SEGELN Wenn das stimmt
Es war das übliche, was die Journalisten im olympischen Segelzentrum zu Kiel-Schilksee in ihren Schließfächern vorfanden -- ein paar Präsente, ein Wust von Papier. Aus dem Rahmen fiel nur ein Plastikspielchen, mit dem sich Protest-Situationen auf einer Regatta-Bahn simulieren lassen.
Der Absender der Werbegabe -- durch Namenszug und Firmensignum deutlich ausgewiesen -- war jedermann geläufig: Paul Elvström, 44, Hersteller von Booten und Bootsbedarf in Horsholm bei Kopenhagen.
Seit Dienstag letzter Woche segelt dieser Däne, der schon viermal olympische Goldmedaillen gewann, vor Schilksee in der »Soling«-Klasse für seine Nationalmannschaft.
Geschäftliches über einen Segelkameraden des Dänen war einer ebenfalls in Schilksee verteilten Informationsschrift über die Boote der »Tempest«-Klasse zu entnehmen. »Erfolgreich«, so stand dort, sei dieser Bootstyp mit Segeln der österreichischen Segelmacherei Raudaschl gelaufen.
Hubert Raudaschl, 30, in Mexiko Gewinner einer Silbermedaille, segelt in Kiel für Österreich im Tempest.
In Fachblatt-Inseraten hatten die Segelmachereien Friedrich Beilken, Bremen, und North Sails, Eckart Wagner, Tutzing, schon zuvor für ihr gemeinsames Unternehmen »Union for masts« geworben. Eckart Wagner ist in Kiel Ersatzmann in der »Star«-Klasse. Bruder und Geschäftspartner Norbert Wagner segelt in einer deutschen Soling um Medaillengold.
Vom Erfolg des Sportlers Wagner aber wird auch der Gewinn des Unternehmens Wagner bestimmt werden. und was der Olympia-Teilnehmer Elvström ersegelt, wird auch dem Geschäftsmann Elvström zugute kommen. Doch die Namen sind austauschbar: In keiner anderen olympischen Disziplin werden geschäftlicher Ruf und sportlicher Ruhm so ungeniert miteinander verquickt.
Nirgendwo sonst aber auch nimmt sich die Entwicklung zum Profitum so zwangsläufig aus wie in dieser Sparte -- in der Aufwand für kostspieliges Sportgerät und zeitraubendes Training leicht in zigtausende gehen.
Unabwendbar erscheint es mithin. daß unbegüterte Talente in das Geschäft mit dem Segeln einsteigen, zu Mastbauern oder Werbeträgern werden, um in der Spitzenklasse mithalten zu können.
Jedoch: Dem olympischen Paragraphenideal sind die meisten aller Klassen längst davongesegelt.
Nach der Regel 26 des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) dürfte in Schilksee nur starten, wer »seinen Sport immer nur als Nebenbeschäftigung ohne Entgelt ausgeübt« hat. Und nach einer Direktive vom April 1971 wäre jeder Kieler Konkurrent gehalten, »seinen Namen, seine Photos oder seine sportliche Leistung weder direkt noch indirekt zu Werbezwecken zur Verfügung« zu stellen.
Hätten mithin die Ausrichter der Olympischen Spiele -- vorweg der aus seinem Amt scheidende lOC-Präsident und Amateurprediger Avery Brundage -- bei den Seglern zu Schilksee die gleiche Eile angelegt wie in Japan bei dem österreichischen Ski-Weltmeister und -werber Karl Schranz, so wären Spitzensegler vieler Nationen auf dem Trockenen geblieben.
* Inserat in der amerikanischen Zeitschrift »Yachtsman«.
Die innigen Bande zwischen Segelkundigen und Segelkundschaft sind mittlerweile selbst für Eingeweihte ein kompliziertes Geflecht. Starboot »G 5663« des Lufthansa-Piloten Willi Kuhweide, Goldmedaillen-Gewinner von 1964 im Finn-Dingi, ist beispielsweise außer mit Segeln aus der Näherei des österreichischen Olympia-Teilnehmers Raudaschl mit einem Mast des Produzenten Jörg Bruder bestückt -- der in Kiel mit dem Star »BL 5217« für Brasilien an den Start ging.
Wie alle vor Kiel gestarteten Finn-Dingis sind auch zahlreiche Solings mit Segeln der Firma North ausgerüstet. Firmeninhaber Lowell North aber, 1968 Starboot-Olympiasieger, ist Ersatzmann des Kieler Teams der Amerikaner. Um die Deutschland-Geschäfte von North wiederum kümmern, sich die segelnden Brüder und Olympia-Teilnehmer Wagner. Für andere Solings lieferte der Amerikaner Harry Melges das Tuch, und auch er segelt als olympischer Amateur in Schilksee.
Allen voran aber manövriert der Däne Elvström -- im Sport wie im Geschäft. Er gewann -- neben vier olympischen Goldmedaillen im Finn-Dingi -- Weltmeisterschaften in sieben verschiedenen Bootsklassen. Und er verdient mit eigenen Betrieben wie mit Lizenzunternehmen in einem halben Dutzend anderer Länder an Booten und Bootszubehör.
Der gelernte Maurer, der rechtzeitig zur Olympiade seine Lebenserinnerungen auf den deutschen Buchmarkt brachte, konstruiert und verkauft fast alles, was zum Segeln gehört: Es gibt Elvström-Boote, Elvström-Segel, Elvström-Bootslenzer und Elvström-Schwimmwesten. In der Werbung ist Amateur Elvström nicht pingelig: In einem ganzseitigen Inserat der US-Zeitschrift. »Yachtsman« etwa ließ er sich mit einer Elvström-Schwimmweste abbilden: »Entworfen, erprobt und getragen von dem dänischen Champion.«
Die Elvström-Krone ziert die Segel aller Länder -- wo immer Boote auf dem Wasser oder auf Bildern auftauchen. Elvström-Boote werden von der finnischen und der westdeutschen Olympia-Mannschaft gesegelt, von den Crews der Bahamas und der Virgin Islands. Soling-Segler Prinz Harald von Norwegen startet in Kiel mit einem Elvström-Boot gegen den Soling-Segler Elvström. Und zu den Kunden des Dänen zählt maritimer Hochadel wie Spaniens Juan Carlos, der vor der Förde in der Drachen-Klasse kämpft, oder Griechenlands Konstantin, der politischer Umstände halber auf eine Olympia-Teilnahme verzichtete.
IOC-Mitglied Konstantin, so beteuern Segel-Kundige in Dänemark, habe denn auch verhindert, daß der beim olympischen Tugendwächter Brundage unangenehm aufgefallene Däne für Schilksee gesperrt worden sei.
Durch diesen »Amateur-Persilschein« ("Die Yacht") für Elvström aber gerieten auch minder belastete Segler aus der Gefahrenzone -- etwa der Hamburger Ullrich Libor, Silbermedaillen-Gewinner von Acapulco und Flying-Dutchman-Skipper in Kiel, der bis zum Frühjahr Verkaufsmanager bei dem Boote-Hersteller Klepper war.
»Yacht«-Herausgeber Horst Stern tadelte das in Schilksee offenkundige Mißverständnis zwischen olympischem Ideal und olympischer Realität in einem Leitartikel, den er für eine nach den Spielen erscheinende »Yacht« -Ausgabe schrieb: »Die paraphierten Regeln der Wettkämpfe reichen für die neue Dimension nicht mehr aus, in der Spitzensport sich analog zur Hochleistungsgesellschaft entwickelt.«
Die Dimensionen: Boote der vier olympischen Kieler Bootsklassen kosten zwischen rund 13 000 Mark (Tempest) und etwa 30 000 Mark (Drachen). Jede Saison wird ein Satz Segel verschlissen, für den je nach Bootsgröße bis zu 4000 Mark bezahlt werden müssen.
Hinzu kommen die Ausgaben für einen Trauer und ein Zugfahrzeug, oft noch Spesen für die Besatzung. Und schließlich verbringt ein aktiver Regatta-Segler wenigstens ein bis anderthalb Monate pro Jahr an verschiedenen Regattaplätzen -- Voraussetzungen, die nur ein wohlhabendes Eltern- oder Könighaus, ein florierendes eigenes Unternehmen oder ein einsichtiger Arbeitgeber erfüllen kann.
Auf die SPIEGEL-Frage, ob die Besonderheiten des Segel-Sports eine Abkehr vom überkommenen olympischen Amateurgedanken nahelegten, wußte IOC-Vizepräsident Willi Daume bis Ende letzter Woche nichts zu sagen. Berthold Beitz, IOC-Mitglied und Chef-Organisator in Schilksee, beteuerte, er habe die Elvström- und Raudaschl-Werbung auf dem Olympia-Schauplatz gar nicht wahrgenommen.
Nun will sich Beitz erst einmal bei dem Dänen informieren: »Wenn das stimmt, werde ich dafür sorgen, daß das künftig unterbleibt.«