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Wenigstens einer

Die Skiindustrie muß sparen. Lohnende Prämien fallen nur noch für Sieger an. Besonders die deutsche Herrenmannschaft ist Opfer von Sparsamkeit und härterer Auslese.
aus DER SPIEGEL 48/1982

Für die alpinen Herren mußte ich förmlich betteln gehen«, klagte Heinz Krecek, Manager des bundesdeutschen Skipools, aus dem die Skiläufer bisher großzügig besoldet worden waren.

Ausrüsterfirmen, die durch Skirennläufer für ihre Marken werben wollen, müssen nationalen Skipools beitreten und Ausrüstung sowie eine Lizenzsumme einbringen. Doch in der Wirtschaftskrise schwollen trotz Preissturzes die Ski-Läger und schmolzen die Poolgelder.

Ein karger Winter beginnt mit der ersten Weltcup-Abfahrt am 5. Dezember in Laax vor allem für die erfolglosen bundesdeutschen Abfahrts- und Slalomläufer. Die Anzahl der Firmen im deutschen Skipool sank seit der letzten Saison von 87 auf 82, überdies verringerten einige ihre Barbeiträge. Es paßte zur Stimmung, daß der deutsche Mannschaftsbus schon vor dem ersten Start verunglückte.

»Wenn ein leistungssportliches Tief wie bei den alpinen Herren und eine wirtschaftliche Rezession zusammentreffen«, erkannte der bundesdeutsche Ski-Vizepräsident Fritz Wagnerberger, »schmilzt Geld tatsächlich noch schneller als Schnee.« Die Sparsamkeit der Skiausrüster ist nicht nur eine Folge der vollen Läger und knauseriger Käufer: Der Internationale Skiweltverband FIS hat unter dem Druck des europäischen TV-Verbunds Eurovision zugleich die Schleichwerbung eingedämmt.

Bisher gehörten abgekämpfte Abfahrtsläufer zum Ritual, die, eben ins Ziel geprescht, im Abschwingen ihre Bretter lösten und sie, die Skimarke deutlich lesbar, vor die TV-Linsen stießen.

»Wir haben nicht nur Abfahrt und Slalom trainiert«, plauderte Österreichs Mannschafts-Manager Karl ("Downhill-Charly") Kahr aus, »sondern auch das Abschnallen.« Doch die sofortige Abrüstung zieht künftig Disqualifikation nach sich. Die Funktionäre bestimmten, daß jeder Läufer den Zielraum auf seinen Skibrettern verlassen muß.

»Die Skiindustrie ist kein Wohlfahrtsunternehmen«, protestierte Ernest Simharl vom österreichischen Skiproduzenten Fischer. »Für unsere Investitionen in den Rennsport brauchen wir auch eine entsprechende Werbung.« Die Skiproduzenten im österreichischen Pool taten sich zu einer Protestfront zusammen. Doch auch gemeinsame Klagen der Skifabriken erwirkten einzig, daß Rennveranstalter besondere Abschnallplätze herrichten müssen.

Weniger auffällige Reklame auf der Rennkleidung darf dafür zweifach und etwas größer erscheinen, etwa als Firmenname auf dem Anorak (15 Quadratzentimeter) oder als Markenzeichen auf den Helmen (sechs Quadratzentimeter). 1982 waren noch Läuferinnen wegen zu großer Aufschriften auf ihren Handschuhen ausgeschlossen worden. Dafür haben die Veranstalter einen geldwerten Vorteil herausgeschunden: Sie dürfen an Abfahrtspisten zwei acht Meter lange Werbeflächen aufstellen.

Trotz Flaute blieben die meisten Ausrüsterfirmen im Rennen. Denn durch Zahlungen an die nationalen Pools gelten sie als offizielle Ausrüster, die Skistars als ihre Mannequins präsentieren dürfen.

Es »besteht kein Zweifel, daß die Unterstützung des Spitzensports erheblich zur Popularität und Verbreitung des Breitensports beiträgt«, faßte der Schweizer Generalsekretär des Weltverbandes der Sportartikelindustrie, Pierre Ryser, seine Erfahrungen über die Auswirkungen von Weltcuperfolgen auf den Freizeit-Skimarkt zusammen. Der deutsche Markt gilt als besonders gewinnträchtig.

Doch zu einprägsamer Werbung benötigen die Firmen Sieger. Die fanden sie in der deutschen Herrenmannschaft lange nicht mehr. Früher zahlten die Pool-Mitglieder etwa eine Million Mark in die S.191 deutsche Mannschaftskasse, für die nächste Saison nur noch eine knappe halbe Million.

Vor allem aus den Poolgeldern bezogen die Kadermitglieder ein Jahresfixum und Erfolgsprämien bis zu 14 500 Mark für eine Weltmeisterschaft. Die Gelder gelten als Verdienstausfall und fließen auf Festkonten, über die ein Athlet erst nach Schluß seiner Karriere frei verfügen kann.

Höchstverdiener der deutschen Mannschaft war zuletzt die Riesenslalom-Weltcupsiegerin Irene Epple mit 34 000 Mark Festeinkommen. Das Grundgehalt des Slalomstars Christa Kinshofer sinkt von 30 600 auf 13 600 Mark. Die Rennläufer im Herrenkader müssen sich mit ungefähr 4000 bis 9000 Mark für die ganze Saison bescheiden.

»Allein die sportlichen Leistungen berechtigen zu finanziellen Forderungen«, verkündete Funktionär Wagnerberger den neuen Kurs. Nur noch Siege und Plätze unter den besten sechs bringen Erfolgsprämien ein, mit denen ein Läufer sein karges Jahresfixum aufbessern kann. »Ich rate jedem vom alpinen Skisport ab«, warnte Bundestrainer Klaus Mayr. »Die soziale Betreuung ist auf dem untersten Niveau angelangt.«

Vorteile ziehen Mitläufer, und das dürften die weitaus meisten von insgesamt 105 geförderten Mitgliedern des alpinen Skikaders sein, von diesem Winter an nur aus der für alle geltenden Versorgung: freie Unterkunft und Verpflegung sowie Transport in mannschaftseigenen Mercedes-Fahrzeugen.

Dazu liefern die Poolfirmen Ausrüstung unter 21 verschiedenen Rubriken von den Ski (fünf Marken) über Bindungen, Schuhe, Stöcke und Sturzhelme, bis hin zur Freizeitkleidung, zu Kontaktlinsen, Nierenwärmern, sogar Trachtenjankern, Schnupftabak und Medikamenten.

Beim wichtigsten Zubehör, den Ski, argwöhnen einige Trainer und Athleten Benachteiligung. Die Läufer dürfen nur Ski und Zubehör von Poolfirmen benutzen. »Die Qualität des Ski, den du bekommst«, behauptete der erfolgreichste deutsche Abfahrtsläufer der letzten Jahre, Michael Veith, »hängt davon ab, wie interessant du für den Verkauf bist.« Zuletzt war Veith uninteressant geworden, ob nun durch Formschwäche, mindere Ski oder beides. Er fuhr hinterher und trat zurück.

Die Trainer dürfen nicht einmal wirkliche oder vermeintliche Materialfehler öffentlich erörtern. »Unsere Abhängigkeit von ausländischen Firmen ist einfach zu groß«, räumte Skipool-Manager Krecek ein. Aber wegen des Leistungstiefs der deutschen Herren »fehlt mir für die Industrie das entsprechende Angebot von Rennläufern«.

Siegchancen billigen die Experten nur noch der Damenmannschaft mit den Epple-Schwestern Irene und Maria oder Christa Kinshofer zu. Aus der im letzten Winter so erfolglosen Herrenmannschaft trat außer Veith auch Abfahrer Sepp Ferstl zurück, der hin und wieder Siegpunkte im Weltcup erkämpft hatte. Auch für den Slalomstar Christian Neureuther, dessen Comeback die Funktionäre stoppten, weil er nicht den richtigen Pool-Pullover trug, fand sich bislang kein Ersatz.

Nun wollen die Bundestrainer noch stärker sieben als bisher. Nur wer eine Chance hat, unter die besten 25 zu gelangen, darf in Weltcuprennen starten. Und nur wer in Weltcuprennen zweimal unter die besten 15 vorstößt und dazu zweimal wenigstens 20. wird, soll in die Kernmannschaft aufgenommen werden. Beim ersten Rennen der Saison in Bormio (Italien) schaffte der schnellste Deutsche im Superriesenslalom nur den 22. Platz. Dabei fehlten noch viele Konkurrenten der Weltelite.

Bescheiden nannte Bundestrainer Mayr sein Fernziel für die Olympischen Winterspiele 1984: »Wenigstens einen am Start zu haben.«

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