Pechstein-Prozess "Der Fall wird Geschichte schreiben"

Eisschnelllaufstar Claudia Pechstein zieht gegen ihre Sportverbände vor Gericht. Bei dem Prozess will sie Schadensersatz in Millionenhöhe als Ausgleich für die zweijährige Dopingsperre erstreiten. Doch ihren Anwälten geht es um viel mehr: Sie wollen die Sportgerichtsbarkeit revolutionieren.
Eisschnellläuferin Pechstein: Hofft auf Entschädigung in Millionenhöhe

Eisschnellläuferin Pechstein: Hofft auf Entschädigung in Millionenhöhe

Foto: Soeren Stache/ dpa

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat sich viel Mühe gegeben für diesen Vormittag: Die Arbeitnehmervertreter haben ein XXL-Banner produziert, auf dem groß der Spruch prangt: "Gerechtigkeit für Claudia Pechstein". Die Genannte, selbst Mitglied der Gewerkschaft, sitzt davor und hat sich für diesen Anlass gar ihre Uniform als Polizeihauptmeisterin angezogen. Eine Kluft, die sie sonst eher selten tragen dürfte. Vor der Presse sollen an diesem Donnerstag die Einzelheiten der Millionenklage erörtert werden, die die fünffache Olympiasiegerin im Eisschnelllauf vor das Landgericht München getragen hat.

Pechstein klagt gegen den Internationalen und den Deutschen Eisschnelllauf-Verband auf Schadensersatz und Schmerzensgeld für ihre zweijährige Dopingsperre von 2009 bis 2011. Sie hält ihre Unschuld mittlerweile für erwiesen und will dies auch gerichtlich dokumentiert wissen. Dabei geht es aber nun um viel mehr: Am Ende der am kommenden Mittwoch beginnenden Verhandlung könnten zwei Sportverbände finanziell ruiniert sein - und die Sportgerichtsbarkeit revolutioniert werden. Denn um nichts weniger geht es den Pechstein-Anwälten.

Thomas Summerer ist der Haupt-Rechtsbeistand der Sportlerin, und er hat Großes im Blick: "Wir greifen den Internationalen Sportgerichtshof Cas als Institution an, wir halten ihn für kein geeignetes Schiedsgericht", sagt der Münchner Anwalt schon vor Prozessbeginn und schiebt damit die Angriffslinie nach vorn. Im Prozess will er ein Urteil erzwingen, das es Sportlern künftig ermöglichen soll, auch zivilrechtlich in ihren Ländern gegen ein Urteil des Cas vorzugehen.

"In der Schweiz nicht gut aufgehoben"

So etwas ist bisher nur in der Schweiz möglich, wo der Cas ansässig ist. "Und die Schweiz mag beim Fremdenverkehr unseren Standards entsprechen, aber nicht in der Gerichtsbarkeit", so Summerer. In der Schweiz sei man "nicht gut aufgehoben, wenn man Gerechtigkeit will". Das sehe man ja daran, wie ungeschoren die der Korruption verdächtigen Herren des Weltfußballverbands Fifa davonkämen.

Summerer hat Erfahrungen mit solchen Fällen wie dem von Pechstein. Er hat 2001 für die ebenfalls wegen Dopings gesperrte Leichtathletin Kathrin Krabbe eine Entschädigung von 1,5 Millionen D-Mark vor Gericht herausgeholt. Der Prozess dauerte damals sieben Jahre, und Summerer kann sich durchaus vorstellen, dass es in der Causa Pechstein ähnlich lange dauern wird. "Der Fall Krabbe war schon schwierig, aber dieser Fall ist ungleich komplizierter."

Dabei ist die Verteidigungsstrategie klar: Pechstein behauptet, die bei Dopingkontrollen bei ihr festgestellte Erhöhung der Werte bei den jungen roten Blutkörperchen, den sogenannten Retikulozyten, sei Resultat einer Blutanomalie, die sie von ihrem Vater geerbt habe. Dafür hat sie mittlerweile zahlreiche Gutachten eingeholt, die ihre Version bestätigen. Selbst die damals von der Internationalen Eislauf-Union ISU eingeholten Experten Giuseppe D'Onofrio und Pierre Edouard Sottas hätten mittlerweile diese Möglichkeit zumindest eingeräumt, so die Anwälte. Die ISU hält dagegen, der Fall sei mit dem Verhängen der Dopingsperre abgeschlossen.

Pechstein-Lager hat Unterschriftenliste organisiert

Pechstein, die sich derzeit auf die Olympischen Winterspiele in Sotschi im kommenden Februar vorbereitet, sieht das völlig anders. Sie habe Sponsoren durch die Dopingsperre verloren, ihr seien Prämien und Antrittsgelder entgangen, sie habe Unsummen für Anwälte aufgebracht - all das addiert sich aus ihrer Sicht auf eine nicht näher genannte einstellige Millionensumme, die sie von der ISU und dem deutschen Verband, der DESG, wiederhaben will. Dass beide Verbände finanziell nicht in der Lage sein dürften, eine solche Summe zu stemmen, und deren Existenz damit durchaus auf dem Spiel stehen könnte, ist ihr relativ gleich: "Ich mache mir erst einmal Gedanken um meine Person als über die finanziellen Verhältnisse dieser Verbände."

Um im Vorfeld des Prozesses den Druck auf die ISU zu erhöhen, hat das Pechstein-Management in dieser Woche der "Sport Bild" einen Brief lanciert, in der Sportler und Funktionäre ihre Unterstützung für die Deutsche signalisieren. "100 Stars kämpfen für Pechstein" hat das Blatt getitelt. Zu den Unterzeichnern gehört auch der Präsident des DESG, Gerd Heinze. Der Verband hatte sich in der Affäre Pechstein schon früh weitgehend hinter die Athletin gestellt. Zu den Paradoxien dieses Falls gehört, dass jetzt auch er für die Pechstein entstandenen Schäden haften soll.

Noch ist gar nicht sicher, ob das Landgericht sich überhaupt für zuständig für diesen Fall erklären wird. Das muss zu Beginn der Verhandlung geklärt werden. Schließlich geht es um eine Angelegenheit, die bereits vor Schweizer Gerichten abschließend behandelt worden ist. Summerer ist sich dennoch jetzt schon sicher: "Dieser Fall wird Sportrechtsgeschichte schreiben."

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