Deutsche Olympiabilanz 30 Medaillen angepeilt - bei 19 gelandet

Biathletin Preuß: Trauer über die verpatzte Staffel
Foto: Filip Singer/ EPAVor diesen Olympischen Winterspielen von Sotschi war sehr viel von Baustellen die Rede gewesen. Es ging um die teilweise skandalösen Bedingungen der Arbeiter und um den Zeitdruck, mit dem die Sportstätten aus dem Boden gestampft werden mussten. Während der Wettkämpfe ist eine neue Baustelle hinzugekommen: der deutsche Wintersport.
Nach einer desaströs verlaufenen zweiten Wettkampfwoche muss die Olympia-Bilanz des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ernüchternd ausfallen.
"Enttäuschend", "absolut unbefriedigend", "Rückschritt" - wenn DOSB-Leistungssportdirektor Bernhard Schwank am Ende dieser Tage von Sotschi Sportart für Sportart der Reihe nach durchgeht, werden manchem Verbandsfunktionär die Ohren klingeln. Dabei hatte es zur Halbzeit der Spiele noch so anders ausgesehen. Deutschland hatte den Medaillenspiegel über Tage deutlich angeführt, Generaldirektor Michael Vesper "bekam von den Kollegen anderer Nationen täglich Glückwünsche übermittelt, wo immer ich auch auftauchte". Vesper sprach bei der Zwischenbilanz am vergangenen Samstag von Frühlingsgefühlen, die er verspüre.
Eine Woche später dürfte er in der Herbstdepression angekommen sein. "Ich komme mir vor wie nach einem Fußballspiel, wo man zur Pause 4:0 führt, und am Ende steht es 4:4", sagte er. Solche Fußballspiele soll es geben.
Zu viele Ausfälle komplett ohne Edelmetall
Deutschland landete in der Medaillenwertung am Ende auf Platz sechs. 30-mal Edelmetall war angepeilt, nur 19 Podestplätze sind es geworden. Die Rodler mit ihrer überragenden Ausbeute haben in der ersten Woche den Blick getrübt. Shorttrack, Curling, Skicross, Eishockey, Eisschnelllauf, Zweier- und Viererbob: Der DOSB hatte diesmal zu viele Ausfälle komplett ohne Medaillen zu verzeichnen.
Die größte Enttäuschung aus Sicht der Funktionäre ist vermutlich der Biathlon, wo es zwar zweimal Silber bei den Männern gab, aber eben auch den fatalen Dopingfall Evi Sachenbacher-Stehle. Ein möglicherweise folgenreiches Debakel für die Wintersportdisziplin, die derzeit noch die besten TV-Quoten und üppigsten Sponsorengelder hereinspült. 2002 bei den Spielen von Salt Lake City hatten die Biathleten noch für neun deutsche Medaillen gesorgt, in Sotschi waren es zwei. "Die Kurve zeigt eindeutig nach unten", sagt Schwank.

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Im Eisschnelllauf kann sie schon nicht mehr viel weiter nach unten zeigen. Zum ersten Mal seit 50 Jahren kehrt der deutsche Sport ohne Medaille vom Eis zurück. Die Trainer sind überaltert, die Athleten sind es teilweise auch. Es fehlt vor allem an jungen guten Coaches, Nachwuchs ist kaum vorhanden, das Publikum bleibt weg. Eisschnelllauf-Trainer Thomas Schubert sagt: "Wir werden künftig kleinere Brötchen backen müssen." Deutschland: null Medaillen in der Adler Arena. Niederlande: 22.
Das Modell Niederlande, sich auf eine Kerndisziplin zu fokussieren und dort fast alles an Top-Rängen abzuräumen, nennt DOSB-Präsident Alfons Hörmann dennoch "nur kurzfristig faszinierend". Wenn er die Wahl habe, in einer Disziplin 20 Medaillen zu holen oder in fünf Sportarten zehn, "dann werde ich mich immer für die zweite Option entscheiden".
"Wir hatten keine Olympia-Touristen am Start"
Tatsächlich gehört der DOSB noch immer zu den Verbänden mit der breitesten Streuung, was Medaillenanwärter angeht. Andere Wintersportnationen wie Österreich, Italien, Frankreich, Schweden oder die Schweiz haben in dieser Hinsicht einen weitaus engeren Horizont. 56-mal hatten sich bis zum Samstag deutsche Sportler auf den ersten acht Rängen platziert, das liegt auf dem Niveau von Russland und den USA - allerdings mit dem Schwerpunkt auf den Plätzen fünf bis acht.
Selbst in den sogenannten neuen Sportarten wie Freestyle, Snowboard und Skicross, in denen andere Nationen ihre Traditionen haben, hatte der DOSB sich realistische Podestchancen ausgerechnet. "Wir haben hier in Sotschi keine Olympia-Touristen am Start gehabt", sagt Vesper. "Es haben eben nur viele die Erwartungen nicht erfüllt."
Dabei gab es selbst in dieser Woche, in der so viel für den DOSB schief lief, in der es unglückliche Stürze auf der Ziellinie gab, Stockbrüche, verstopfte Biathlon-Gewehre, Skiläufer, die in der Heimat auf Blitzeis gerieten und andere, die "um Wimpernschläge" (Vesper) am Podest vorbeischrammten, auch einen Lichtblick. Die Goldmedaille im Mannschaftswettbewerb der Skispringer gehört zu jenen Leistungen, auf die man im DOSB besonders stolz schaut. Skispringen ist fast so wichtig wie Biathlon, was die Fernsehzeiten und das Sponsoring angeht. Umso wertvoller strahlt dieses Gold.
"Vielleicht sind wir Deutschen im Herzen einfach Teamsportler", sagt Schwank. Das wird es sein: Es gibt bei Olympia einfach noch zu wenige Mannschaftswettbewerbe.