Silbermedaille für Jenny Wolf Eisqueen ohne Krone

Gold war eigentlich schon gebucht, jetzt muss sich Jenny Wolf mit Silber zufrieden geben. Bei den Olympischen Spielen will es für die Eisschnellläuferin einfach nicht klappen: In Vancouver scheiterte sie nun an der Koreanerin Lee Sang-Hwa - und an ihren eigenen Nerven.
Von Susanne Rohlfing
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Eisschnelllauf: Fünf Hundertstel am Glück vobei

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Jenny Wolf.

Schließlich landet auch noch die deutsche Fahne im Kameragraben und nicht in den Händen von Das passt irgendwie zu diesem Tag, der ihrer hätte werden sollen und der dann doch so viele Tücken bereit hielt - zu viele für Jenny Wolf und ihren Traum von Gold im Eisschnelllaufen.

Es hatte zuletzt so ausgesehen, als könnte sie gar nicht mehr verlieren. Sie war die Herrscherin des Eises, zumindest über die 500-Meter-Distanz. Aber jetzt ist sie nur Zweite geworden.

Als die schwarz-rot-goldene Fahne endlich doch den Weg von der Zuschauertribüne in Wolfs Hände findet, schlingt die Berlinerin sie sich um die Schultern wie einen Schutzmantel gegen die Enttäuschung. Dann dreht sie noch eine langsame Runde über das Eis des Olympic Ovals in Vancouver. Sie nimmt Abschied von ihrem Traum. Nicht sie bekommt die Goldmedaille, sondern Lee Sang-Hwa. Wolf war einen Wimpernschlag zu langsam, nach zwei Läufen lag die Südkoreanerin fünf Hundertstel Sekunden vor der deutschen Favoritin.

Im Vorfeld der Spiele hatte Jenny Wolf gesagt, man könne nur einmal Gold gewonnen haben und sonst nichts, und bleibe trotzdem immer Olympiasieger. "Dann wird man ganz anders respektiert und geachtet. Ohne Olympiasieg ist man als Sportler nicht komplett erfolgreich gewesen." Vancouver war Wolfs dritter Versuch, die eigene Sportkarriere zu vollenden. 2002 war sie 15., 2006 Sechste geworden. Danach erst begann ihr Siegeszug: Seit 2007 gewann die 31-Jährige dreimal in Folge die Weltmeisterschaft über die 500-Meter Distanz, im Weltcup sammelte sie 34 Siege über 500 Meter, davon vier in Folge noch direkt vor den Spielen.

Anni Friesinger

Claudia Pechstein

Nach einer so beeindruckenden Erfolgsserie musste selbst ein ursprünglich so zurückhaltender Mensch wie Jenny Wolf daran glauben, Gold gewinnen zu können. Ja, zu müssen. Entsprechend forsch hatte sie sich geäußert: "Alles andere als Gold wäre ein Enttäuschung." So selbstbewusst war Wolf nicht immer gewesen, im Gegenteil. Zu Beginn ihrer Karriere dämpfte die Nervosität so manches Mal ihre Leistungen. Aber die Berlinerin entwickelte sich. Sie feilte an ihrem Können, an ihrer Nervenstärke, studierte nebenbei Literaturwissenschaften - und mauserte sich klammheimlich im Schatten ihrer populären Kolleginnen und zur größten Goldhoffnung der deutschen Eisschnellläufer in Vancouver.

Lieber Siegerin als Glamour-Girl

Dass die beiden anderen, Pechstein mit einem Dopingskandal und Friesinger mit Verletzungen und ihrer Kritik am deutschen Teamarzt Gerald Lutz, zuletzt immer noch mehr Aufmerksamkeit bekamen als Wolf mit ihrer Siegesserie, fand die Berlinerin in Ordnung. Glamour-Gehabe ist ihre Sache nicht. Genauso wenig wie Neid. "Ich muss noch beweisen, dass ich wirklich auf dem gleichen Niveau Sport mache", hatte Wolf gesagt und sich aus allem Gezicke und Gezetere heraus gehalten. Ganz gelassen.

Doch ausgerechnet im Olympic Oval, am Tag der Tage, da kam sie zurück, die Unsicherheit. Das Flattern im Magen, die zittrigen Beine, die Zweifel. "Ich war so nervös, das war so ein Riesen-Ding", sagt Wolf als alles vorbei und sie Zweite ist. "Vielleicht war ich noch nicht bereit."

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Schon im ersten Durchgang stand Wolf gemeinsam mit Lee Sang-Hwa auf dem Eis. Ihre vermeintlich größte Konkurrentin war die Chinesin Beixing Wang, die hinter Wolf auf Rang zwei der aktuellen Weltcupwertung liegt. Doch Lee hatte die Deutsche in diesem Jahr bereits bei der Sprint-WM, einer Kombination aus 500- und 1000-Meter-Rennen, geschlagen. Und in Vancouver präsentierte sie sich mit Nerven wie Stahlseilen. "Sie schert sich um überhaupt nichts, sie läuft einfach", gab Wolf ein wenig neidisch zu Protokoll.

Südkoreanerin mit den besseren Nerven

All die Widrigkeiten, die an den Nerven der Deutschen zerrten, ließen die Südkoreanerin offenbar kalt. Vor dem ersten Lauf von Wolf und Lee hatte es die Niederländerin Annette Gerritsen aus der Kurve gehauen. Anschließend dauerte es eine Weile, bis die Löcher im Eis gestopft waren. Wolf und Lee standen am Start und warteten. Dann produzierte die Südkoreanerin einen Fehlstart. Also nochmal von vorn. Wieder warten. Dann ging es endlich los - und Wolf kam nicht wie gewohnt in die Gänge. Die Südkoreanerin nahm schließlich einen Vorsprung von sechs Hundertstel Sekunden mit in die Pause.

Danach wurde Wolf zwar endlich ruhiger. "Es ist eine Last von mir abgefallen", sagt sie, "ich weiß ja, dass ich die zweiten Rennen noch schneller laufen kann." Doch zwei Stunden später stellte sich heraus: Lee Sang-Hwa kann das auch. Die beiden duellierten sich auf höchstem Niveau und blieben als einzige an diesem Tag unter 38 Sekunden. "Aber als ich gesehen habe, dass auf der Ziellinie plötzlich ihr Fuß neben mir war, wusste ich schon, dass es nicht gereicht hat", sagt Wolf. Sie machte eine Hundertstel Sekunde gut (37,838 zu 37,850), musste sich aber mit insgesamt 76,14 zu 76,09 Sekunden geschlagen geben. Bronze ging an Beixing Wang (76,63 Sekunden).

"Jetzt bin ich keine Olympiasiegerin, sondern nur Olympiamedaillengewinnerin", erklärt Wolf nach dem Rennen. "Das ist ja auch viel wert - aber Olympiasieger sind für mich immer noch das Größte." Sie wird weiter zu ihnen aufblicken müssen. Mindestens vier Jahre noch. Aufgeben will Jenny Wolf jedoch nicht. Sie sagt: "Im Moment bin ich so drauf, das ich sage: Dann probiere ich es eben in vier Jahren wieder."

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