»Wie am Roulett-Tisch«
Monatelang wirkte der Freisinger Tennislehrer Peter Haas, 42, vor allem am Schreibtisch. Mit Hilfe eines Steuerberaters erarbeitete er ein drei Zentimeter dickes Vertragswerk, gründete vier Gesellschaften, bestellte beim Amtsgericht Vormundschaften und schloß Versicherungen bei Lloyd's in London ab.
Dann stand das Konzept für die Sportkarriere seiner Kinder Thomas, 12, und Sabine, 15. Vater Haas gründete die Tosa GmbH, eine Anlagefirma, die nur einen Gesellschaftszweck hat: die Tennislaufbahn der Sprößlinge zu finanzieren.
Die Zukunft seiner Kinder plant der Tennislehrer, als ginge es um eine Spekulation mit Schweinebäuchen an der Warenterminbörse. 15 Gesellschafter der Tosa investieren fünf Jahre lang jeweils 10 000 Mark in die Ausbildung der Tennistalente, im Gegenzug ist jeder der Gesellschafter 15 Jahre lang mit einem Prozent an allen Einnahmen von Thomas und Sabine Haas beteiligt - vorausgesetzt, die beiden werden tatsächlich zu gutverdienenden Profis.
Die konsequente Planung der Tenniskarrieren in der Familie Haas ist kein Einzelfall. Immer häufiger investieren gewinnorientierte Eltern für ihre nicht minder strebsamen Kinder in eine Zukunft als Tennisstar. Weil sie die Vorbilder der Multi-Millionäre Boris Becker und Steffi Graf vor Augen haben und ihre Kinder, so der Bayerische Landesjugendwart Herbert Fuchs, »schon als Großverdiener sehen«, nehmen viele Familien dabei sogar in Kauf, sich hoch zu verschulden oder in die Abhängigkeit fremder Geldgeber zu geraten.
Denn bevor das Talent der Teenager zu versilbern ist, müssen die Eltern tief in die Tasche greifen. Allein Reise- und Verpflegungskosten, hat der Jugendwart des Deutschen Tennis Bundes (DTB), Harry Hinz, errechnet, betragen im Jahr »leicht 100 000 Mark«.
Zudem entstehen enorme Trainerkosten. Denn an der Qualität der Ausbilder, betont der Damen-Bundestrainer Klaus Hofsäss, der in Marbella ein Tenniscamp betreibt, dürfe keineswegs gespart werden: »Lieber zwei Stunden bei einem teuren Supermann als zwei Jahre bei einem Pflaumen-August.«
So wird die Karriere zum Vabanquespiel: Als Boris Becker mit 17 Jahren erstmals in Wimbledon gewann, hatten sich seine Ausbildungskosten bereits auf über eine Million Mark summiert.
Alle öffentlichen Förderungsmaßnahmen in der Bundesrepublik, sagt DTB-Cheftrainer Richard Schönborn, »verschlingen zur Zeit zwischen acht und neun Millionen Mark pro Jahr«. Doch die Begehrlichkeiten der vermeintlichen »Tennis-Wunderkinder« (Bild) könnten damit nicht befriedigt werden. Jeder Landesverband und jeder Dorfverein buhle beim DTB um noch höhere Zuschüsse für die Provinz-Sternchen.
Angesichts des föderalen Gießkannenprinzips bleibt für eine konzentrierte Nachwuchsschulung zuwenig übrig. Jedes Tennistalent müsse deshalb heute, weiß Jugendwart Hinz, »einen privaten Geldgeber haben«. Aus »dieser Not« heraus entwickelte auch Haas sein Fördermodell, nachdem Bittgänge zu Großsponsoren wie BMW, Lufthansa oder Faber-Castell vergeblich gewesen waren. Als Haas jetzt noch einmal nachrechnete, fand er seine Finanzkonstruktion schon »gar nicht mehr optimal«. Trotz eines Kapitaleinsatzes von 750 000 Mark müßten seine Tenniskarrieristen »immer noch überall knapsen«, vor allem wegen der »Mordsfahrerei« zu den Turnieren.
Der Tennisvater fürchtet inzwischen sogar, einen »zu schlechten Vertrag für meine Kinder« gemacht zu haben. Denn die Anleger könnten einen Großteil ihrer 50 000-Mark-Investition als »Verlustzuweisung« abschreiben, so als ob sie ihr Geld in ein windiges Ölbohrgeschäft gesteckt hätten.
Komme aber nur eines der beiden Kinder auf einen vorderen Weltranglistenplatz, hat Haas ausgerechnet, werde der Ausbildungszuschuß für die Geldgeber zu einem »blendenden Geschäft«, weil sich Preisgelder und Werbeeinnahmen in der Tennisbranche schnell zu siebenstelligen Beträgen addieren.
Haas betrachtet das Engagement der potenten Anleger deshalb als ein »mittelmäßiges Taschengeld mit unerhörten Gewinnchancen«. Obwohl das Modell noch unausgegoren ist, haben sich bei Haas schon »unheimlich viele« Eltern nach dem Finanzierungskonzept erkundigt.
Daß ballgewandte Kinder als rentable Anlageobjekte immer begehrter werden, zeigen prominente Vorbilder. Nachdem die Amerikanerin Jennifer Capriati im letzten Jahr als 14jährige bereits Werbeverträge über zehn Millionen Dollar abschließen konnte, verschärfte sich der Wettlauf um die Talente.
Die International Management Group nahm die erst zehnjährige Amerikanerin Venus Williams unter Vertrag. Der amerikanische Promotion-Konzern fragte auch, bisher aber vergeblich, bei der Deutschen Meisterin Heike Rusch, 14, nach. Und Becker-Manager Ion Tiriac sicherte sich das Talent der zwölfjährigen Deutsch-Rumänin Mirella Vladulescu aus Baden.
Allzu leichtfertig würden die deutschen Kinder und deren ehrgeizige Eltern solchen Vorbildern nacheifern und dabei, klagt DTB-Funktionär Hinz, übersehen, daß von 1000 gesichteten Jugendlichen »höchstens zwei« den Weg an die Spitze schaffen. Auch daß sich die Kinder für die Karriere »unwahrscheinlich quälen müssen«, würde mit Blick auf die lukrativen Einnahmen bereitwillig vergessen.
Viele Tennisfamilien werden deshalb mit dem Glücksspiel um den begabten Nachwuchs nicht froh. Da die Industrie schon die Teenager vor allem als Werbeträger sieht, die Nutzen bringen müssen, bekommen die karrierebewußten Eltern die Schattenseite des Geschäfts schnell zu spüren.
Der japanische Elektronikkonzern Panasonic unterstützte mit 800 000 Mark jährlich ein Quartett von Junioren unter Leitung von Günter Bosch, dem ehemaligen Trainer von Boris Becker. Statt Mathematik und Grammatik zu pauken, sollten die »Tennis-Söldner« (Playboy) nach der Bosch-Philosophie auf dem Centre Court studieren: »Tennis ist ein Kampf unter Wölfen, die sich gegenseitig auffressen.«
Vordergründig zeigte der Allgäuer Sascha Petratschek, 18, dabei Fortschritte, erkannte schon bald: »Der Haß dauert so lange wie das Spiel.« Doch das Leben im abgeschotteten Tenniszirkus wurde dem ehemaligen Deutschen Jugendmeister bald zuviel. Wie zwei andere Kollegen auch trennte sich Petratschek von Bosch, nur der Blieskasteler Dirk Dier, 19, arbeitet weiter mit dem gebürtigen Rumänen.
Sascha habe in den drei Jahren mit Bosch »einen Knacks bekommen«, kritisiert inzwischen Vater Walter Petratschek das einstige Vorzeigeprojekt, weil er nur fünf Wochen im Jahr tatsächlich von Bosch betreut wurde. Ansonsten sei »der Junge« allein durch die Welt gereist.
Auch die Aktion der KKB-Bank, »Steffi sucht ihre Nachfolgerin«, entpuppte sich nur als geschickter Werbegag. Das groß angekündigte Versprechen, daß sich »Vater Graf persönlich« um die Karrieren der Gewinnerinnen eines extra ausgespielten »KKB Cup Steffi Graf« kümmern würde, hielten die Bank und die Brühler Tennisfamilie nicht ein. Nach zwei Jahren verzichtet der DTB auf eine weitere Zusammenarbeit, weil sich die Tennisvereine nur als billige Erfüllungsgehilfen der Bankinteressen sahen.
Auch Marion Christian aus Frankfurt wunderte sich, wie rauh die Sitten beim Tennisnachwuchs geworden sind. Als die Mutter der zwölfjährigen Caroline nach dem Sieg beim Nationalen Jüngsten-Turnier einer Zeitung ein Interview gab, bekam sie wenig später eine »Abmahnung« eines Sponsors. Die Mutter habe nicht erwähnt, monierte die Firma, daß ihre Tochter mit einem Schläger der Marke Head gewonnen habe.
Für den Frankfurter Sportwissenschaftler Professor Henning Haase sind solche vom Verband unkontrollierten Geschäfte mit den Tenniskindern Anzeichen dafür, daß sich die Kommerzialisierung nach dem Zufallsprinzip allmählich »zu Tode hechelt«. Es sei deshalb »sinnvoller und ehrlicher«, die »Produktion von Stars und Sternchen« ganz kommerziellen Unternehmen zu überlassen, die die Investition in Sportkarrieren unter »betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten« betreiben.
Solche Organisationen, glaubt der Frankfurter Professor, handeln »höchst engagiert«, um die Ertragskraft der Tennisprofis zu erhöhen. Vor allem aber würden sie »mehr als andere auf die Gesundheit des Investitionsobjekts« achten, um die Kosten »bei Marktreife des Produkts« wieder hereinzubekommen.
Haase hat ein »Denkmodell« entwickelt, wonach ein Unternehmen Anlagen und Personal - Trainer, Mediziner, Lehrer, Psychologen - zum Start einer Tenniskarriere zur Verfügung stellt und der Sportler dafür die Rechte von »bis zu 40 Prozent seiner künftigen Einkünfte« an den Arbeitgeber abtritt.
In solchen »Gladiatorenschulen« würden Karrieren planbar, die derzeitigen »Spekulationen wie am Roulett-Tisch« hätten ein Ende. Weil mit einer »Masse ehrgeiziger Eltern« gerechnet werden kann, arbeitet in München bereits eine Agentur an der »kompletten Rundumbetreuung« für angehende Profis.
Auch im badischen Mörlenbach wurden schon sechs Jugendliche im Alter zwischen 8 und 14 Jahren unter der Leitung von zwei Trainern zu einer kommerziell betriebenen Eliteausbildung zusammengezogen. Das Team hat sich ganz vom Verband gelöst, ein Großteil der Kosten von jährlich einer Viertelmillion Mark zahlt der Tennisschlägerproduzent Dunlop.
Getragen von der Einsicht, daß man »Tennisstars machen kann«, will Projektleiter Klaus Schäck durch tägliches Training unter »streng wissenschaftlichen Methoden« zumindest einen Schüler »in die Weltrangliste bringen«. Langfristig denkt Schäck daran, schon Fünfjährige ("Je eher, desto besser") gezielt auf eine Profikarriere vorzubereiten.
Peter Haas läßt seine Tochter im Wiener Tennisinternat und seinen Sohn gar in den USA trimmen. Der Tennislehrer ist stolz darauf, daß Thomas derzeit in Florida vom Startrainer Nick Bollettieri, der bereits Monika Seles und Andre Agassi in die Weltspitze geführt hat, »persönlich betreut« wird, weil der »noch nie einen besseren Zwölfjährigen gesehen« habe.
Doch dem Vater sind inzwischen Bedenken gekommen, ob er noch einmal seine Kinder mit dem Geld fremder Leute zu Profis machen würde. Bisweilen hätten ihm seine Kinder schon leid getan, als diese auf dem Tennisplatz mit der Frage angemacht wurden: »Kann ich mir auch noch ein Stück von dir kaufen?« o