Eisschnellläuferin Beckert Coole Kufenlady

Eisschnellläuferin Beckert: "Erst einmal tierisch gefreut"
Foto: Friso Gentsch/ dpaSolange die fröhliche Frau auf dem Holzstuhl neben ihr tschechisch sprach, saß Stephanie Beckert noch steif wie eine Mumie da. Kein Wort verstand die Erfurterin von dem, was Martina Sablikova in ihrer Muttersprache da über sie erzählte. Dann aber war Sablikova fertig, ihre Gedanken wurden ins Deutsche übersetzt - und erwiesen sich als eine kleine Lobeshymne der 22-Jährigen auf die 21-Jährige. Gold und Silber hatten die beiden jungen Eisschnellläuferinnen über 3000 Meter gewonnen - und kaum war das vollbracht, ging es schon um die Frage, ob es zehn Tage später über 5000 Meter wohl einen zweiten Aufguss der schönen Geschichte geben würde.
Für die fliegengewichtige Überfliegerin Sablikova, die bei 171 Zentimeter Körpergröße 53 Kilogramm auf die Waage bringt, ist die Sache jedenfalls klar. Um mehr als zwei Sekunden war sie über 3000 Meter schneller gewesen als die zweitplatzierte Beckert, die 69 Kilogramm wiegt und 172 Zentimeter groß ist. Für das nächste Duell am 24. Februar prophezeit Sablikova: "Ich denke schon, dass es dann ähnlich wie heute ausgehen wird. Stephanie wird definitiv wieder meine schärfste Konkurrentin sein."
Da kam plötzlich Leben in die Frau neben ihr. Beckert strahlte Sablikova an, und gleich darauf klatschten die zwei Frauen ihre Handflächen erstaunlich laut ineinander. In dem Augenblick, als die beiden Medaillenträgerinnen ihre Sympathien füreinander demonstrierten, verließ gerade Beckerts Teamkollegin das Richmond Olympic Oval. Nicht durch den Hinterausgang, aber doch mit einem Gefühl verzweifelter Ohnmacht, das ihr in den vergangenen Jahren so unangenehm vertraut geworden war.
Als Viertschnellste überquerte sie nach dem 14. und letzten Frau-gegen-Frau-Duell den Zielstrich. Die gebürtige Erfurterin, die mit ihren 35 Jahren, bei ihren dritten Winterspielen, nun immer noch auf eine Einzelmedaille wartet. Die 14 Jahre jüngere Beckert fuhr diese gleich bei ihrer Olympia-Premiere ein. Anschütz-Thoms' persönliche Tragik: Mit 0,25 Sekunden Rückstand auf Beckert war sie nur einen etwas längeren Wimpernschlag von Silber entfernt. Besonders schmerzhaft aber war der Hauch jener drei Hundertstelsekunden, die sie länger unterwegs war als die Kanadierin Kristina Groves auf Platz drei. Ein Hauch, mit dem sich die leidgeprüfte Nummer vier nicht abfinden wollte. "Ich akzeptiere jede Niederlage, wenn andere schneller sind. Aber bei drei Hundertstel ist es schwierig für mich, das zu verstehen", sagte Anschütz-Thoms niedergeschlagen und wurde, ihrer eigenen Geschichte angemessen, drastisch: "Ich hab' die Scheiße einfach an der Backe kleben. Anders kann ich das leider nicht sagen."

Vancouver 2010: Alle deutschen Medaillengewinner
Für die ersten Herz- und Schmerzgeschichten sorgten bei den deutschen Eisschnellläufern zur Abwechslung also einmal nicht die um ihr Knie besorgte oder die wegen ihrer Dopingsperre gestoppte , die noch immer ihren Olympia-Start einfordert, sondern zwei Damen aus dem Hintergrund. Ein Zustand, der im Fall von Stephanie Beckert künftig zur Gewohnheit werden könnte. Allein schon wegen ihres Alters. Pechstein war 19, als sie in Albertville ihre erste von neun olympischen Medaillen gewann. Mit ihren 21 Jahren liegt Beckert da gut in der Zeit - und nun soll sie dem deutschen Eisschnelllaufsport, dessen Protagonistinnen in die Jahre gekommen sind, neue Jugend verleihen.
Und etwas Glanz am besten gleich dazu.
Damit könnte es bei ihr allerdings schwierig werden. Eine muntere Plauderei ist nicht eben das, worin die eminent hart trainierende Beckert ein Ass ist. Was die noch darbende Vermarktung angeht, kann sie sich in Vancouver aber bei Teamkollegin Friesinger ein paar Tipps aus erster Hand einholen. Immerhin: Ein kleiner Anfang hin zu mehr Offensive ist seit dem Silber-Lauf am Sonntagnachmittag getan. Ließ Beckert da doch durchblicken, dass sie die Atmosphäre bei den Spielen genieße. So hatte sie sich "erst einmal tierisch gefreut", als sie den Namen ihrer direkten Gegnerin hörte. Kristina Groves ist schließlich Kanadierin, in ihrer Heimat finden die Winterspiele gerade statt. Und das war nicht zu überhören. "Das war eine herrliche Stimmung", sagte Beckert noch nachträglich - und das immerhin klang so gar nicht nach einer, der außer dem ausgeprägten Hang zu hartem Training nicht doch noch andere Leidenschaften zu entlocken wären.
Bloß ein Problem hatte die neueste Kufen-Hoffnung der Nation: Ihre große, durch und durch vom Eisschnelllauf infizierte Familie fehlte ihr. "Ich vermisse sie alle", sagte die Zweitälteste von insgesamt sechs Geschwistern. Doch die Entwöhnung wird noch ein wenig andauern: Am vorletzten Tag der Spiele steht schließlich der Team-Wettbewerb mit Beckert als möglicher Starterin auf dem Programm, zudem ist sie für die 5000 Meter, die zwei Tage zuvor stattfinden, fest nominiert.
Genauso wie die unglückliche Anschütz-Thoms, die ihr Resultat über 3000 Meter am Sonntag letztlich mit Ironie hinnahm. "Vierte Plätze habe ich schon immer knapp gewonnen", seufzte sie, ehe sie dem gebrauchten Tag immerhin noch etwas Positives abgewinnen konnte: "Gefühlsmäßig kann es ab jetzt nicht mehr schlimmer werden als heute."