
NHL-Enforcer: Prügeln als Beruf
Eishockey Der miese Job der Prügelprofis
Die Hintergrundmusik ist gedämpft und wird nur unterbrochen, als die Kommentatoren die Treffer von Wade Belak bejubeln. Das Video, das die NHL auf ihrer Internetseite in Gedenken an den verstorbenen Profi gestellt hat, fasst Belaks 14 Jahre auf der großen Eishockey-Bühne in 64 Sekunden zusammen. Zu sehen sind fünf Tore, zwei Prügeleien, ein harter Check.
Belaks auffälligste Bilanz sind allerdings seine 1263 Strafminuten, die er für Colorado, Calgary, Toronto, Florida und Nashville gesammelt hat. Der Blondschopf gehörte zur Kategorie der in Nordamerika beliebten "Enforcer" ("Vollstrecker"). Jedes Team hat diese Kämpfer. Ihre Markenzeichen: Sie teilen aus, stecken ein und verdienen wenig. Doch durch Belaks Tod, der sich laut Medienberichten erhängt haben soll, wird dieser Spielertypus nun in Frage gestellt.
Denn Belak war bereits der dritte "Enforcer", der innerhalb der vergangenen vier Monate starb. Am 13. Mai wurde Derek Boogaard (New York Rangers) tot in seiner Wohnung aufgefunden, am 15. August Rick Rypien (Winnipeg Jets). Boogaard war 28, Rypien ein Jahr jünger. Austrainierte Profis im besten Eishockey-Alter, konditionell fit, um bis zu fünf Spiele pro Woche durchzustehen. Ihre Psyche jedoch war anfällig.
Kopf hinhalten, prügeln, Mitspieler schützen - für 575.000 Dollar
Boogaard galt als einer der härtesten Haudegen der Liga, kam in seiner gesamten Laufbahn auf 182 Kämpfe. Seine Todesursache: ein Alkohol-Schmerzmittel-Mix, allerdings gehen die ermittelnden Behörden bei ihm nicht von einem Suizid aus. Rypien hingegen wurde in der Vorsaison für drei Monate von seinem Club freigestellt, um "private Dinge zu regeln", wie es offiziell hieß. Nach seinem Suizid kam heraus, dass er seit mehr als zehn Jahren unter Depressionen litt.
"Wir haben niemals gedacht, dass seine Rolle und wie er sie gespielt hat, einen Einfluss auf das hatte, was passiert ist. Aber vielleicht lagen wir falsch", sagt der Manager der Vancouver Canucks, Mike Gillis. Für dieses Team hatte Rypien vor seinem Wechsel zu den Jets zuletzt gespielt. Gillis ist überzeugt davon, "dass die Rolle des Enforcers jetzt nochmals geprüft wird und diese Fälle eine Debatte hervorrufen".
Auch Belak hielt bis Ende Februar für die Nashville Predators den Kopf hin, prügelte sich, um Mitspieler zu schützen oder sie nach einem Rückstand wachzurütteln und zu ermutigen - das alles für relativ bescheidene 575.000 Dollar (rund 403.000 Euro) im Jahr. Die Spitzenverdiener in der NHL kassieren mehr als das Zehnfache.
Todesfälle entfachen Diskussion
Belak war ein Hüne - 1,96 Meter groß, 101 Kilogramm schwer. Doch seinen Einsatz als "Enforcer" fürchtete er. Ein halbes Jahr vor seinem Tod sagte er der Zeitung "Toronto Star": "Wenn du wusstest, dass du kämpfen musstest, ging das an die Nerven. Du hast die Nacht vorher nie geschlafen."
Am vergangenen Mittwoch wurde Belak tot im Zimmer eines Hotels in Toronto gefunden. Seine Mutter Lorraine betonte, dass ihr Sohn an Depressionen gelitten, darüber "jedoch nicht oft geredet hat". Seine ehemaligen Vereine sowie frühere Mitspieler zeigten sich geschockt, beschrieben Belak als "großartigen Menschen". Liga-Boss Gary Bettman sprach von einer Tragödie.
Die Liga und die Spielergewerkschaft NHLPA wollen nun untersuchen, welche Faktoren zum Tode beigetragen haben, und darüber entscheiden, ob gezielte Schritte zur Verbesserung des Wohles der Spieler notwendig seien, um die Wahrscheinlichkeit solcher Vorkommnisse künftig zu minimieren. Beide Seiten heben hervor, dass jedem Mitglied der NHL-Familie "umfangreiche Hilfsmittel" zur Verfügung stünden. So gibt es ein Förderprogramm für psychisch angeschlagene Spieler. Dies bietet den Profis unter anderem Zugang zu Beratern sowie eine 24-Stunden-Hotline an. Boogaard und Rypien hatten dieses Angebot wahrgenommen.
Auch der frühere "Enforcer" Brantt Myhres nutzte die Angebote. Er beschrieb seinen Job als härtesten der Sportwelt: "Alle sehen nur die 20.000 Menschen, die dir zujubeln. Aber sie sehen nicht die dunklen Zeiten. Sie sehen nicht, wie du zusammengekauert im Hotelzimmer liegst und in Todesangst an den nächsten Kampf denkst", sagte Myhres der "New York Times".
Zusammenhang zwischen Gehirnerschütterungen und Depression?
Doch ob es nun zu einem Ende des Spielertyps "Enforcer" kommen wird, ist fraglich. Die Fights gehören in der NHL genauso zum Business wie Tore oder Bodychecks. In vielen Arenen kommt nur Stimmung auf, wenn der Puck im Netz liegt oder die Fäuste fliegen - eventuelle Spätfolgen der "Entertainer" interessieren nicht. "Jetzt verstehen die Menschen, wie schwierig es ist, den Job eines Enforcers auszuüben", sagt Georges Laraque. Er spielte bis zum Vorjahr in der NHL, war einer der bekanntesten Raufbolde.
Boogaards Familie hat den Leichnam des Profis dem renommierten Neurologen Robert Cantu von der Boston University zur Verfügung gestellt. Cantu und sein Experten-Team haben sich auf Langzeiteffekte von Kopf-Traumata im Sport spezialisiert, in der Vergangenheit bereits Football-Profis und Boxer obduziert und bei einigen die chronisch traumatische Enzephalopathie (CTE), eine degenerative Hirnschädigung, festgestellt. Hervorgerufen wird diese durch zahlreiche Gehirnerschütterungen. Diese wiederum könnten nach Ansicht des anerkannten Sportpsychologen Richard Lustberg im Zusammenhang mit Depressionen stehen.