Deutsche Skispringer bei der Tournee Zerplatzte Träume
Mit dem Auftaktspringen steht bereits fest: Nur Markus Eisenbichler hat noch eine Chance auf den ersten deutschen Tourneesieg seit 2002. Über ein Team, in dem Enttäuschung und Jubel dicht beieinanderliegen.
Markus Eisenbichler stand mit feuchten Augen auf dem Siegerpodest und konnte offenbar selbst kaum glauben, was ihm da beim Auftaktspringen der 67. Vierschanzentournee in Oberstdorf ein paar Minuten zuvor gelungen war: Platz zwei, hauchdünne 0,4 Punkte hinter Sieger Ryoyu Kobayashi. "Podest bei der Vierschanzentournee muss man erst mal schaffen", sagte er. "Dass ich das schaffe, hätte ich am Tag davor so nicht für möglich gehalten."
Der Erfolg von Eisenbichler täuschte allerdings ein wenig darüber hinweg, dass das deutsche Mannschaftsergebnis ansonsten unterdurchschnittlich ausfiel.
Bundestrainer Werner Schuster sah zwar "in der Summe mehr Positives als Negatives". Und ja, es gab sie ja auch, die positiven Ergebnisse. Eisenbichler feierte mit Platz zwei bei einem Springen der Tournee den größten Erfolg seiner Karriere. In der Masse sorgten die deutschen Skispringer mit sieben Platzierungen unter den besten 25 für ein respektables Abschneiden. Hinter Eisenbichler schaffte es allerdings kein anderer deutscher Springer unter die ersten Zehn. "Er hat uns heute den Tag so ein bisschen gerettet", sagte Teamkollege Richard Freitag.
Tatsächlich war dieses Springen in Oberstdorf für die deutsche Mannschaft kein besonders gutes. Zumindest verglichen mit dem, was sie in der Lage zu leisten ist - und was sie auch schon geleistet hat.
Negativ stach das Ausscheiden von Einzel-Olympiasieger Andreas Wellinger hervor, der den zweiten Durchgang nach einem verpatzten ersten Sprung verpasste - damit ist ein gutes Ergebnis bei der Tournee bereits nicht mehr möglich. Er müsse das erstmal "einen Tag sacken lassen", sagte Wellinger. "Ich hatte keine Energie im Sprung. Das waren heute zwei Schritte zurück." Für den Pyeongchang-Gewinner endet damit das erfolgreiche Jahr 2018 mit einer maximalen Enttäuschung. "Es war klar, dass ein paar Träume zerplatzen werden", sagte Schuster. "Und es ist auch der Traum von Andreas Wellinger zerplatzt."
Dass auch Severin Freund den zweiten Durchgang verpasste, kam nach seiner langen Verletzungspause für den Bundestrainer dagegen weniger überraschend. Allen, die "auf Severin Freunds Auferstehung gewartet haben" habe er "schon vorher den Zahn gezogen. Das war mir klar". Schmerzhaft war es trotzdem. Vor allem für Freund selbst. "Es war klar, dass es nicht einfach werden wird", sagte er: "So einen Tag wie heute hätte ich mir trotzdem nicht gewünscht."
Auch Geiger und Leyhe springen hinterher
Die anderen deutschen Springer erwischte es zwar nicht so schlimm wie Wellinger und Freund, wirklich zufrieden konnten sie mit ihrem Abschneiden allerdings auch nicht sein. Karl Geiger (Platz zwölf) und Stephan Leyhe (13.) landeten jeweils unterhalb ihrer Platzierungen im Gesamtweltcup, wo sie vor dem Springen in Oberstdorf auf den Plätzen vier (Geiger) und sechs (Leyhe) lagen. Richard Freitag, der im vergangenen Jahr in Oberstdorf wie jetzt Eisenbichler Zweiter wurde, verpasste die Top Ten ebenfalls und belegte Platz 16. Auch er war anschließend nicht zufrieden ("Bewegung am Schanzentisch zu früh eingeleitet.").
So musste am Ende ausgerechnet derjenige das deutsche Resultat retten, dem das zuvor die wenigsten zugetraut hatten (auch der SPIEGEL zählte Eisenbichler in seiner Prognose vor der Tournee nicht zu den besten 15 Springern). Geiger und Leyhe galten vor der Tournee als die beiden formstärksten deutschen Springer, Wellinger oder Freitag hätte man nach durchwachsenem Saisonbeginn einen starken Wettkampf zum Start der Tournee auch durchaus zugetraut. Diesen starken Wettkampf zeigte nun stattdessen Eisenbichler. Das Problem des 27-Jährigen war in der Vergangenheit, dass er seine guten Trainingsleistungen nicht auf den Wettkampf übertragen konnte.
Mit seinem zweiten Platz in Oberstdorf verschiebt Eisenbichler nun die interne Rangordnung im deutschen Team - zumindest für den Rest der Tournee. Er ist der einzige deutsche Springer, der noch eine realistische Chance auf den ersten deutschen Tournee-Sieg seit 2002 (Sven Hannawald) hat. Die anderen scheinen dafür bereits zu weit entfernt.
Eine ähnliche Situation haben aber auch andere Topnationen, bei denen die besten Springer patzten. Vorjahressieger Kamil Stoch wurde nach zwei durchschnittlichen Sprüngen zwar noch Achter, war damit aber nur drittbester Pole (hinter Piotr Zyla und Dawid Kubacki).
Bei den Norwegern hat Topspringer Johann Andre Forfang (vor Oberstdorf Fünfter im Gesamtweltcup) nach Platz 25 bereits alle Chancen in der Gesamtwertung verspielt. Stattdessen ist nach einem vierten Platz Andreas Stjernen die größte norwegische Hoffnung, der vor dem Springen als 38. der Weltcup-Gesamtwertung noch zum unteren Drittel gehörte. Der Wettkampf in Oberstdorf brachte nicht nur aus deutscher Sicht einige seltsame Ergebnisse hervor.