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Eiskunstlaufen: Wie Bruder und Schwester

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Eiskunstläufer Sawtschenko und Szolkowy "Hast du sie noch alle?"

Es sind die letzten gemeinsamen Winterspiele für Aljona Sawtschenko und Robin Szolkowy, ihre letzte Chance auf eine olympische Goldmedaille. Im Interview spricht das Eiskunstlaufpaar über Konflikte, Glamour - und warum man den dreifachen Wurf-Axel nicht üben kann.
Zur Person

Aljona Sawtschenko, 30, und Robin Szolkowy, 34, gewannen je viermal die Welt- und Europameisterschaft, außerdem holten sie 2010 die Bronzemedaille bei den Olympischen Winterspielen in Vancouver. Sie leben und trainieren in Chemnitz und werden vom ehemaligen Paarlauf-Weltmeister Ingo Steuer betreut.

SPIEGEL ONLINE: Frau Sawtschenko, Herr Szolkowy, in Ihren zehn gemeinsamen Jahren wurden Sie zum erfolgreichsten Eiskunstlaufpaar, das Deutschland je hatte. Wie ist es für Sie zu wissen: Jetzt kommen die letzten Olympischen Spiele, bei denen wir laufen werden?

Szolkowy: Darüber kann ich mir jetzt noch keine Gedanken machen. Das kommt erst später, nach den Spielen, wenn man dasitzt und sich sagt: Das war's jetzt also?

SPIEGEL ONLINE: Nicht vorher? Die Deutsche Meisterschaft fand im Dezember in einer kleinen, tristen Eishalle in Berlin statt. Sie beide, heißt es, hätten da unbedingt hingewollt, um sich vom deutschen Publikum zu verabschieden.

Sawtschenko: Es ist wie bei einem Bild, das man mit dem letzten Strich fertig malt. Unsere gemeinsame Karriere hat vor zehn Jahren genau in dieser Halle begonnen. Wir wollten in Berlin noch mal alles geben. Das gilt auch für Sotschi. Natürlich ist es eine besondere Saison. Aber wir sterben ja nicht, wenn wir aufhören.

SPIEGEL ONLINE: Olympische Jahre scheinen bei Ihnen schwierig zu verlaufen. 2006 war der Start von der IM-Affäre Ihres Trainers Ingo Steuer überschattet, 2010 gab es einen kurzfristigen Wechsel der Kürmusik. Und nun mussten Sie bei der Generalprobe, der Europameisterschaft in Budapest, vor der Kür aufgeben.

Sawtschenko: Ich hatte einen grippalen Infekt, und wir wollten mit Blick auf Sotschi nichts riskieren. Besser vorher krank als bei den Spielen.

SPIEGEL ONLINE: Immerhin waren Sie im Kurzprogramm beim dreifachen Wurf-Flip gestrauchelt. Wollten Sie sich einfach keine weitere Blöße geben?

Szolkowy: Nein, das hatte nichts damit zu tun. Wir wollten einfach auf Nummer sicher gehen. Es wäre schließlich fatal gewesen, wenn Aljona sich bei der EM verletzt hätte, weil sie nicht bei Kräften gewesen war.

SPIEGEL ONLINE: Sie laufen die Kür zur Musik von Tschaikowskis Nussknacker-Suite. Ist es Zufall, dass Sie in Sotschi mit dem Stück eines russischen Komponisten antreten?

Sawtschenko: Das hat schon eine gewisse Rolle gespielt. Aber an erster Stelle steht, dass die Musik uns selber überzeugen muss. Nur so merkt das Preisgericht, dass wir mit voller Hingabe laufen. Danach geht es erst darum, ob auch die Zuschauer glücklich sind.

Szolkowy: Es ist ja nicht so, dass wir zu einem großen Wettkampf anreisen, unser Programm zum allerersten Mal laufen und uns wundern, wenn keiner klatscht. Das läuft anders: Die Programme werden schon in der Entwicklungsphase Preisrichtern und Fachleuten vom Verband vorgeführt, damit wir rechtzeitig wissen, wo wir stehen und was wir vielleicht ändern sollten. Und am Rande der ersten Wettkämpfe unterhalten wir uns ebenfalls mit Offiziellen. Sie bewerten uns schließlich und haben Einfluss. Da erfährt man, welche Meinung über uns herrscht.

SPIEGEL ONLINE: Das schwierigste Element Ihrer Kür ist der dreifache Wurf-Axel. Wie oft trainieren Sie den?

Sawtschenko: Den kann man nicht trainieren.

SPIEGEL ONLINE: Wie bitte?

Sawtschenko: Na ja, vielleicht ein- oder zweimal. Viel zu riskant. Er ist ein Rekordsprung, den man auspackt, wenn es darauf ankommt, alles auf eine Karte zu setzen. Da muss jedes Detail stimmen: Geschwindigkeit, Landung, Körperspannung.

SPIEGEL ONLINE: Wissen Sie noch, wann Sie ihn erstmals im Wettkampf gezeigt haben?

Sawtschenko: Hmm… Also 2012, bei unserem WM-Sieg in Nizza, war er auf jeden Fall im Programm.

SPIEGEL ONLINE: Die Entscheidung fiel spontan?

Sawtschenko: Nach dem Kurzprogramm habe ich entschieden, dass ich es machen will. Ich sagte zu Robin: Wir haben nichts zu verlieren, ich probiere es.

Szolkowy: Mir blieb nicht anderes übrig. Ich habe ihr vertraut.

Sawtschenko: Und ich wusste, er wirft mich so hoch und weit, dass ich es schaffen kann. Ohne dieses Vertrauen hätte er vielleicht gesagt: Hast du sie noch alle?

SPIEGEL ONLINE: Wie war das, als Sie 2002 zusammenkamen? Sie, Frau Sawtschenko, hatten die Ukraine verlassen, um in ein fremdes Land zu gehen, dessen Sprache Sie erst lernen mussten. Sie, Herr Szolkowy, waren schon raus aus dem Eiskunstlauf und hatten in einer Fabrik am Band gestanden. Die Umstände sprachen nicht gerade für Sie.

Szolkowy: Mir war klar, dass viel möglich ist. Sehr viel.

2008 in Göteborg: "Es funktionierte auf dem Eis"

2008 in Göteborg: "Es funktionierte auf dem Eis"

Foto: Jamie McDonald/ Getty Images

Sawtschenko: Wir wussten sehr schnell, dass wir Potential haben, denn das Entscheidende stimmte: Es funktionierte auf dem Eis.

SPIEGEL ONLINE: Wann merkten Sie das?

Szolkowy: Es fühlte sich gut an, als wir das allererste Mal aufs Eis gingen, einander an der Hand nahmen und miteinander schlenderten.

SPIEGEL ONLINE: Ist das ein wenig so wie sich verlieben?

Sawtschenko: Ja.

Szolkowy: Absolut. Es gibt halt solche Momente, das kennt man doch. Man merkt einfach, dass es passt. Wie wenn man sich ein Auto kauft…

Sawtschenko: So ähnlich! (lacht)

SPIEGEL ONLINE: Wie lange dauert das?

Szolkowy: Nur ein paar Sekunden. Wenn ich inzwischen eine andere Frau an der Hand habe, etwa bei einer Aufführung in einer Gruppe, da merke ich sofort, dass es anders ist. Die Frau geht nach links, ich nach rechts - was ist denn hier los?

Sawtschenko: Schon die Hand eines anderen fühlt sich seltsam an.

SPIEGEL ONLINE: Wie müssen wir uns Ihre Beziehung vorstellen?

Szolkowy: Wie Bruder und Schwester.

2013 in London: "Robin gleicht mich aus"

2013 in London: "Robin gleicht mich aus"

Foto: Ronald Martinez/ Getty Images

SPIEGEL ONLINE: Sie sind privat kein Paar.

Szolkowy: Das war nie ein Thema.

SPIEGEL ONLINE: Niemals?

Szolkowy: Bei mir war es immer so: Meine Partnerin auf dem Eis war nie meine Freundin. Ich könnte es mir nicht vorstellen, mit meiner Freundin beruflich zusammenzuarbeiten. Im Büro zu sitzen und abends im Bett noch darüber zu sprechen, was morgen auf der Arbeit zu erledigen ist? Undenkbar.

SPIEGEL ONLINE: Sie sehen Eiskunstlaufen nüchtern, Herr Szolkowy. Ist das ungewöhnlich bei einer künstlerischen Sportart?

Szolkowy: Ich bin eher ein nüchterner Typ. Mich werden Sie nicht beim Eishockey oder Basketball aufspringen und "Yeah" schreien erleben.

SPIEGEL ONLINE: Frau Sawtschenko, Sie sind lebhafter, extrovertierter. Ist es einfacher, mit einem weniger temperamentvollen Partner zu laufen?

Sawchenko: Ich denke schon. Robin gleicht mich aus, es ist ruhiger mit ihm als mit einem Partner, der mir ähnlich wäre. Ein Konflikt schaukelt sich bei uns nicht so hoch. Manchmal erwarte ich bei einer Diskussion regelrecht, dass da etwas von ihm kommt. Kommt aber nicht.

Szolkowy: Es gibt höchstens kurze Streits. Wir hatten nie eine Krise, bei der wir uns erst langsam wieder einander annähern mussten.

SPIEGEL ONLINE: Trotz Ihrer Erfolge sind Sie nicht besonders prominent. Sie könnten ein glamouröses Dasein führen, bei Galas posieren und Ihre Prominenz steigern, indem Sie sich mehr in in der Regenbogenpresse zeigen. Warum machen Sie das nicht?

Sawtschenko: Wann sollten wir das tun? Uns fehlt dafür die Zeit. Von Galas kommt man nachts nach Hause und ist am nächsten Morgen nicht fit.

SPIEGEL ONLINE: Nach der Saison vielleicht?

Bei Olympia 2010 in Vancouver: "Kein leichtverdientes Geld"

Bei Olympia 2010 in Vancouver: "Kein leichtverdientes Geld"

Foto: Jamie Squire/ Getty Images

Sawtschenko: Wir reisen sehr viel und sind froh, wenn wir einfach mal zu Hause im Bett bleiben können. Ich möchte ja auch mal in Ruhe meine Sachen waschen.

SPIEGEL ONLINE: Es gibt Menschen, die machen beruflich fast nichts anderes.

Sawtschenko: Die haben wahrscheinlich sonst nichts zu tun. Bei uns ist das anders: Wenn man es sich verdient hat, zieht man gerne ein schönes Kleid an und genießt den Abend.

Szolkowy: Die meisten Einladungen bekommen wir ja, wenn Eiskunstlaufen attraktiv ist, und das ist im Winter. Da wird es zeitlich eng. Training und Wettkämpfe haben Priorität, dafür benötigen wir all unsere Energie. Nebenbei was anderes zu machen, das funktioniert nicht.

SPIEGEL ONLINE: Sind Sie vielleicht nicht der Typ, der alle Chancen der Vermarktung nutzt?

Szolkowy: Rückblickend finde ich schon, dass wir das etwas anders hätten handhaben können. Wir haben früher mit keinem professionellen Management zusammengearbeitet, das uns stärker in die Öffentlichkeit gebracht hat. Ingo hat das lange Zeit nebenbei gemacht. Inzwischen betreut uns eine professionelle Agentur.

SPIEGEL: Wissen Sie schon, was nach Olympia für Sie kommt?

Szolkowy: Wir haben keine Antwort auf diese Frage. Die vergangenen vier Jahre waren komplett auf Sotschi ausgerichtet. Ich habe mich überhaupt nicht mit dem Danach beschäftigt.

SPIEGEL ONLINE: Wie wäre es mit Eis-Shows? Hervorragend bezahlt und nicht so stressig. Sie sind ja bereits welche gelaufen.

Sawtschenko: Ja, zum Beispiel in Asien. Die Hallen sind voll, es gibt da unglaublich viele Eislauf-Fans.

Szolkowy: Dort rasten die regelrecht aus, vor allem in Südkorea und Japan. Die machen bei einer dreistündigen Show drei Stunden lang Alarm.

Sawtschenko: Es ist aber kein leichtverdientes Geld. Die Shows reisen von einer Stadt zur anderen, man lebt aus dem Koffer und schläft wenig. Und es reicht nicht, ein bisschen auf dem Eis herumzulaufen, Dreifachsprünge gehören ins Programm. Solche Sachen sind vertraglich geregelt.

SPIEGEL ONLINE: In Sotschi entscheidet sich, welche Gagen Sie erwarten könnten. Mit Gold um den Hals werden Sie teurer für die Show-Veranstalter.

Szolkowy: Der Marktwert würde wohl ordentlich steigen. Je mehr Erfolg, desto mehr Gage, so läuft das Geschäft. Außerdem haben die Show-Veranstalter auch ein gutes Gespür dafür, welche Läufer das Publikum anlocken. Das ist knallhartes Business. Und wer übermütig wird und keine Leistung bringt, ist schnell wieder draußen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben lange bescheiden verdient und mussten sogar Ihren Trainer aus eigener Tasche finanzieren. Reizt es Sie, Ihre Erfolge noch zu versilbern?

Sawtschenko: Es geht beim Eiskunstlaufen nicht ums Geldverdienen. Man wird ohnehin nicht reich davon. Ich kannte das ja aus meiner Kindheit in der Ukraine, da hatte ich auch kaum Geld.

Szolkowy: Einen Porsche jedenfalls hat keiner von uns vor der Tür stehen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben erst seit zwei Jahren einen persönlichen Sponsor…

Sawtschenko: Ja, so sind wir finanziell ein wenig abgesichert. Zudem werden wir ja weiterhin von der Deutschen Sporthilfe und vom Verband, der Deutschen Eislauf-Union, unterstützt.

Szolkowy: Ohne unseren Erfolg und Leute, die immer an uns geglaubt haben und das auch noch tun, wäre es schnell vorbei gewesen. Aber ich bin zufrieden. Es gibt olympische Sportarten, die kaum einer kennt. Wenn die Sportler jemandem sagen, was sie tun, bekommen sie zu hören: Wie bitte, was machen Sie? Da geht es uns besser. Ich kann sagen: Ich bin Eiskunstläufer.

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