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»Wir können uns auch totsparen«

SPIEGEL-Interview mit dem Präsidenten des Hamburger SV, Wolfgang Klein, über die Bundesliga *
aus DER SPIEGEL 34/1984

SPIEGEL: In der vorigen Saison haben ARD und ZDF zusammen acht Millionen Mark für die Übertragungsrechte von Bundesligaspielen gezahlt. Jetzt verlangen die Vereine mehr als zehn Millionen Mark. Viel Geld für schlechte Ware.

KLEIN: Nein, viel zuwenig. Was bleibt denn von dieser Summe? Sie wird doch unter den 38 Klubs der beiden Bundesligen aufgeteilt.

SPIEGEL: Wieviel soll''s denn sein?

KLEIN: Wenn die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten schlau wären, würden sie jetzt einen Fünfjahresvertrag über mindestens 100 Millionen Mark mit uns abschließen. Die Medienlandschaft wird sich sehr verändern, und nicht zugunsten von ARD und ZDF.

SPIEGEL: Die Bundesliga hat sich bereits verändert und auch nicht zu ihren Gunsten. Es kommen immer weniger Zuschauer zu den Spielen.

KLEIN: Das kann man den Leuten auch einreden. Wenn zum Beispiel im »Aktuellen Sport-Studio« wiederholt und mit entsprechender Süffisance vom angeblich ungeheuren Zuschauerschwund in der Fußball-Bundesliga die Rede war, fühlte man sich als Stadionbesucher doch wie der letzte Idiot, der mit seiner Freizeit nichts Besseres anzufangen weiß.

SPIEGEL: Meinen Sie, es sollten nur die Zuschauerzahlen aus den Stadien verbreitet werden, die ausverkauft waren?

KLEIN: Ich meine, daß die negative Berichterstattung über die Bundesliga in eine positive umgewandelt werden muß.

SPIEGEL: Bringen Sie da nicht Ursache und Wirkung ein bißchen durcheinander?

KLEIN: Nein. Fußball ist nach wie vor die Sportart Nummer eins. Aber zugegeben, unsere eigene Informationspolitik ist schlecht. Damit bin ich überhaupt nicht glücklich. Unser Ligavertreter ist Angestellter des DFB, aber er soll die Interessen der Bundesliga wahrnehmen. Nichts gegen Wilfried Straub, aber er wird nun mal von einem Verband bezahlt, dessen Fürsorge hauptsächlich den Amateurvereinen gilt. Eine Vermarktung der Bundesliga durch den DFB findet nicht statt, und nicht nur ich frage mich allmählich, ob wir da noch optimal vertreten sind.

SPIEGEL: Wie sieht eine Vermarktung in Ihrem Sinne aus?

KLEIN: Gezielte Public Relations, zum Beispiel. Jede Unternehmensgruppe ist darum bemüht, sich möglichst positiv in der Öffentlichkeit darzustellen. Wir überlassen dieses Feld völlig den Medien. Ein von den Klubs bezahlter Manager müßte noch am Abend des Spieltages eine aktive Informationspolitik den Medien gegenüber betreiben. Ich bin sicher, das Image der gesamten Liga würde sich schlagartig verbessern.

SPIEGEL: Das könnte ein interessanter Job für Günter Netzer sein. Wie man hört, will er den HSV sowieso verlassen.

KLEIN: Netzer bleibt noch bis 1986 beim HSV.

SPIEGEL: Und dann wird Felix Magath sein Nachfolger.

KLEIN: Zu personellen Veränderungen wird der HSV in dieser Woche offiziell Stellung nehmen.

SPIEGEL: Nun hat ja Image nicht nur mit schöner Verpackung, sondern auch mit tatsächlicher Leistung zu tun. Und da ist das Defizit der einstmals angeblich besten Liga der Welt beträchtlich.

KLEIN: Die Liga ist nach wie vor eine der besten der Welt. Aber die Auftritte der Nationalelf haben uns tangiert. Da hat eine äußerst negative Rückkoppelung stattgefunden.

SPIEGEL: Das ist nicht der einzige Grund. Die Leute gehen doch ins Stadion, um Stars zu sehen, aber die sind nach Rummenigges Wechsel zu Inter Mailand noch rarer geworden.

KLEIN: Wir haben mit Mark McGhee einen erstklassigen schottischen Nationalspieler geholt.

SPIEGEL: Der Portugiese Chalana, neben Platini überragender Spieler der letzten Europameisterschaft, unterschrieb einen Vertrag in Bordeaux. Der Bundesliga war er angeblich zu teuer, sie setzt auf den eigenen Durchschnitt und ist auch noch stolz darauf. Glauben Sie denn allen Ernstes, daß abgewanderte Besucher durch Geschäftspraktiken von Kleinkrämern zurückzuholen sind? Den Fans ist es egal, ob der Verein eine Million Mark Schulden mehr oder weniger hat, sie wollen für ihr Geld Attraktionen sehen. Oder?

KLEIN: Ich leugne nicht, daß die Gefahr besteht, den zu sicheren Weg zu wählen, jede Risikobereitschaft vermissen zu lassen. Wir können uns auch totsparen.

SPIEGEL: Das Risiko ist durchaus kalkulierbar. In Italien kann beinahe jeder Klub einen Weltstar präsentieren, die Folge ist ein Zuschauer-Boom wie nie zuvor. Nach den Engagements von Rummenigge, Maradona, Socrates werden die Zahlen in dieser Saison weiter ansteigen. _(Bei der Unterzeichnung des ) _(Dreijahresvertrages am 21. Mai in der ) _(HSV-Geschäftsstelle, rechts: ) _(McGhee-Ehefrau Jacqueline. )

KLEIN: Die Verhältnisse sind nicht zu vergleichen. Hinter Juventus Turin steht beispielsweise Fiat, und wenn ein Loch in der Kasse ist, steht der Agnelli bereit. Für den sind das Peanuts, wir hingegen müßten uns das Geld leihen, und selbst dem HSV würde keine Bank einen Maradona oder Socrates finanzieren.

SPIEGEL: Der HSV hat immerhin den Sponsorenvertrag mit BP, der ihm pro Jahr eine runde Million Mark bringt.

KLEIN: Richtig, aber im wesentlichen muß unser Etat aus den Spieleinnahmen bestritten werden. Die gesamte Bundesliga hat nur begrenzte Finanzierungsmöglichkeiten, es gibt bei uns keinen Agnelli.

SPIEGEL: Aber es gibt einen Günter Mast. Wenn der Eintracht Braunschweig schon am Leben erhält, wieso darf er dann den Verein nicht in »Jägermeister« umbenennen?

KLEIN: Was der Mast macht, ist doch ein simpler Trick. Er hat überhaupt nicht vor, eine Änderung herbeizuführen. Ihm geht es allein darum, mit dem traditionellen Vereinsnamen in Verbindung zu seinem Produkt Werbung zu machen.

SPIEGEL: Nun sind ja nicht nur die italienische und spanische Liga für Stars attraktiver als die deutsche. Der Schotte Gordon Strachan vom FC Aberdeen hatte beim 1. FC Köln bereits einen Kontrakt unterzeichnet und ging dann doch zu Manchester United. Verliert die Bundesliga allmählich die Tuchfühlung zur internationalen Leistungsspitze?

KLEIN: Der bezahlte Fußball hat im klassischen deutschen gemeinnützigen Sportverein nichts mehr zu suchen. Für die Profis müßte eine eigene Rechtsform, AG oder GmbH, eingeführt werden, die in puncto professionellem Management, Kapitalbeschaffungsmöglichkeiten auf dem freien Kapitalmarkt und so weiter ganz andere Perspektiven eröffnen würde. Aber ich weiß nicht, wie und wann wir das gegen die Amateure im DFB durchsetzen können.

SPIEGEL: Für diese Woche haben Sie die Vereinsvertreter von Bayern München, Stuttgart, Mönchengladbach, Bremen, Köln, Kaiserslautern und Frankfurt zu einem Gipfeltreffen eingeladen. Wieso nur die sieben?

KLEIN: Weil es auch um die Nationalelf geht und diese Klubs im Augenblick Spieler abstellen. Ich habe auch Franz Beckenbauer gebeten dabeizusein.

SPIEGEL: Was soll sich ändern am Verhältnis der Klubs zur Nationalelf?

KLEIN: Der Kontakt muß verbessert werden. Jahrelang ist uns der fatale Eindruck vermittelt worden, dies hätten der DFB und sein Bundestrainer Derwall überhaupt nicht nötig. Daß die Bundesliga die Nationalelf oft boykottiert hat, war eine logische Folge davon.

SPIEGEL: Ist Beckenbauer als Teamchef eine gute Wahl?

KLEIN: Ja. In jedem Fall die derzeit beste.

SPIEGEL: Im Theater um die Derwall-Nachfolge hat DFB-Präsident Neuberger nicht gerade eine Glanzrolle gespielt.

KLEIN: Er hat von seinem Image als großer Macher verloren. Neuberger ist von den Ereignissen überrollt worden.

SPIEGEL: Udo Lattek hat gesagt: Falls Beckenbauer scheitern sollte, müsse Neuberger zurücktreten.

KLEIN: Ich gehöre sicher nicht zu den Freunden von Neuberger, aber schauen Sie sich doch mal um beim DFB: Wer käme nach ihm? _(Jakobs (M.) am 20. 8. 1983 im Spiel ) _(gegen Borussia Dortmund. )

Bei der Unterzeichnung des Dreijahresvertrages am 21. Mai in derHSV-Geschäftsstelle, rechts: McGhee-Ehefrau Jacqueline.Jakobs (M.) am 20. 8. 1983 im Spiel gegen Borussia Dortmund.

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