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FUSSBALL / SOMMERREISEN Wilder Süden

aus DER SPIEGEL 32/1968

Entschlossen gürtete Torhüter Volker Danner die Pistolenhalfter. Während er vor dem Hotelzimmer-Spiegel den Griff zur Waffe probte, überraschte der Trainer seinen Star. Gerade rechtzeitig vor dem Stadtbummel durch Caracas rüstete er ihn ab.

Den Torwart des Bundesliga-Klubs Borussia Mönchengladbach hatten Warnungen über nächtliche Gefahren in der venezolanischen Hauptstadt zur bewaffneten Abschreckung gereizt. Tatsächlich wagte sich die Mannschaft während der Fußball-Tournee durch Venezuela und Kolumbien nur gruppenweise auf die Straße. Ihre Freundschafts-Spiele bewachten Polizisten mit griffbereiten Maschinenpistolen. Statt des erwarteten Überschusses mußte der Verein 20 000 Mark zuschießen.

Mönchengladbach war einer von durchschnittlich zwölf bundesdeutschen Kicker-Klubs mit bezahlten Spielern, die jedes Jahr in der meisterschaftslosen Zeit von ende Mai bis Anfang August in alle Welt ausschwärmten.

Von der Färöer-Insel (VfB Lübeck) bis in die argentinische Pampa (Alemannia Aachen), von Kanada (Borussia Dortmund) bis Australien (Preußen Münster) faßten bundesdeutsche Kicker Fuß. Sie spielten Vor Angehörigen der Schah-Familie in Teheran und buddhistischen Mönchen in Rangun (1. FC Nürnberg), unterhielten Kaffee-Pflanzer in Costa Rica und Bananenpflücker in San Salvador (Hertha BSC). Der VfB Stuttgart exportierte Kicker-Künste bis zu Fern-Fans nach Tahiti und Neukaledonien.

Vor allem drei Gründe veranlaßten die Vereins-Vorstände, ihren kostspieligen Stars während der deutschen Fußball-Ferien in denen Spieler den Klub wechseln dürfen -- eine Urlaubs-Prise Exotik zu verordnen:

* sie wollen sie dem Zugriff der Konkurrenz entziehen.

* sie hoffen durch zusätzliche Einnahmen die roten Zahlen aus ihrer Bilanz zu zwingen und

* sie wollen Ihren Spielern durch Weltreisen einen zusätzlichen Anreiz bieten.

Deutsche Auslands-Vertretungen ermuntern über das Bonner Außenministerium schon häufig den Deutschen Fußball-Bund (DFB), zugkräftige Equipen zur Deutschland-Werbung auf PR-Tournee zu schicken.

Der HSV traf im Sommer 1950 als erste deutsche Mannschaft nach dem Kriege in New York ein, Ein Bombardement aus rohen Eiern und Tom teil überzeugte die Spieler jedoch, daß die Zeit für Freundschaftsspiele noch nicht reif war. Erst später durften deutsche Klubs den fußballunkundigen Amerikanern ungestört Europas verbreitetste Balispielarbeit vorführen.

Gen Osten nach Moskau startete die erste deutsche Mannschaft 1955 noch vor Bundeskanzler Adenauer. Seitdem kickten viele deutsche Klubs zwischen Leningrad und der Halbinsel Krim, »Die russischen Zuschauer waren in Ordnung«, erinnerte sich Hermann Höfer, Verteidiger hei Eintracht Frankfurt, »nur die rote Suppe, Borschtsch, lag mir schwer im Magen.«

Weniger die fette russische Kost als die kosten ließen den ost-westlichen Fußball-Tourismus wieder einschlafen. Denn Rubeleinnahmen dürfen die Klubs aus der Sowjet-Union nicht ausführen. Statt dessen verpflichteten sich die Gastvereine zu Gegenbesuchen. »Aber unser Flugkosten von 24 000 Mark«, winkte Borussia Neunkirchens Geschäftsführer Ewald Jung ab, »kamen bei den Rückspielen der Russen nicht wieder herein.«

Bulgarien leitete den Kicker-Verkehr In selbe Fremdenverkehrs-Zentren am Schwarzen Meer um. Internationale Spiele boten den Gästen aus westlichen Hartgeld-Ländern zusätzlichen Anreiz. Auf Staatskosten lud der bulgarische Verband pro Saison 20 bis 30 westeuropäische Mannschaften ein, bevorzugt bundesdeutsche.

Nach zwei Pflichtspielen gegen bulgarische Kicker-Kollektivs genießen die Gäste 20 Tage Urlaub in den Hotel-Neubauten von Warna. Jeder Spieler erhält von den Gastgebern 300 Mark taschengeld. Abends bringen DDR-Tanzkapellen die westlichen Fußballbeine in Schwung. Allerdings bangten die Mannschaften mehrfach um den gesicherten Rückzug. Denn die Gastgeber versuchten, sie in Charter-Maschinen zurückzuverfrachten.

Inzwischen erfaßte die Welle des Fern-Tourismus -- mit Linien-Jets -- die Bundesliga-Vereine. Europacupsieger Bayern München hatte 1966 auf einer Chile-Tour Geld und gute Erfahrungen gesammelt. Auch in diesem Jahr erhielt der Klub aus Santiago de Chile das Angebot zu einer Tournee, die 180 000 Mark einspielen sollte. Die Münchner standen nach einer enttäuschenden Saison vor einer finanziellen Lücke und schuldeten noch Spieler-Prämien. So akzeptierten sie.

»Es wurde eine Reise in die Pleite«, offenbarte der »Münchner Merkur«. In Lima pfändete die Lufthansa die erste Spielgage von 24 000 Mark, weil der Agent die Flugkosten (etwa 100 000 Mark) für 20 Personen noch nicht überwiesen hatte. Die Polizei beschlagnahmte in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá die Reisepässe der Spieler. Niemand hatte die Fußball-Touristen darauf hingewiesen, daß sie für Spiele in Kolumbien besonderer Arbeits-Genehmigungen bedurften. Statt dessen verlangte die Polizei ihre Fingerabdrücke und schob sie ohne Spiel ab

Schließlich kickten sie in Lima (Peru) und Chile. Dort herrschten freilich Wirtschafts-Krisen, so daß sie sich vor nahezu leeren Tribünen strapazierten. Trotzdem erzielten die Münchner 70 000 Mark Gewinn. Aber die Summe blieb auf südamerikanischen Sperrkonten eingefroren. Zu spät hatte sich herausgestellt, daß der südamerikanische Reise-Manager der Bayern stark verschuldet war. Nun sollten die Verpflichtungen aus der Kicker-Kasse gedeckt werden

Den wilden Süden strichen die Bayern jedenfalls vorerst aus ihrer Planung. Mönchengladbachs Mannschaft war nach den letztjährigen Südamerika-Erfahrungen das Fernweh überhaupt vergangen. Sie verzichtete für diesmal auf einen angebotenen Hongkong-Flug.

Der Klub spielte lieber in Tuttlingen, Waldfischbach und Ruhpolding. Frohlockte Vorstands-Mitglied Helmut Grashoff: »Da springen pro Spiel 9000 Mark heraus.«

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