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WELTMEISTERSCHAFT Winter im August

aus DER SPIEGEL 35/1966

Nur durch eine lawinengefährdete Schmalspurbahn ist das 2885 Meter über dem Meeresspiegel »auf einem anderen Stern« ("Die Welt") gelegene Portillo in den chilenischen Anden mit der Zivilisation verbunden.

Dennoch wählte eine Funktionärs -Mehrheit des Internationalen Ski-Verbandes (FIS) den nur aus einem 650 -Betten-Hotel bestehenden Ort als Austragungsplatz der Ski-Weltmeisterschaften 1966. Die im Abfahrtslauf und Slalom dominierenden Alpenländer wurden überstimmt.

In Chile gibt es lediglich 20 000 Ski -Sportler. Der beste, Mario Vera aus Santiago, ist in den internationalen Ranglisten im Slalom als 125., im Riesenslalom als 135. und im Abfahrtslauf überhaupt nicht verzeichnet.

Vor einem Jahr organisierte Chile Test-Wettbewerbe, damit die internationalen Ski-Stars die Portillo-Pisten prüfen konnten. Aber Lawinen verhinderten die Probe-Weltmeisterschaft und erstickten fünf Menschen.

Trotzdem blieb es bei Portillo: Wider Willen mußten sich die weltbesten Skirenner erstmals in der Geschichte ihres Sports auf Weltmeisterschaften im August vorbereiten. Auf die Wintersaison durften sie nicht verzichten. Denn nur gute Placierungen sicherten ihnen günstige Startnummern für die Sommer -Weltmeisterschaft. Statt im Frühjahr ihren Beruf auszuüben, bezogen die Läufer Trainingslager.

Der Schweizer FIS-Präsident Marc Hodler wollte den Erfolg von Portillo freilich nicht »nach Sekunden messen«, sondern an den »Tausenden, die künftig ihre Freizeit in diesen herrlichen Bergen verbringen werden«. Durch die Weltmeisterschaften sollten die weltbesten Skiläufer vor allem den unterentwickelten Ski-Kontinent Südamerika erschließen.

So bildete die Ski-Industrie in Portillo ihren ersten Brückenkopf auf dem südamerikanischen Kontinent. Im »Grand-Hotel Portillo« - es gehört zwei Amerikanern - gründete der frühere österreichische Olympiasieger Othmar Schneider schon eine Ski-Schule. Noch während der Weltmeisterschaft beschlossen sieben lateinamerikanische Länder, 1967 südamerikanische Meisterschaften zu organisieren.

Von dem Umsatz-Zuwachs werden besonders die bedeutenden europäischen Ski-Fabriken profitieren, die jährlich etwa 750 000 Paar Ski produzieren. Als die Ski-Oberen in Portillo verlangten, von den Ski die Firmenzeichen zu entfernen, drohten die Stars - die an bestimmte Marken vertraglich gebunden sind - einen Rennstreik an. Sie durften im Rasten und Rennen weiter Schleichwerbung treiben.

Sieger wurden, wie der US-Experte Professor Willi Schäffler vorausgesagt hatte, nur Läufer, »die sich im August vorstellen können: Jetzt ist Winter«.

Die Franzosen hatten am meisten Phantasie. Sie erkämpften 16 von 24 Medaillen. Der deutsche Außenseiter Franz Vogler gewann in seinem ersten wichtigen Abfahrtsrennen eine Bronzemedaille. Die seit Jahren überlegenen österreichischen Stars dagegen versagten im August.

Aber auch die Läufer aus Österreich und Frankreich befiel nach drei Wochen im isolierten Portillo ein »Gefühl der Enge und des Gefangenseins« ("Sport«, Zürich). Sie beendeten die Weltmeisterschaft mit einer Saalschlacht im Grandhotel.

Deutscher Skiläufer Vogler

Im Grandhotel eine Saalschlacht

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