FUSSBALL-VEREINE Wer spielt, wird angestellt
Bei stechender Kälte spielten am 14. März in der Hamburg-Altonaer »Adolf-Jäger-Kampfbahn« elf quicke Männer gegen die Amateure des Altonaer Fußball-Clubs von 1893 (AFC). Ihrem preziösen grünweißen Fußballdress entsprach etwa die elegante Art, wie sie mit dem Ball umsprangen und ihre schärfsten Rivalen knapp mit 1 : 0 aus dem Sattel hoben. Es war der fünfzehnte Sieg in fünfzehn Spielen, und mit dem Rekord-Punktkonto von 30:0 schlenderten die Grünweißen als fast sicherer Staffelmeister der Hamburger Bezirksklasse und Aufstiegskandidat in die windschiefen AFC-Kabinen. An den Fußball-Stammtischen in den Hamburger Vereinskaten zählt man sich derweil an den Bierdeckeln ab, daß der grünweiße Märchenclub, der sich bislang noch mit der Fußball-Plebs der unteren Klassen herumschlagen muß, 1957 Deutscher Fußballmeister werden kann. Was solche Spekulationen um Grün-Weiß aus dem Bereich süßer Fußballfieber - Phantasien auf eine realere Ebene rückt, ist der Umstand, daß die Grünweißen von einem der betriebsamsten norddeutschen Geschäftshäuser großzügig gefördert werden.
»Andere Leute verspielen dreißigoder fünfzigtausend Mark im Travemünder Kasino«, sagt Ewald Albert Götz (45), Alleininhaber der Textil-, Betten- und Teppichfirma Holm ("Betten-Holm") mit 1200 Angestellten und acht Geschäften in Hamburg. Kiel, Lübeck, Timmendorferstrand und Schleswig.
Nicht nur der Fußball-Club Grün-Weiß von 1907 e. V. kräht vergnügt im gutgepolsterten Himmelbett des Götzschen Mäzenatentums. Vertrags- und Amateurfußballer zahlreicher Vereine finden - ohne Rücksicht auf Vereinsfarbe und Fachkenntnisse - einen sicheren Hort in den weitverzweigten Abteilungen des Hauses Holm. So kommt es, daß ahnungslose Teppichkäufer sich unvermutet von Mittelstürmern und Torwächtern bedient sehen, die jedem Hamburger Auswahlteam zur Zierde gereichen würden.
Namhafte Fußballer, wie Posipal und Laband vom HSV. Beck, Wehrmann und Wunstorf vom FC St. Pauli oder Dieter Seeler von Altona 93, bewegen sich alltags zwischen Steppdecken, Registrierkassen und Lieferwagen, wenn sie nicht gerade trainieren gegangen sind. Denn dazu gibt ihnen der Chef immer Urlaub.
»Wenn Meier und Müller sich bewerben, und der Meier spielt Fußball, dann stellen wir Meier ein«, erläutert Personalchef Joseph Bebber seine ungewöhnliche Hauspolitik. Ergänzt Albert Götz: »Fachkräfte gibt es durch den Krieg sowieso nur wenige. Da ist es egal, wen wir nehmen.«
Zum Sport bekehrt wurde Götz erst vor vier Jahren auf einem Holm-Betriebsausflug nach Fallingbostel. Als Zuschauer eines Spieles zwischen einer improvisierten Holm-Elf und dem eingeborenen Heidekraut-Team entdeckte er, daß Fußballspielen doch eine herrliche Sache sei. Und der Fußball-Paulus beschloß, fortan diesen Zweig moderner Freizeitgestaltung zu seinem Hobby zu machen. Es kam einem Umsturz gleich.
* Götz engagierte an siebzig Fußballer ("Manchmal, wenn ich auf dem Fußballplatz stehe und mich irgendein fixer Junge begeistert, höre ich nachher, daß er bei mir angestellt ist.")
* Seine Betriebsmannschaft holte sich mehrere Male die Hamburger Firmenmeisterschaft - auch dann noch, als die Vertragsspieler-Cracks im Firmensport nicht mehr zugelassen waren.
* Sein amerikanisches Straßen-Schlachtschiff (früher ein Buick Eight Super, heute ein Cadillac) parkte vor den Pforten fast jedes größeren Hamburger Oberligaspiels.
Dieser blaue Plutokraten-Jeep stand mit Chauffeur auch dem Bundestrainer Herberger zur freien Verfügung, als er im November zum Spiel Deutschland gegen Norwegen nach Hamburg gekommen war.
Nur ein Mangel stoppte zunächst noch den Tatendrang der Holm-Fußballer: die Stadt Hamburg stellte keinen Platz zur Verfügung. Aber auch hier wußte der nimmermüde Chef Abhilfe zu schaffen. In dem westlichen Randbezirk Lokstedt pachtete er einige Morgen rauhen Ackerlandes, auf dem vor zwanzig Jahren schon einmal ein jüdischer Club den Ball getreten hatte, das aber nach der Nichtarier-Enteignung in Bauernbesitz übergegangen war.
Götz: »Meine Leute sind zu mir gekommen und haben gesagt: ''Wir machen alles selbst!'' Ich habe ja handwerkliche Fachkräfte genug in meinem Betrieb.« Also verlud er seine Belegschaft schichtweise nach Lokstedt, drückte jedem einen Spaten in die Hand und ließ sie, manchmal bis in die Nacht hinein, das ausgedehnte Stoppelfeld planieren, nicht ohne sich selbst ehrenhafte Blasen dabei zu holen. Getreu der Hilf-dir-selbst-Devise übertrug er die Gesamtplanung und die Gestaltung des Clubhauses seinem Chefdekorateur Hermann Fitzau.
Am Ende überstiegen die Ausmaße des Lokstedter Komplexes die abenteuerlichsten Erwartungen. Es entstanden
* zwei billardglatte Fußballplätze mit englischer Rasensaat;
* ein blitzsauberes, hochmodernes Clubhaus mit Bar, Gesellschaftsraum, Sitzungssaal, Fechtsaal, Duschräumen, Garderobe, Gasheizung, Freiterrasse und Fernsehapparat;
* die Fundamente zu drei Tennisplätzen.
Wundert sich Götz: »Geplant war nur ein Grandplatz und ein Kabuff. Beides ist dann etwas größer geworden. Aber das Ganze ist noch eine ziemlich wilde Angelegenheit.«
Beschenkt mit eigenem Fußball-Rasenteppich, mochte die unternehmungslustige Holm-Belegschaft nicht mehr als Aschenbrödel im unbeachteten Firmensport hocken. Sie gründete einen eigenen Verein, der als FC Grün-Weiß von 1953 um Aufnahme in den Hamburger Fußball-Verband (HFV) nachsuchte. Grün und weiß sind die Reklamefarben der Firma Holm.
Gerade darauf hatten die Gegner gewartet. Dreißig in Ehren ergraute Clubs, die von Spieler-Ziehungen*) der Lokstedter gehört hatten, protestierten und brachten den Holm-Antrag zu Fall. Nach den Satzungen genügt bereits ein Einspruch von zehn Clubvorständen, um einem Verein die Aufnahme in den Verband zu verwehren.
Aber da gab es in Altona den Ottensener Sportverein (OSV) von 1907, der, mit nicht viel mehr als einer ehrwürdigen Vergangenheit ausgestattet, einer freudlosen Zukunft entgegendämmerte. (Man war in die Bezirksklasse abgestiegen und hatte kein eigenes Sportgelände.) Dessen betriebsames Mitglied Textilkaufmann Rudolf Tennstaedt hatte von Plan und Pleite der Grünweißen hellhörig Kenntnis genommen und beschlossen, den sitzengebliebenen Textil-Fußballern eine Fusion mit dem OSV anzubieten, um damit
* dem OSV die Pforte in eine sportlich und finanziell gesicherte Zukunft,
* dem FC Grün-Weiß eine Hintertür in die reputierliche Sippe des HFV
zu öffnen.
Am 2. Juli 1953 erzielten die beiderseitigen Vorstände bei den Fusionsverhandlungen »volle Übereinstimmung« und unterzeichneten ein entsprechendes Protokoll.
Die Fusion sah so aus, daß auf die Eintrittsformulare des OSV ein Run wie auf Länderspielkarten einsetzte und der Verein von Männern aus der Bettenbranche systematisch unterwandert wurde. So kam es, daß die verdatterten Alt-OSVer, als sie gänzlich ununterrichtet am 17. Juli zur Versammlung in den Altonaer »Deutschen Adler« getrommelt wurden, allerwärts in fremde Gesichter blickten. Viele hatte die berstende Fülle schon an der Saaltür zurückgeschreckt,
*) Anwerbung von Spielern mit unlauteren Mitteln. andere schlichen während der Versammlung verstört hinaus.
Eine Satzungsänderung, die für eingetragene Vereine eigentlich schon seit 1945 fällig war, stand als zweiter Punkt auf der Tagesordnung. Abstimmungsergebnis: 112 dafür, zwei dagegen, neun Enthaltungen. Damit wurde die Handlungsfreiheit und Fusionsfähigkeit des OSV auch gerichtlich aktenkundig.
Schon vierzehn Tage später kam der nächste Schritt. Am 31. Juli berief man eine neue Mitgliederversammlung ein, diesmal im »Haus zur Erholung« (Sagebiel) am Dragonerstall. Die 220 Anwesenden hätten in den »Deutschen Adler« nicht mehr hineingepaßt.
Auf dem Programm stand schon wieder eine Änderung der Satzungen in drei Punkten. Einer davon war die Umtaufe des Clubs auf den Namen FC Grün-Weiß von 1907. Anschließend einigte man sich auf den neuen geschäftsführenden und erweiterten Vorstand (insgesamt 44 Posten). Als glückliche Fügung pries man den Umstand, daß die grünweißen Holm-Farben mit der traditionsreichen OSV-Couleur übereinstimmten.
Nur Ignoranten wunderten sich über die vereinsrechtliche Akribie des stufenweise vollzogenen Zusammenschlusses. Auf dem Präsidentenstuhl saß jetzt nämlich Holm-Justitiar Dr. jur. Friedrich Siebeck. Aus dem Personal des Bettenhauses tauchten außerdem im Vorstand auf:
* Werbechef Hans Baumann als Pressewart;
* Dekorateur und Kabuff-Planer Hermann Fitzau als Sportwart;
* Personalchef Joseph Bebber - früher hatte er in rheinischer Urwüchsigkeit die Oberligamannschaft des HSV bemuttert, sich aber bei der vorschriftswidrigen Anheuerung des Amateur-Nationalspielers Willy Schröder die Finger verbrannt - als Obmann des Fest-Ausschusses.
Da hier, juristisch gesehen, unter neuer Flagge ein alter Club weitersegelte - wenn auch mit stark vermehrter Tonnage - , mußte sich der Hamburger Fußball-Verband (HFV) mit einem grimmigen Schuß vor den Bug begnügen: er verbot dem Verein, in den nächsten zehn Jahren den Namen Grün-Weiß 07 abermals zu ändern, »damit er sich nicht plötzlich FC Holm nennt«.
Als Grundpächter Götz dem Verein die Lokstedter Anlage zu günstigen Bedingungen überließ und ihm das Vorkaufsrecht sicherte, stand der steilen Aufwärtsentwicklung des Clubs nichts mehr im Wege.
Trainer der ersten Fußballmannschaft wurde kein Geringerer als National- und HSV-Stopper Josef (Jupp) Posipal (26), der neben Fritz Walter bekannteste bundesdeutsche Fußballmatador. Seiner Emsigkeit verdanken die grünweißen Stars es nicht zum wenigsten, daß sie in ihrer Punktrunde einen Sieg nach dem anderen landen konnten. Den ersten Gipfel erklommen sie in der Herbstbegegnung mit ihren hartnäckigsten Verfolgern, den Amateuren des Hamburger Großvereins Altona 93 in Ottensen. (Die frischen Lokstedter Plätze haben noch Schonzeit.)
Den Gegner empfing ein wohlorganisierter Taumel grünweißer Begeisterung. Unter den 2000 Zuschauern (bezirksklassiger Besucherdurchschnitt etwa 100) drängten sich Papierfähnchen schwenkende Blocks, die in Reisebussen aus den schleswig-holsteinischen Holm-Niederlassungen herangerollt worden waren. Hinter dem Tor seiner Schützlinge fieberte der mit grünweißer Krawatte herausgeputzte Trainer Posipal. Grün-Weiß siegte unter den verkniffenen Augen fast der gesamten Hamburger Fußball-Prominenz mit 3:0.
Andere Szene: Das riesige Rund des Bahrenfelder Volkspark-Stadions (Fassungsvermögen 80 000 Zuschauer) an einem Donnerstagnachmittag. Der viertklassige Lokstedter Club dient dem vielfachen norddeutschen Meister HSV als Trainingspartner vor dessen Pokalkampf gegen den 1. FC Köln. Unter der Tribüne die Begleitung des HSV, auf den Stehtraversen eine kleine, aber stimmkräftige Traube aus dem Lokstedter Lager. Grün-Weiß kämpfte um jeden Quadratmeter des schmierigen Rasens und erlaubte dem Mammut-Gegner nur einen 5:3-Erfolg.
Aber nicht nur die erste Fußballelf gedieh. In Hamburgs Sportvolk aller Gattungen grassierte die Fama vom Lokstedter Schlaraffenland. Doch als die von Nationalspieler Karl-Heinz Weist (Polizei Hamburg) trainierte Handball-Elf von Eintracht Lokstedt vorsichtig die grünweiße Pfründe anpeilte, war es zu spät. Mit einer generellen Mitgliedersperre hatte man zunächst einmal die Türen zugeschlagen. Auch heute noch besteht wegen des Überangebots an Neumitgliedern, die in ihren alten Vereinen um Geräte, Spielmöglichkeiten und Kleiderhaken Schlange stehen müssen, eine »beschränkte Sperre«.
Der wenig verwunderliche Sternmarsch nach dem Lokstedter Knusperhäuschen machte Grün-Weiß zum angehenden Großverein mit rund tausend zahlenden Mitgliedern. Bald wurde auch vornehmeren sportlichen Ambitionen Rechnung getragen. Am 10. September wurde eine Fechtgruppe ins Leben gerufen, am 27. Januar eine Tennisabteilung mit eigenem Vorstand. Die am 23. September von Rudolf Tennstaedt als Obmann proklamierte Ping-Pong-Gilde rühmt sich des »schönsten Spielraums aller Hamburger Tischtennis-Vereine«. Jüngstes Adoptivkind im Lokstedter Schoß ist eine Handballelf, die am 14. März mit sechs ehemaligen Mitgliedern der Reserve des Deutschen Meisters Polizei Hamburg erfolgreich debutierte.
Der grünweiße Vorstand ist aber nicht nur auf sofort montierbare knallige Aushängeschilder erpicht, sondern er plant ebenso auf weitere Sicht. Davon profitiert eine umfangreiche Fußball-Jugendabteilung mit zwölf Mannschaften, die von
Vereins wegen sorgsam gepäppelt werden, niemals ohne väterlichen Begleiter zu ihren Spielen reisen und keine Sorgen um eine saubere Ausrüstung kennen.
Für den von Pressewart Hans Baumann im Vorjahr ausgeplapperten Plan, das Spielgelände zu einem Stadion für 32 000 Zuschauer auszubauen, finden sich in Lokstedt vorerst noch keine Anhaltspunkte. Götz: »Ich würde dem Club gern eine Freude machen, und wenn eine Tribüne gebaut werden soll, würde ich das vielleicht sogar in die Hand nehmen. Aber das käme erst in Frage, wenn die Grünweißen in der Oberliga sind, und dazu brauchen sie noch fünf, sechs oder sieben Jahre.«
Nach zaghaften Experten-Schätzungen haben aber die Plätze mitsamt dem Clubhaus bereits jetzt etwa 750 000 Mark verschlungen.
Nicht so abwegig erscheint bei solchen großangelegten Projekten die Vermutung, daß der Geschäftsmann Götz mit gewissen kommerziellen Hintergedanken schwanger gehe. Als mögliche Motive unterstellen die nicht eben seltenen Gegner ihm
* extravagante Reklameabsichten,
* systematisches Hinarbeiten auf einen späteren Berufsfußball.
Effektiv ist der Sport sicherlich zum unfreiwilligen Zugpferd der Holm-Reklame geworden, aber es bleibt bei der durch kein Sportgesetz verbotenen Flüsterpropaganda. Die Bettenfirma hütet sich wohlweislich, auch nur in der Grün-Weiß-Vereinszeitschrift zu inserieren. Allerdings prangen im Clubhaus reihenweise die Ehrenurkunden der Betriebs-Sport-Gemeinschaft Peter Holm Nachfolger; und die Spiele der Holm-Firmenelf werden von Zeit zu Zeit im Anzeigenteil der Hamburger Presse angekündigt.
Von besserer Schrapnellwirkung ist Vorwurf zwei. Wetten die Holm-Gegner: »Sobald Grün-Weiß in die Oberliga aufsteigt, wird sich die erste deutsche Fußball-Aktiengesellschaft auftun.«
Götz, entrüstet: »Ich habe nie über Berufsfußball gesprochen.« Und nicht ohne Grund - angesichts der norddeutschen Fußball-Tiefebene und der zurückgehenden Zuschauerzahlen - ereifert sich der Textilchef: »Ein Geschäft soll das sein?
Rechnen Sie mir das bitte mal vor! Außerdem, gegen wen sollte ich denn als einziger Profi-Unternehmer überhaupt spielen?«
Sagen die Gegner: »Das Kapital hat Zeit. Es kann warten, bis seine Stunde gekommen ist.«
Götz: »Wenn ich schlechte Absichten hätte, hätte ich mir ja gleich einen Oberligaclub nehmen können.« Und, in den Tiefsinn hinüberflanierend: »Wenn Sie jemand einen Blumenstrauß schenken, erwarten Sie dann einen materiellen Nutzen davon? Und wenn Sie Kinder in die Welt setzen, tun Sie das aus Berechnung? Sport ist nun mal mein Hobby!«
Meutert die Gegenseite: »Warum werden fremde Spieler gekapert?« (Dr. Siebeck: »Wir nehmen neue Spieler grundsätzlich nur nach Übereinkunft mit ihren alten Vereinen.") Von hier aus startet ein bedeutsamer Angriff, der sich gegen die Lokstedter Interpretation der Amateur-Bestimmungen und das Fair Play wendet.
Zur gleichen Zeit nämlich, da andere Kickers der unteren Spielklassen an der Drehbank stehen oder am Schreibtisch brüten müssen, dürfen die grünweißen Fußballprinzen dem Lederball nachtraben. An jedem Dienstag und Donnerstag werden sie samt Trainer Posipal vormittags zum Training verfrachtet.
Vor größeren Spielen reist Grün-Weiß sogar, gleich den wenigen Star-Teams der drei Stufen höheren Oberliga, bereits am Freitag zwecks seelischer Sammlung in die Einsamkeit der Lüneburger Heide. Da gibt es in Klecken einen Gasthof à la »Ferien vom Ich«, mit einer Gruppe malerisch verteilter Miniaturhäuschen - einem »Schultheiß«, einer »Schlachterei«, einem »Bäcker« - , die von jeweils ein oder zwei Holm-Fußballern bezogen werden. Das Training tritt hier zurück hinter der naturverbundenen Entspannung und still-beschaulicher Waldeslust.
Solchermaßen moralisch gefestigt, braust die Mannschaft am Sonntag in ihren grünweiß lackierten Volkswagenbussen direkt zur Kampfstätte, gewinnt und fährt zur Siegesfeier ins Clubhaus. Im Überschwang des ersten Sieges über Altona 93 wurden die geschlagenen Gegner mit nach Lokstedt eingeladen. Der Altonaer Vorstand, dessen Oberliga-Elf auch nicht gerade an trockenen Brotkanten knabbert, wurde vor Neid grün und weiß. »Irgendwo kam plötzlich der Sekt her - batterienweise. Es war eine Feier, wie sie sich kein Oberliga-Verein leisten kann.«
Ob sportliche Passion eines Einzelnen oder fatales Marionettenspiel - auf die ungewöhnliche Verquickung von Geschäft und Sport*) gründet sich der Argwohn, mit dem Hamburger Fußballfunktionäre die Lokstedter Entwicklung belauern. »Wir wollen nicht, daß der Sport in die Hände von Managern kommt.« Und lakonischvielsagend verlautbart der Hamburger Fußball-Verband: »Wir beobachten.«
Zufällig am gleichen Tage, an dem der Grün-Weiß-Vorstand die Hamburger Presse in das Wunder von Lokstedt einweihte, tagten in Hamburg die Verbands-Pressewarte des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Anwesend war unter anderen Spielausschuß-Vorsitzender Hans Körfer. Als die DFB-Gewaltigen anschließend noch auf ein Stündchen nach Lokstedt hinausgondeln wollten, hielten ihnen die Kollegen vom Hamburger Verband einen kurzen, aber wirksamen Aufklärungs-Vortrag. Erbleichend verzichteten darauf die Vertreter des bundesdeutschen Fußballsports.
*) In der Straßenkartei des Hamburger Fernsprechamtes ist die Lokstedter Anlage unter der Firma Peter Holm Nachfolger eingetragen