Alpine Ski-WM 2023 Federica Brignone gewinnt Kombi-Gold – wiederholt sich das Shiffrin-Drama?

Trost von der Siegerin: Federica Brignone sprach Mikaela Shiffrin gut zu
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Es geht schon wieder los: Mikaela Shiffrin fuhr von oben weg nicht den besten Slalom ihrer Saison. Immer wieder rutschte sie leicht weg, ihre spielerische Sicherheit war nicht zu sehen. Und dennoch legte sie ein beeindruckendes Tempo vor, kam der nach dem Super-G führenden Italienerin Federica Brignone von Zwischenzeit zu Zwischenzeit näher. Acht winzige Hundertstel waren es kurz vor dem Ziel, dann flogen plötzlich Shiffrins Skier durch die Luft und die US-Amerikanerin fädelte am drittletzten Tor ein. Im Zielraum schlug Mutter Eileen die Hände vors Gesicht.

Mikaela Shiffrin kurz vor ihrem Einfädler
Das Ergebnis: Brignone gewann das erste Gold bei der alpinen Ski-WM 2023. In Méribel lag sie nach Super-G und Slalom 1,62 Sekunden vor der Schweizerin Wendy Holdener und 2,26 Sekunden vor Ricarda Haaser aus Österreich.
Das darf doch wohl nicht wahr sein: Nach Shiffrins Einfädler werden Erinnerungen an das Drama von Peking wach. Vor einem Jahr schied sie bei den Olympischen Spielen sowohl im Slalom als auch im Riesenslalom aus und weinte bitterlich. »Meine Performance in China ist immer ein bisschen im Kopf«, gestand sie vor der WM. Shiffrin und Großereignisse? Eine schwierige Beziehung zurzeit. Mindestens zwei Goldchancen hat sie noch. Kombi-Weltmeisterin wird sie wohl nie wieder.
Lebendes Fossil: Der Wettbewerb, bei dem die beste Allrounderin gefunden werden soll, steht vor dem Aus. Im Weltcup sind Kombinationen seit zwei Jahren verschwunden, auch bei den Olympischen Spielen 2026 wird es keine mehr geben. Schwer vorstellbar, dass die Fis nur noch bei Weltmeisterschaften an diesem Format festhält.
Die Last der Tradition: Dabei ist die Kombination die Urform des Skirennsports. 1936, bei den Nazispielen, war alpines Skifahren erstmals Teil des olympischen Programms. Ein Wettbewerb war angesetzt: die Kombination. Den Sieg holte sich Christl Cranz. Lang ist’s her.
Interessiert das noch wen? Das Interesse an diesem Wettbewerb ist seither immer weiter geschrumpft. Das Format wurde zigfach geändert, das Ergebnis blieb fast immer das gleiche. Gewonnen haben meist die Slalom-Asse. Die deutlich schwerfälliger fahrenden Abfahrerinnen und Abfahrer verlieren im Stangenwald oft mehr Zeit, als sie in Abfahrt oder Super-G rausfahren können. Das Faninteresse ist überschaubar, auch in Méribel blieben viele Sitze frei.
Gar nicht langweilig: Dass eine Kombination auch spannend sein kann, zeigte dann der WM-Auftakt. Brignone führte nach dem Super-G, dahinter lagen einige Speed-Spezialistinnen, denen im Slalom nicht viel zuzutrauen war. Es lief auf ein Duell zwischen Slalom-Queen Shiffrin und Brignone hinaus, die vor allem im Super-G und Riesenslalom reüssiert. Shiffrin hatte nach dem Super-G auf Platz sechs eine knappe Sekunde Rückstand. Die knabberte sie auch fleißig ab – bis zum drittletzten Tor. Und so jubelte Brignone, keine Slalom-Spezialistin.
Endlich: Brignone krönt mit dem WM-Titel ihre Karriere. Die 32-Jährige gewann einmal den Gesamtweltcup, wartete aber noch auf den großen Einzeltitel. Bei Weltmeisterschaften stand sie bislang einmal auf dem Podest: 2011, beim Riesenslalom in Garmisch. Knapp hinter der lange zurückgetretenen Tina Maze. Dranbleiben lohnt sich.

Federica Brignone jubelte schon nach dem Super-G ausgelassen
Foto: Alex Pantling / Getty ImagesDie Fragen der anderen: Entsprechend glücklich war Brignone danach. »Es war mein perfekter Tag«, sagte sie. »Alle haben mich gefragt, ob ich noch Gold gewinne.« Diese Frage beantwortete sie eindrucksvoll.
Lockeres Training: Viele Topfahrerinnen und Topfahrer haben keine Lust mehr auf den aussterbenden Wettbewerb. Nur 33 Läuferinnen waren gemeldet. Einige von ihnen missbrauchten die Kombination auch als Training für den Super-G am Mittwoch und traten im Slalom gar nicht mehr an. Darunter Größen wie Sofia Goggia und Lara Gut-Behrami.
Allrounderin: Eine, die durchgezogen hat, war Emma Aicher. Sie ist wie gemacht für eine Kombination: Sie startete die Saison in den technischen Disziplinen, da ging nicht so recht was voran, also packte man sie zu den Speedfahrerinnen. Bei der Abfahrt in St. Moritz raste sie auf Platz 15, danach lief es auch im Slalom wieder. Sie gehörte vor der WM zum erweiterten Kreis der Medaillenanwärterinnen.

Emma Aicher fuhr sich im Slalom noch weit nach vorn
Foto: Michael Kappeler / dpaNoch Zeit: Die in Schweden geborene Rennläuferin ist das mit Abstand größte Talent im deutschen Team. Aber auch erst 19 Jahre alt. Ende Januar startete sie noch bei der Junioren-WM. Im Super-G der Kombination ging sie mit der Nummer 1 an den Start und zeigte eine schüchterne Fahrt.
Kurz und bündig: Aicher ist keine Frau der großen Reden. War ihr Auftritt im Super-G zu verhalten? »Ja.« Dann lachte sie. Aicher weiß, dass sie es besser kann. Und zeigte das im Slalom, als sie sich von Platz 23 auf Platz acht vorarbeitete. Ob sie zufrieden ist? »Ja.«
So geht's weiter: Am Dienstag starten die Männer in die WM. In Courchevel gehört Lokalmatador Alexis Pinturault zu den Favoriten auf Gold. Die deutschen Starter Simon Jocher, Andreas Sander und Romed Baumann eher nicht.