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»Wir müssen weg von der Inzucht«

SPIEGEL-Redakteur Kurt Röttgen über den Provinzialismus in der Fußball-Bundesliga *
Von Kurt Röttgen
aus DER SPIEGEL 32/1987

Kaum war der von Köln nach Marseille transferierte deutsche Fußball-Profi Klaus Allofs am neuen Arbeitsplatz, da irritierte er seine Landsleute mit der Erkenntnis: In Frankreich werde nicht nur attraktiver gespielt als in der Bundesliga, sondern auch schneller.

Seither wird in der Branche gerätselt, ob sich Allofs beim millionenschweren Vereinschef Bernard Tapie, den Kollegen oder der französischen Sportpresse einschmeicheln wollte. Oder ob Franz Beckenbauers Nationalelf-Kapitän, bald 31 Jahre alt, geschickt vorbeugte für den Fall, daß ihm am Mittelmeer die Puste ausgehen sollte.

»Quatsch«, nennt Fußball-Weltmann Günter Netzer das Allofs-Statement. Tatsächlich rennen die deutschen Kicker in einem Tempo über den Platz wie sonst allenfalls noch die Briten. Weder in Frankreich, Italien noch Spanien, in Südamerika schon gar nicht, werden an die Spieler so hohe athletische und konditionelle Anforderungen gestellt.

Deshalb halten Trainer und Funktionäre auch im 25. Jahr seit Einführung der Bundesliga an der Vorstellung fest, sie würden ihrem Publikum die beste Fußball-Liga der Welt präsentieren. Selbst das Fiasko, das die Kraftmeier aus München im letzten Europacup-Finale gegen die ballgewandten Portugiesen erlebten, hat sie nicht zur Einsicht gebracht. »Spielen kann nur, wer den Ball hat«, referierte einmal Helmut Benthaus, Coach des VfB Stuttgart im Meisterjahr 1984. Die allermeisten der rund 370 Fußball-Angestellten in den 18 Vereinen können es auch dann nicht.

Zugeben mag das kaum jemand, die Reihen der professionellen Weißmacher sind in sich fest geschlossen. Die Boulevardblätter dienen ihrer Kundschaft die Ware Profifußball als exklusiven Markenartikel an, das bekommt der Auflage. Ob Kultusminister und Klubsprecher Gerhard Mayer-Vorfelder, Teamchef Beckenbauer, die Stanjeks vom Ersten oder die Kürtens vom Zweiten Deutschen Fernsehen: Wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern gaukeln sie der Fan-Gemeinde vor, der Bundesliga-Fußball sei immer noch so schillernd wie einst.

Ehrlicher ist Paul Breitner, der seit Jahren über »die stupide Rennerei in der Bundesliga« motzt. Der »Hamburger Morgenpost« sagte Bayern Münchens ehemaliger Kapitän vergangene Woche, drei Tage vor Saisonstart, in einem Interview: »Der deutsche Fußball ist am Ende.« Ein permanenter Ausverkauf von Stars habe die Liga ausgeblutet, weder Trainer noch Klubpräsidenten seien den Anforderungen dieses Show-business gewachsen.

Typisch für den Provinzialismus im Gewerbe ist die Aussage des Kölner Trainers Christoph Daum: Ohne Allofs und den nach Schalke vergraulten »Anpfiff«-Autor Toni Schumacher habe sich »der Team-Geist verbessert«, weil jetzt »die Verantwortung auf viele Schultern verteilt« sei. Daß die Zuschauer im Stadion Stars sehen wollen und kein Kollektiv mehr oder minder begabter Mitläufer, begreifen Deutschlands biedere Fußballehrer ebensowenig wie ihre Chefs in den Klubpräsidien.

Sie setzen ihrer pro Spiel bis zu 50 Mark Eintritt zahlenden Kundschaft Dutzendware vor und feiern sich noch, wie Werder Bremens Manager Willi Lemke nach dem Verkauf Rudi Völlers, als clevere Geschäftsleute, wenn sie einen attraktiven Spieler für ein paar Millionen ins Ausland verschachert haben.

Nur Eintracht Frankfurt riskierte das kostspielige Engagement eines international renommierten Star-Kickers: Lajos Detari, 24, ungarischer Nationalspieler, mit 3,5 Millionen Mark Ablöse teuerster Bundesliga-Import überhaupt. Schon jetzt ist zu befürchten, daß der Ballkünstler aus Budapest zum Dauerrenner nach geltender Bundesliganorm umfunktioniert wird.

Eintracht-Trainer Karlheinz Feldkamp, der sich nach eigenem Bekenntnis zwar freut »über jeden Trick und jede tolldreiste Kombination«, aber letztlich den »einfachen Weg zum Erfolg« vorzieht, erklärte jedenfalls bereits: In Ungarn sei Detari »sicherlich ein Ausnahmefußballer« gewesen. Doch »hier in der Bundesliga muß er erst einmal konstant Topleistungen zeigen, ehe man sagen kann, das ist ein Großer«.

Die Selbstgefälligkeit der Deutschen bei der Beurteilung ausländischer Fußballspieler ist keineswegs neu. So empfahl der damalige Bundestrainer Jupp Derwall während der »Mini Copa« im Januar 1981 in Montevideo dem jungen Diego Maradona, »doch besser im Zirkus aufzutreten«.

Und im gesamten DFB-Troß wurde herzhaft gelacht, als die Brasilianer mit

ihrem langen, etwas ungelenk wirkenden Spielmacher Socrates aufkreuzten. »Der ideale Mann für Basketball«, meinte Erich Ribbeck süffisant, seinerzeit Derwalls Assistent, jetzt Coach von Bayer Leverkusen. Nach der 1:4-Niederlage gegen Brasilien schwiegen die Fußball-Weisen betreten.

»Unsere Trainer schauen, bis auf ein paar Ausnahmen, nicht über den Zaun«, so Rolf Rüßmann, ehemaliger Nationalspieler und bis vorigen Monat Manager in Schalke. Sie würden deshalb auch selten Entwicklungen im internationalen Fußball mitbekommen.

Es waren fast ausnahmslos ausländische Coaches, die der Bundesliga Neuerungen bescherten: Lorant, Csernai, Zebec, Happel, allesamt Verfechter der komplizierten, aber effizienten Raumdeckung und versierte Taktiker, wie sie der deutsche Fußball trotz eines Hennes Weisweiler oder Udo Lattek nicht zu bieten hatte.

Rüßmann, der sich vergebens darum bemüht hatte, den Schweden Gunder Bengtsson von Uefa-Cupsieger Göteborg in den Kohlenpott zu holen, machte noch ein weiteres Manko aus: Nur wenige Trainer seien in der Lage, junge Spieler auszubilden, ihre Talente zu entwickeln.

Daraus resultieren die spielerischen Mängel, offenkundiges Defizit unter den Bundesliga-Kickern der 80er Jahre. Naturbegabungen wie Olaf Thon sind rar geworden, Karl-Heinz Rummenigge nennt ihn »den nach mir letzten Straßenfußballer«.

Zu seiner Zeit, erinnert sich Günter Netzer, »haben wir auch als Profis kaum anders gespielt, als wir es auf der Straße oder dem Bolzplatz ganz selbstverständlich gelernt hatten«.

Auf der Straße kann kaum noch gespielt werden, auch sind Jugendliche nicht mehr so auf den Lederball fixiert wie vor zehn Jahren. Wenn sie sich doch einem Fußballverein anschließen, müssen sie die Ballbehandlung meist erst mühsam erlernen. Man sieht das ihren Bewegungen noch an, wenn sie längst den Sprung in die Bundesliga geschafft haben.

Hermann Neuberger, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, und Bayern-Manager Uli Hoeneß plädieren für eine Reduzierung der Bundesliga. Durch eine Konzentration der Spieler auf weniger Klubs, so ihr einleuchtendes Argument, könne das Gesamtniveau angehoben werden.

Rüßmann schlägt vor, das derzeit erlaubte Kontingent von zwei Ausländern pro Mannschaft auf drei aufzustocken. Weil, so der Schalker, »der deutsche Fußball dringend einer Blutauffrischung bedarf, wir müssen weg von der Inzucht«.

Doch selbst die vernünftigsten Vorschläge werden wohl, wie Breitner vermutet, am Veto der »Amateure in der Vereinsführung« scheitern. Trotz eines zahlenden Publikums von 155 Millionen Fans seit 1963, trotz eines Gesamtetats der 18 Klubs in dieser Saison von 135 Millionen Mark: In der Bundesliga dominieren nach wie vor die Vereinsmeier, die man sich ebensogut an der Spitze eines Schützenvereins vorstellen könnte.

Die Bayern mit ihrem ausgekochten Uli Hoeneß hängen alle anderen um Langen ab. »Hier wird so professionell gearbeitet wie sonst nirgendwo«, erkannte der von Mönchengladbach gekommene Trainer Jupp Heynckes bereits nach wenigen Tagen.

Über den Präsidenten von Hannover 96, Horst-Fredo Henze, lästerte »Bild«-Kolumnist Max Merkel: »Nach Siegen läuft er durchs Land, als rechne er stündlich mit dem Nobelpreis für Vereins- und Menschenführung. »

So sind sie fast alle.

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