im Stadion ruhen sie dann aus.

Im November kommt Nebel auf. Oft kann man nicht mehr von Tor zu Tor sehen. Abbruch. 10 000 Maßkrüge mit Klubemblemen verschenken, damit der Kontakt zum Publikum nicht abreißt -- jo, mei, was ist dös für a G'schäft.

Im Dezember weihnachtet es zu sehr. Die Spieler wollen auch mal an die Familien denken. Außerdem: Fußball ist ein Rasenspiel, kein Eiskunstlauf. Also alle auf die Couch und hören, ob das Gras wächst.

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