Wie Amateure
Sie nennen sich Olympiafußballer. Obwohl sie keine Amateure sind, wollen sie nach Los Angeles zu den Olympischen Spielen 1984. Die bundesdeutschen Olympiaprofis verdienen ihr Geld in der Bundesliga und besitzen Arbeitsverträge mit ihren Klubs.
Während sich noch das Internationale Olympische Komitee (IOC) und der Weltfußballverband (Fifa) darüber streiten, wer in Los Angeles um Olympiamedaillen im Fußball kämpfen darf, treten die Bundesligastars bereits zum ersten Qualifikationsspiel am 24. April in Lissabon gegen portugiesische Profis an.
»Eigentlich hatte ich ja mit Länderspielen nicht mehr gerechnet«, sagte Libero Dieter Bast vom VfL Bochum, »aber Olympiateilnehmer zu sein reizt mich fast mehr, als bei einer Fußball-Weltmeisterschaft zu spielen.«
Der Hamburger Jürgen Groh dachte schon weiter und versicherte: »Es wäre natürlich sehr traurig, wenn wir uns für Olympia qualifizieren würden und dann hören, daß wir nicht zugelassen sind.« Doch der bundesdeutsche Olympiatrainer Erich Ribbeck glaubt an einen guten Ausgang sowohl auf den Fußballplätzen als auch in den Konferenzräumen der Funktionäre. Ribbeck: »Bei den Olympischen Spielen treten wir nur mit Bundesligaspielern an oder gar nicht.«
Nach dem ersten Testspiel gegen Holland, das 0:0 endete, schrieb der »Sport-Informations-Dienst": »Die spielten wirklich wie Amateure.« Doch zuletzt beim 1:1 gegen den Dritten der Profi-WM, Polen, »waren wir eine gute Mannschaft«, urteilte Ribbeck. Das Tor für Deutschland schoß der neue Stürmerstar Dieter Schatzschneider, der in der nächsten Saison für den HSV spielt.
Fifa-Präsident Joao Havelange aus Brasilien drohte den zaudernden Olympiaschützern des IOC: »Wenn nicht auch die Profispieler aus Europa beim Olympischen Fußballturnier mitspielen dürfen, boykottieren wir den Olympiafußball.« Fußballobere wie der Italiener Artemio Franchi setzten noch einen Klotz drauf und verkündeten: »Wir könnten zur selben Zeit ein Gegenturnier veranstalten.«
Bisher hatte das IOC zum Olympiafußball aus Ländern wie Italien oder der Bundesrepublik nur Spieler zugelassen, die auch daheim als Amateure kickten. Doch die Fußballer aus Dorfvereinen und Kleinstadtklubs kamen gegen die Staatsamateure der Ostblockländer, die sogar an Weltmeisterschaften teilnahmen, nie auf. Während die CSSR ihre Europameister-Equipe von 1976 nach dem Endspielsieg über die bundesdeutschen Profis um Franz Beckenbauer auch in den Olympiakampf schickte und 1980 die Goldmedaille gewann, schieden die Amateure aus der Bundesrepublik in den Qualifikationsrunden aus.
Jahrelang suchten die deutschen Fußballoberen einen Ausweg. Sie überredeten junge Bundesligaspieler dazu, einige Jahre als Amateure in der Bundesliga zu spielen. Als Ausgleich erhielten sie Geld als Spenden oder als großzügige Gabe von Mäzenen. So spielte auch Uli Hoeneß vom FC Bayern München 1972 in München als Olympiaamateur. Eine Medaille fiel dennoch nicht ab. In der Saison darauf unterschrieb Hoeneß einen Profivertrag. 1974 erkämpfte er schon mit der deutschen Nationalmannschaft die Profi-Weltmeisterschaft.
Die olympischen Fußballturniere wurden seit 1956 von Ostblockmannschaften beherrscht, die bei den Fußball-Weltmeisterschaften gegen die besten Profis der Welt wenig Chancen besaßen. Bei den letzten drei Ostblockturnieren gewannen Ostblockmannschaften alle möglichen Medaillen von Gold bis Bronze. Die Nationalmannschaft der DDR, die sich für die letzten beiden WM-Turniere ebensowenig zu qualifizieren vermochte wie für die Endrunden der Europameisterschaft, gewann im olympischen Fußball 1976 die Goldmedaille und 1980 Silber.
Als 1981 das IOC in Baden-Baden bei seinem Olympischen Kongreß den Amateurparagraphen 26 modifizierte und nun auch Athleten den Olympiaeinsatz gestattete, die mit ihrem Sport Geld verdienen, verlangte der Weltfußballverband »gleiche Chancen für alle« (Fifa-Präsident Havelange). Doch der spanische IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch widersprach: »Wer Sport zum Hauptberuf macht, kann nicht an Olympia teilnehmen.«
Havelange forderte: »Nur Fußballer, die an WM-Turnieren teilgenommen haben, sind für Olympia gesperrt.« Deshalb kann beispielsweise der beste Fußballer der Sowjet-Union, Oleg Blochin, der 1982 in Spanien bei der Weltmeisterschaft mitgespielt hat, 1984 in Los Angeles nicht mehr antreten.
Der Zwist der Bosse blieb auch bei der letzten IOC-Sitzung in Neu-Delhi ungelöst. Nun treffen sich die Unterhändler im Mai und im Juni in Lausanne abermals. Der bundesdeutsche Olympiachef Willi Daume, eigentlich Vorsitzender der IOC-Zulassungskommission, hielt sich bisher aus dem Streit heraus. »Wir haben 30 Jahre gebraucht, um S.200 herauszufinden, was ein Amateur ist«, tröstete Daume, »ich hoffe, daß wir spätestens in 20 Jahren auch definiert haben, was ein Profi ist.«
Unter den bundesdeutschen Olympiakandidaten regte sich noch mehr Widerstandsgeist gegen den nationalen Bundestrainer Jupp Derwall. Denn Ribbecks Olympia-Aufgebot setzt sich vorwiegend aus Spielern zusammen, die Derwall für die letzte Fußball-Weltmeisterschaft nicht berücksichtigt hatte.
Torwart Bernd Franke gehörte zwar zum WM-Kader in Spanien, nahm jedoch an keinem Spiel teil. Libero Bast war dem Bundestrainer »zu klein«, der Spielmacher Jürgen Mohr von Hertha BSC schien Derwall »zu langsam«.
Auch Olympiatrainer Ribbeck hatte sich nach dem WM-Turnier 1982 von Chef Derwall, dessen Assistent er gewesen war, losgesagt. »Wir hatten zu unterschiedliche Auffassungen«, erklärte Ribbeck.