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Wie Köche

Um zu siegen, sind die Rennläufer abhängig von ihrem Servicemann, der für sie den optimalen Ski herausfindet - oder auch nicht. *
aus DER SPIEGEL 6/1987

Mitternacht ist vorbei. Von der Decke hängt eine nackte Glühbirne. Eisig zieht es durch das kleine Kellerfenster. An Schraubstöcken präparieren zwei Servicemänner die Ski der Stars fürs nächste Rennen.

Oben im Hotel, vor ein paar Tagen noch in Kitzbühel, heute bei der WM in Crans-Montana, Ende Februar schon im japanischen Furano, konzentrieren sich Rennläufer und Trainer bei Video-Aufzeichnungen auf die nächste Abfahrt. Die Ski, von deren Beschaffenheit Sieg oder Niederlage weitgehend abhängen, suchen die Serviceleute im Keller aus. Einst als »Deppen« oder »Kulis« verulkt, sind sie heute Schlüsselfiguren für den Erfolg.

Ich könnte niemals erkennen: Das ist der schnellste Ski«, räumte der deutsche Cheftrainer Klaus Mayr ein. Der Servicemann kann's - davon sind Rennläufer und Trainer überzeugt. Er weiß welches Paar unter den gegebenen Wetter- und Schneebedingungen die Gleitstrecken, auf denen sich Abfahrtsrennen entscheiden, am schnellsten bewältigt. Nicht immer ist er sicher, für wen er die optimalen Ski aussuchen darf.

So argwöhnten die lange sieglosen Österreicher vor der Weltmeisterschaft die Skifirmen enthielten ihnen die Superski vor und überließen sie statt dessen etwa dem Deutschen Markus Wasmeier. Aus rein geschäftlichen Erwägungen: Österreichs Skimarkt ist gesättigt. In Deutschland ist dagegen noch etwas zu holen, deutsche Sieger tun also not.

»Mein Servicemann hat mein ganzes Vertrauen«, hält Leonhard Stock, Österreichs Abfahrts-Olympiasieger von 1980, dagegen. »Ich habe den gleichen Ski wie Zurbriggen, bloß ist Pirmin in dieser Saison schneller, weil er besser fährt.«

Aber jeder Rennläufer weiß auch Geschichten, wie Außenseiter den Favoriten auf einem Ski der gleichen Marke besiegten - passend zur Marketing-Strategie der jeweiligen Firma. Etwa bei der Olympia-Abfahrt 1984 in Sarajevo: »Fehlerlos von oben bis unten« sei Helmut Höflehner gefahren, hatte Österreichs damaliger Cheftrainer Karl Kahr gelobt. Aber der Sieger, »Atomic«-Fahrer wie Höflehner, hieß Bill Johnson und kam aus den USA.

Atomic-Chef Alois Rohrmoser triumphierte nach dem Außenseiter-Sieg: »Noch nie in der Geschichte des Skisports wird in Amerika einer so vermarktet wie Johnson.« Handfeste Gründe warum ein bestimmter Ski am schnellsten gleiten soll, gibt es sowenig wie dafür, warum eine Stradivari so unvergleichlich klingt.

Ob sie nun zu Unrecht verdächtigt werden oder nicht - fest steht, daß die Serviceleute, von denen rund 50 den internationalen Skizirkus begleiten, Fehler und Vorzüge eines Rennski besser als jeder sonst beurteilen können. Sogar bei einer kleinen Serie von ein paar hundert Stück weicht bei jedem Exemplar die Verteilung der verwendeten Materialien Kunststoff, Holz und Metall minimal voneinander ab. Zudem verändert Schliff an Kanten und Belag das Profil. »Nur durch Tests sind Unterschiede festzustellen«, erklärte Cheftrainer Mayr. Jeder Rennski wird ständig überprüft.

Die Service-Leute behandeln ihre Kniffe so geheimnisvoll wie Meisterköche ihre Erfolgsrezepte. Rund abgepacktes Wachs etwa gießen sie in eine eckige Form um - niemand soll Rückschlüsse auf das Fabrikat ziehen. Oder sie werkeln nachts allein im Keller, den sie tagsüber mit zwei oder gar drei Kollegen teilen.

Viele hatten als Rennläufer den Durchbruch nicht geschafft und dann in einer Skifabrik das Handwerk erlernt. Der Österreicher Paul König, der die Deutschen Wasmeier, Sepp Wildgruber und Armin Bittner betreut, ist gelernter Elektriker. Nebenberuflich diente er als Assistenztrainer. Österreichs Trainer Dieter Bartsch und der Schweizer Cheftrainer Karl Frehsner begannen ihre Karriere als Serviceleute.

Als Fischer-Rennleiter Sepp Trinkl bei einer Meisterschaft fragte, ob er im Service einsteigen wolle, erkannte König »eine Chance für mich, und die habe ich gepackt«. Seit drei Jahren reist er mit den deutschen Fischer-Fahrern.

König verdient etwa 3000 Mark im Monat vom Werk, »aber ich brauch' während der Wintersaison kaum Geld«. Hotel und Verpflegung seien frei, die Sponsoren kleiden die Skiexperten eben so ein wie die Rennläufer. König hat schon ein Häuschen im Rohbau stehen.

Dafür ist er oft 14 bis 16 Stunden auf den Beinen. Morgens müssen die Serviceleute Wetter und Schnee prüfen. Von warm oder kalt, harschig oder pappig hängt ab, wie das Wachs gemischt und der Ski geschliffen werden muß.

Nach Training und Rennen werden die Ski aufbereitet, die Kanten gefeilt, der Belag nachgeschliffen. Ein Paar erfordert bis zu zwei Stunden Arbeit, und meist betreut ein Servicemann drei oder mehr Fahrer. Droht ein Wettersturz, muß er pro Starter mehrere Paar unterschiedlich präparieren. Auch für Experten bleibt die richtige Wahl oft ein Lotteriespiel: So landete der im Weltcup führende Zurbriggen auf seiner Hausstrecke in Wengen nur auf Rang neun, weil sein Servicemann zum falschen Ski gegriffen hatte. »Künstlerpech«, sagt König dazu.

Ansonsten hält er das Berufsrisiko für gering: Als mäßig erfolgreicher Rennläufer hatte sich König sechs Beinbrüche zugezogen. Jetzt schneidet er sich nur noch gelegentlich beim Kantenschleifen in die Finger.

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