Nachruf auf Werner Franke Kämpfer gegen all diesen Dreck im Sport

Niemand geißelte die Dopingmanipulation im Sport so fundiert und drastisch wie Werner Franke. Er machte sich damit Feinde bei Funktionären, Sportmedizinern, Politikern. Nun ist der Biologe mit 82 Jahren gestorben.
Werner Franke

Werner Franke

Foto: Christoph Soeder / dpa

Ende vergangenen Jahres besuchten zwei SPIEGEL-Redakteure Werner Franke in seiner Wohnung in Heidelberg. Er wollte uns davon in Kenntnis setzen, was er in wissenschaftlichen Veröffentlichungen gefunden hatte: Wie Wissenschaftler untersucht hatten, mit welcher Dosierung ein Sportler theoretisch dopen könnte, ohne erwischt zu werden.

»Das ist irre«, sagte der Molekularbiologe, es sei eine Einladung zu dopen: »Warum tut niemand etwas dagegen?«, schimpfte er.

Es war das letzte Mal, dass wir den emeritierten Professor für Zell- und Molekularbiologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKfZ) persönlich trafen. Franke, der kundigste Antidopingfachmann Deutschlands, starb in der Nacht zum Dienstag an den Folgen eines Aneurysmas. Franke wurde 82 Jahre alt.

Gegen die kriminellen Methoden des Dopings

Die letzte Zusammenkunft bei ihm war typisch. Wie er davon erzählte, dass es für ihn nichts Erholsameres gebe, als auf dem Sofa zu liegen und wissenschaftliche Studien zu lesen. Wie er hart mit seiner Zunft, der Wissenschaft, umging, wenn sie schlechte Arbeit ablieferte und sich zu Dienern der Mächtigen, Einflussreichen und Reichen machte. »Der wäre bei mir durchs Vordiplom gefallen«, polterte er dann.

Nun ist Werner Franke tot, er hinterlässt eine Lücke, die niemand schließen kann. 2004 hatte er zusammen mit seiner Ehefrau das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten, vor allem wegen seines Kampfes »gegen die menschenverachtenden und kriminellen Methoden des Dopings«.

Leidenschaftlicher Kampf gegen den Betrug im Sport

Werner Franke wurde in Paderborn geboren, er studierte Biologie, Chemie und Physik. Nebenbei arbeitete er unter anderem als Kabarettautor für das Düsseldorfer »Kom(m)ödchen« – er lernte die Lust und Leidenschaft für originelle Formulierungen, womit er bis zuletzt in Vorträgen seine Zuschauer begeisterte.

Der Ostwestfale wurde Professor für Zellbiologie in Freiburg und Heidelberg, 1975 gründete er die Deutsche Gesellschaft für Zellbiologie. Am DKfZ war er unter anderem Vorsitzender des Wissenschaftsrates. Durch seine Veröffentlichungen zu den Proteinen des Zellkerns und der Charakterisierung des Zytoskeletts zählte er zu den führenden europäischen Wissenschaftlern und war jahrelang einer der meistzitierten deutschen Forscher. Er erhielt mehrere hochrangige Preise für seine wissenschaftliche Arbeit, unter anderem 1995 den deutschen Krebspreis.

Legendäres Archiv

Seine große Leidenschaft aber war der Kampf gegen den Betrug im Sport. Als Trainer seiner Ehefrau, der Diskuswerferin Brigitte Berendonk, lernte er bereits in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts die Folgen des Dopings kennen: Wie die Manipulation die Chancengleichheit im Sport zersetzte, den Körper besonders von Frauen ruinierte. Zusammen mit seiner Frau geißelte er schon in den Achtzigerjahren öffentlich das deutsche Sportsystem, das Doping eher förderte als bekämpfte.

Im Laufe der Jahre wurde Franke weltweit zu einem der profundesten Dopingkenner. Sein eigenes Archiv ist legendär. Er konnte sich – nach geleisteter Arbeit im DKfZ – nächtelang in Dokumenten, Gerichtsakten oder Doktorarbeiten vergraben. Am Ende fasste er die Ergebnisse zusammen, fein sortiert und geordnet in Klarsichtfolien. Der SPIEGEL arbeitete über viele Jahre mit Franke zusammen und profitierte von seinem riesigen Erfahrungs- und Wissensschatz.

»Es wird gedopt wie Sau«

Nach der Wende erwarb sich Franke unschätzbare Verdienste bei der Aufdeckung des staatlichen Zwangsdopings der DDR. Zusammen mit seiner Frau sicherte er geheime Dokumente in der Militärmedizinischen Akademie der DDR in Bad Saarow. 1991 stellte er Strafanzeige gegen die Verantwortlichen des DDR-Dopings, sie mündete in die großen Berliner Musterprozesse gegen Funktionäre des DDR-Sports und endete mit hohen Strafen.

In der Person von Franke verbanden sich wissenschaftliche Brillanz mit Mut, Kampfeswillen und Spaß an drastischen Formulierungen. »Es wird gedopt wie Sau« oder »die sind korrupt bis unter die Haarspitzen« waren noch die harmloseren Formulierungen.

Viele Gegner, Feind der Funktionäre

Franke legte sich mit jedem an: Er stritt sich mit dem Freiburger Sportmediziner und Dopingarzt Professor Joseph Keul, er giftete gegen die für den Sport zuständigen Bundesinnenminister, er verklagte die ARD-Sender wegen ihrer verharmlosenden Berichterstattung im Radsport. Die meisten Sportmediziner waren ihm verhasst. Er machte sie für die Verseuchung des Sports mit Dopingmitteln verantwortlich. Und er beklagte, dass sie sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht für den Kampf gegen die pharmakologische Manipulation einsetzen. »Warum muss ich das immer machen?«, fragte er dann.

Mit seiner drastischen Art machte sich Franke viele Gegner, er wurde über 30 Mal verklagt, so gut wie jedes Mal gingen die Verfahren zu seinen Gunsten aus. Vielen Funktionären war er ein Feind, weil er ihnen mit seiner Aufklärungsarbeit in die Suppe spuckte.

Franke hasste das Kungeln und Abwägen in Kommissionen. »Als Wissenschaftler bin ich niemandem verantwortlich, nur der Wahrheit«, sagte er. Transparenz und Dienst an der Gesellschaft waren seine obersten Ziele, auch mit einigen Weggefährten des Antidopingkampfes lag er deshalb über Kreuz, wenn sie anderer Meinung waren.

In den letzten Jahren trug sich Franke mit dem Gedanken, ein letztes Buch über seine Dopingerkenntnisse zu verfassen – »mit all diesem Dreck«, sagte er. Er hat es nicht mehr geschafft.

red

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